Parallels. Sven Hauth

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Parallels - Sven Hauth

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Arbeit in einem Fotolabor stellte ich mir angenehm eintönig vor. Ich vereinbarte einen Vorstellungstermin. Nach einem fünfminütigen Bewerbungsgespräch war ich eingestellt.

      Ausgestattet mit einem kreditkartenähnlichen Zugangsausweis, den man bei Arbeitsanfang und –ende durch die moderne Version einer Stechuhr ziehen musste (langjährige Mitarbeiter erkannte man daran, dass sie dies auf betont beiläufige Art im Vorbeigehen erledigten), betrat ich in meiner ersten Arbeitsnacht das turnhallengroße Gebäude.

      Begrüßt wurde ich von brennendem Chemikaliengestank, ohrenbetäubendem Lärm und einer schlaksigen Gestalt mit ausgedünntem Blondhaar, die bei meinem Anblick eilig herbeistakste und sich als Schichtleiter vorstellte. Seiner Hautfarbe nach hatte er schon seit Jahren kein Tageslicht mehr gesehen. Er schien sichtlich erfreut, mit mir Verstärkung bekommen zu haben. Ich folgte ihm auf einer Einführungsrunde durch das Labyrinth des Labors.

      Die Halle war gefüllt mit einer unüberschaubaren Vielfalt von Maschinen, alle verbunden durch ein sich endlos durch den Raum windendes Band aus ungeschnittenem Fotopapier. Die meisten von ihnen schienen vollständig autonom zu arbeiten. An anderen saßen weiß behandschuhte Arbeiter und führten irgendwelche undefinierbaren Prozeduren an der Fotoschlange durch.

      Wir begegneten anderen Menschen. Ähnlich meinem Anführer hatten zu viele Nachtschichten ihnen die Farbe aus den Gesichtern getrieben. Mit der Gleichmut lebender Toter erledigten sie ihre Arbeit – schoben mit Fototüten gefüllte Wagen, schraubten an einer der erwähnten Maschinen oder schlurften ohne erkennbare Aufgabe durch die Hallen. Und das – nach ihrer Ähnlichkeit mit dem Schichtleiter zu urteilen – wahrscheinlich seit einem halben Leben. Mein gegen den Lärm anredender Anführer tat sein bestes, mir Sinn und Zweck der verschiedenen Stationen zu erklären. Doch die Vielzahl neuer Sinneseindrücke machte eine Konzentration auf das, was er sagte, so gut wie unmöglich.

      Schließlich beendeten wir unsere Runde und ich wurde an meinen eigentlichen Arbeitsplatz herangeführt, etwas Abseits von Lärm und Gestank. Dieser bestand aus einem schräg gestellten Tisch, über den die omnipräsente Fotoschlange lief. Unter dem Tisch befand sich eine Art Bremspedal, mit dem man das Bilderband kurzzeitig anhalten konnte. Lang genug, um eventuell fehlerhafte Bilder mit einem dicken Fettstift zu markieren, damit sie später von einer Maschine automatisch aussortiert wurden.

      Entsprechend der Definition meines geduldigen Einweisers galt ein Bild dann als fehlerhaft, wenn es beispielsweise komplett unscharf war oder nur Schwärze zeigte, man also nichts Gegenständliches mehr darauf erkennen konnte. Mit einem gut gemeinten Schulterklopfen ließ er mich allein.

      Mit dem Fettstift in der Hand und einem flauen Gefühl in der Magengegend kletterte ich auf einen Hocker, der aussah, als hätten bereits ganze Generationen von Nachtarbeitern darauf fehlerhafte Fotos markiert. Vor mir eilte das endlose Fotoband von rechts nach links, ein einziger verwischter Streifen. Probeweise trat ich auf das Pedal. Die Bilder stoppten augenblicklich und gaben ihre Inhalte preis. Offensichtlich war der Fotograf ein Tiefseetaucher. Ich blickte auf üppige Korallenlandschaften, ein muschelbewachsenes Schiffswrack und Nahaufnahmen von exotischen Fischen. Eine Welt, die in einem surrealen Gegensatz zu dem mich real umgebenden nächtlichen Fotolabor stand. Ohne Zweifel handelte es sich hier nicht um fehlerhafte Bilder. Mein Fuß löste sich vom Pedal und das Band nahm wieder Geschwindigkeit auf. Kurze Zeit später entdeckte ich inmitten der verschwommenen Farben einen hellen Fleck. Gerade noch rechtzeitig schaffte ich den Tritt aufs Pedal, das Bild war schon fast über der Tischkante verschwunden.

      Das betreffende Foto war nicht völlig weiß, wie ich zu Anfang geglaubt hatte, sondern von einem blassen Gelb. Zudem liefen zwei dunkle Haarlinien diagonal über das Bild. War dies ein „fehlerhaftes Bild“? Oder handelte es sich um Absicht? Ein experimentelles Fotoprojekt? Zeitgenössische Kunst? Unsicher sah ich mich um. Der Schichtleiter war nicht zu sehen, in meiner näheren Umgebung gab es nur Maschinen. Ich entschied mich dafür, das Foto nicht zu markieren. Die Linien wirkten zu gewollt, um das Ergebnis eines technischen Missgeschicks zu sein.

      Das Band lief an, erneut begab ich mich auf Fehlersuche. Meine Augen versuchten, Schritt zu halten. War der graue Fleck eben ein fehlerhaftes Bild gewesen? Oder nur auf mein Blinzeln zurückzuführen? Mir kam es so vor, als ob das Bildband allmählich immer schneller vorbeiraste. Auch hatte es seine ursprüngliche Horizontale verlassen und lief nun in einem leichten Winkel über die Tischplatte.

      Vielleicht lag es an dieser Schräglage, vielleicht auch an dem beißenden Gestank, der sich so hartnäckig in meiner Nase festsetzte wie der Krach der Maschinen in meinen Ohren. Doch wahrscheinlich war eine Kombination aus allem der Grund, dass ich irgendwann auf dem Fußboden neben dem Hocker zu mir kam. Über mir schwebte das knochige Gesicht des Schichtleiters.

      „Ist schon okay“, sagte sein Mund, „Am ersten Tag kommen viele nicht damit klar. Wir setzen dich woanders ein, kein Problem.“

      „Schon wieder so ein Weichei“, sagte sein Blick, „Jetzt bleibt die Arbeit wieder an mir hängen.“

      Nach diesem unschönen Ereignis wurde ich an den Anfang der Bilderkette zurückversetzt. Diesmal war der Tisch größer. Statt einer Bilderschlange türmte sich in seiner Mitte ein Berg aus Fototüten. Aufgabe war es, die Tüten zu öffnen und den Inhalt – in den meisten Fällen eine Filmrolle, seltener eine komplette Einwegkamera – passend zur Tütenbeschriftung in eine entsprechende Plastikkiste einzusortieren.

      Die neue Arbeit erwies sich als wahrer Segen. Ich genoss die Gesellschaft von drei freundlichen Kollegen, allesamt Studenten, die ebenfalls auf die Anzeige geantwortet hatten. Gemeinsam verbrachten wir die folgenden Nächte an dem runden Tisch, eine lockere Gruppe Pokerspieler, die statt Karten Tüten sortierte. Zu Anfang hatte ich Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Kundenwünsche nach Format, Bildoberfläche und diversen Sonderwünschen korrekt einzuordnen. Doch schon zwei Nächte später war ich selber zur Maschine geworden. Ein flüchtiger Blick auf die immer gleichen Ankreuzfelder auf der Tüte genügte. Im Zehn–Sekunden–Takt zog ich Filmdosen aus Tüten und warf sie lässig an ihre Bestimmungsorte. Der Schichtleiter war zufrieden, meine innere Ordnung wiederhergestellt.

      Der Segen hielt genau zwei Wochen, bis zum Ende der Weihnachtssaison. Für das Fotolabor bedeutete das weniger Arbeit. Für mich eine beunruhigende Erkenntnis: Ich musste mich nach einen neuen Job umsehen.

      So kam es, dass ich wieder zurück zu den Ursprüngen gekehrt war: in mein ehemaliges College. Hergeführt hatte mich die Erinnerung an das „Job Board“, die Pinnwand, vor deren Anblick ich nun die Augen verschlossen hatte.

      Sie war berüchtigt dafür, dass an ihr neben einer Unzahl unsinniger Werbebotschaften ebenso viele mehr oder weniger unsinnige Arbeitsangebote aushingen. Da die Zielgruppe zu 100 % aus Studenten bestand, handelte es sich bei den meisten von ihnen um Beschäftigungen, die keinen großen Reichtum versprachen, dafür aber auch keine besonderen Qualifikationen erforderten. Ergo war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um erfrischend monotone Tätigkeiten handeln würde. Das Schwindelgefühl ebbte ab. Ich öffnete die Augen und ruhte sie auf der Leere der beige gestrichenen Wand aus.

      Nur dass diese nicht leer war.

      Ein schlichtes Blatt Kopierpapier hatte sich neben die Pinnwand verirrt. Drei Zeilen Text in zurückhaltender Größe, sorgsam zentriert auf 300 Quadratzentimeter Blütenweiß. Ein Augenschmaus, befestigt mit einem einzigen Streifen Tesafilm. In die linke obere Ecke war das Collegelogo gedruckt, das dem Papier etwas würdevoll Offizielles verlieh. Ansonsten bestach die Anzeige durch auffällige Unauffälligkeit. Meine Augen blieben an dem Papier hängen, dankbar für die Erholung.

      Ich las.

       Aushilfe gesucht

       Abteilung Textverarbeitung

      

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