Chuck. Hans Müller-Jüngst
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Hans Müller-Jüngst
Chuck
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Inhaltsverzeichnis
Der Narziss
Ecce homo, siehe, der Mensch!
Vor mir stand Chuck in seiner ganzen Statur, ihn zu beschreiben fiel nicht so schwer. Er war zunächst einmal eine nicht zu übersehende Erscheinung, was an seiner Körpergröße lag, nicht an seinem Körperumfang. Er ragte in seinem Längenwachstum deutlich über das Normalmaß von 178 cm bei Männern hinaus, er maß 189 cm und war dabei muskulös und keineswegs dick. Wenn Chuck stand, sah er aus wie eine gewaltige Säule, die so schnell nichts umhauen konnte, er war ein absolut friedfertiger Mensch. Chuck hatte ein ovales Gesicht, seine Wangen fielen leicht nach innen, was seinem Gesicht etwas Kantiges gab. Er war glatt rasiert, früher trug er einmal einen Bart, rasierte ihn aber dann wieder ab, als er seine Freundin Gina kennengelernt, und sie ihm das nahegelegt hatte.
Die Nassrasur war morgens immer wie ein Gottesdienst, er brachte all seine Konzentration in diesen Akt, und legte vorher immer warmes feuchtes Tuch auf sein Gesicht, um die Haut weich und damit leichter rasierbar zu machen. Dann nahm er keineswegs Rasierschaum aus der Sprühdose, sondern Rasierseife, mit der er den Rasierpinsel einschäumte und die er danach großzügig auf sein Gesicht auftrug. Schon das Auftragen der Rasierseife brachte ihm Erfrischung, er betrachtete sich immer mit der frisch aufgetragenen Seife im Spiegel und ließ sie einen Moment einwirken. Er konnte spüren, wie die Seife seine Haut erfrischte, und wenn er anschließend seinen Rasierapparat nahm und mit ihm über seine Gesichtshaut fuhr, überkam ihn ein Gefühl von Ausgeglichenheit, wie er es sonst kaum jemals erfuhr, wenn die kühle Luft über sein warmes Gesicht strich. Er musste bei der Rasur unterhalb seines Kinns am Hals sehr vorsichtig sein, da war eine Stelle, an der er Bartwirbel hatte und wo er deshalb den Rasierer etwas beherzter ansetzen musste, was die Gefahr in sich barg, dass er sich am Hals schnitt. Er hatte für solche Fälle einen Alaunstift bei seinem Rasierzeug liegen, den er dann auf die verletzte Stelle gab, um den Blutfluss zu stillen. Das hatte früher schon sein Vater getan, er hatte sich manchmal neben ihn gestellt und ihn beim Rasieren beobachtet, er hatte immer erschrocken hochgeschaut, wenn Vater sich beim Rasieren geschnitten hatte und Blut floss. Vater beruhigte ihn dann, und sagte, dass der kleine Schnitt nichts Schlimmes wäre, und er ihn mit seinem Alaunstift schnell vom Blut befreien könnte. Wenn Chuck mit dem Rasieren fertig war, und er es geschafft hatte, sich ohne Schnitt zu rasieren, das Kinn war auch immer eine neuralgische Stelle, dann nahm er nicht etwa eines dieser stark aromatisierten Rasierwasser, sondern er rieb sein Gesicht mit Niveacreme ein. Niveacreme gab es schon seit Jahrzehnten und sein Vater hatte sie auch immer benutzt, sie verströmte den ihr eigenen Duft nach Reinheit und Frische. Rasierwasser waren Chuck zuwider, sie rochen immer aufdringlich und prätentiös, hatten allerdings den Vorteil, die Haut zu desinfizieren. Aber er hatte noch nie Hautprobleme und bleib bei seiner Niveacreme, auch auf die Gefahr hin, sich im Gesicht eine Entzündung zuzuziehen. Nachdem er seine Gesichtspflege erledigt hatte, nahm Chuck einen Kamm und brachte sein Haar in Ordnung, auch das eine Tätigkeit, die er konzentriert ausübte und die er genoss. Er trug sein Haar mittellang, es war blond und leicht gelockt. Sein Haar war fest und er hatte früher Mühe, es überhaupt mit einem Kamm bewältigt zu bekommen, er hatte eine Bürste benutzt, um durch seine Mähne fahren zu können.
Seine gesamte Familie hatte das feste Haar und Schwierigkeiten, sich zu kämmen, eine Bürste lag deshalb im Badezimmer immer parat und wurde von jedem benutzt. Chuck trug seit ein paar Jahren einen Seitenscheitel, der aber im Laufe eines Tages verschwand und nicht mehr zu sehen war, wenn er sich nicht regelmäßig bürstete. Früher trug er sein Haar lang, das hieß, es bedeckte seine Ohren und stand ab, es fiel nicht auf seine Schultern, weil es zu fest war, es wuchs einfach in alle Richtungen. Er hatte mit seiner Mähne überall Aufsehen erregt, alte Frauen hatten ihm gesagt: „Deine Haare möchte ich haben!“. Mittlerweile trug er sein Haar nicht mehr so lang, es stieß auf seine Ohren, ohne diese zu bedecken, es war insgesamt noch füllig, hatte aber die extreme Festigkeit verloren, sodass er es auch mit dem Kamm frisieren konnte. Sein Haar stieß auf seinen Hemdkragen und hatte oben seine Länge, er mochte nicht die ganz kurzen Haare, die dem Schädel etwas martialisch Eckiges gaben. Chuck fand, dass er rasiert und frisch frisiert einen gepflegten Eindruck machte, sein Haar wirkte füllig und lag wegen seiner festen Struktur nicht am Kopf an.
Seine Augen lagen leicht vertieft in ihren Höhlen, ihre Farbe war blau, sie wurden von markanten Augenbrauen überwölbt. Er musste bei jedem zweiten Friseurbesuch seine Augenbrauen schneiden lassen, damit sie nicht zu buschig wurden. Sein Vater hatte dunkles Haar und buschige Augenbrauen, er schnitt sie regelmäßig mit der kleinen Schere, mit der er auch seine Fingernägel schnitt. Augenlider waren bei Chuck nur angedeutet und wegen seiner blonden Haare auch nicht besonders sichtbar. Seine Augen verschafften ihm einen klaren Blick, sie blickten scharf und waren eindringlich.
Seine Nase bildete in ihrem Profil mit der Stirn eine gerade Linie, was dem klassischen griechischen Profil der Antike entsprach, sie war nicht sonderlich groß, gab seinem Gesicht aber etwas Ausdrucksstarkes. Man konnte sie nicht fein nennen, dazu ging sie zu sehr in die Breite und hatte im unteren Teil wulstige Ausprägungen, sie stand aber auch nicht stark hervor und fügte sich in Chucks prägnantes Gesicht. Sein Mund war schmallippig und deshalb ebenso wenig aufdringlich wie seine Nase, seine Lippen verliefen gerade, wenn er lachte, legten sie seine beide Zahnreihen frei, seine Zähne waren gerade und weiß.
Chuck legte großen Wert auf Zahnpflege, er benutzte sogar Zahnseide, um seine Zahnzwischenräume zu reinigen. Um den Weißton seiner Zähne aufzuhellen, hatte er sie von seinem Zahnarzt bleachen lassen, was sie erstrahlen ließ. Chuck sah gut aus und das wusste er auch, nicht dass er damit angab, aber er legte Wert auf ein gepflegtes Äußeres, was sich auch in der Kleidung niederschlug, die er trug.
Er gab einen relativ großen Teil seines Geldes für qualitativ hochwertige Kleidung aus, er trug nicht gerade Van-Laak-Hemden oder 200-Euro-Hosen, er mied aber auch Läden wie C&A, wo man nur billigste Ostasien-Ware kaufen konnte. Meistens trug er Polo-Shirts, er hatte sie in allen Farben, es waren auch einige Lacoste-Shirts darunter, die ihm aber auf Dauer zu teuer waren. Wichtig war ihm, dass die Polo-Shirts auch nach mehreren Wäschen noch ihre Form behielten und nicht wie geweitete Säcke am Körper hingen. Chuck trug nie Unterhemden, die waren in seinen Augen der Inbegriff des Spießertums, sie dienten früher dazu, den Körperschweiß aufzusaugen