Der Fremde und das Dorf; Die Gesichte der Blinden. Helmut H. Schulz

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Der Fremde und das Dorf; Die Gesichte der Blinden - Helmut H. Schulz

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      Helmut H. Schulz

      Der Fremde und das Dorf; Die Gesichte der Blinden

      Zwei Erzählungen

      Dieses eBook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       DER FREMDE UND DAS DORF

       1.

       2.

       3.

       4.

       DIE GESICHTE DER BLINDEN

       1.

       2.

       Impressum

       DER FREMDE UND DAS DORF

       1.

      In den Bergen ist ein Dorf, unweit von Mistrella. Der Autobus, der einmal täglich in das Dorf der "Santa Maria in den Bergen" fährt - die Madonna hat sich neben zahlreichen Heiligen das Erstrecht bewahrt -, gehörte längst ins Ruhelager.

      Luigi, der Fahrer, hat viel Zeit und Mühe darauf verwandt, die Launen seines Gefährts zu erkunden. Er kann sich rühmen, es zu seltener Meisterschaft darin gebracht zu haben.

      Das Dorf der Santa Maria ist am Tage öde und verlassen. Ein Dutzend Häuser reihen sich aneinander. Sie stehen dicht gedrängt, als suchten sie Schutz. Die Straßen sind von Mauern eingerahmt. Das Baumaterial der Mauern sind zerbröckelnde Steine, die nur lose aufliegen.

      Die Straßen und Wege des Dorfes führen hinaus auf die Felder der Grundherren und die Zinsböden der Pächter.

      Der Platz des Dorfes Santa Maria in den Bergen ist von Häusern umgeben, die einen gewissen Wohlstand verraten: das Pfarrhaus, das Haus des Bürgermeisters, das Gemeindeamt, die Schenke Don Brandos und die Kirche.

      Eine Schule gibt es nicht, obwohl das Gesetz die Gemeinde hierzu verpflichtet.

      Vor der "Chiesa Madre", der Kirche, ist ein Standbild der Heiligen Jungfrau aufgestellt, das an ein Wunder erinnern soll. Das Wunder geschah vor langer Zeit. Die Madonna ist in Stein gehauen. Der Künstler war nicht ungeschickt. Er hat ihr die rührende Haltung bittender Mütter gegeben.

      Aus steinernen Augen blickt sie schräg nach oben. Das Kind, das sie in den Armen hält, scheint aus ihrem Gewand zu kommen.

      Gegenüber ist die Osteria, die Schenke, und Don Brando, der Wirt, ist ein vielseitiger Geschäftsmann. Don Brando stellt eine Macht dar, dank seines Warenlagers. Er versorgt das Dorf mit allem. Er hat sogar einige Benzinkanister im Hofe seines Hauses stehen, für die wenigen Touristen, aber sie liegen schon lange dort. Die ehemals grüne Farbe blättert bereits an einigen Stellen ab.

      Das Haus des Bürgermeisters und das Gemeindeamt liegen dicht beisammen, das ist ein Zufall, aber ein besonders günstiger. Er erspart Guiseppe Lafranci, dem Bürgermeister, viel Zeit, und Zeit ist Geld, sagt man.

      Dahinter beginnen die armseligen Häuser der Landarbeiter und Pächter. Gelegentlich hebt sich ein Haus besonders hervor. Man sieht Hühner und einige Schafe auf den freien Plätzen des Dorfes. Manchmal schreit mit ausdauernder Starrköpfigkeit ein Esel. Der Esel hat seinen Grund zur Klage, aber wer hätte das nicht im Dorf Santa Maria in den Bergen? Dem Dorf der Heiligen Jungfrau, die einmal, vor langer Zeit, ein Wunder getan hat.

      Ein Haus steht abseits. Es ist blendend weiß und das muss auffallen, weil die meisten Häuser schmutzig grau sind. Vielleicht hat die weiße Fassade eine besondere Ursache. Es gehört dem Mafioso Carlo Ricci, mit dem es eine merkwürdige Bewandtnis hat.

      Über allem steht die sengende sizilianische Sonne, und über allem erheben sich zahllose Heiligenhände.

      Die alte Maria Rossa war eine vom Festland. Sizilien wurde ihre Nachkriegsheimat, und das Dorf Santa Maria in den Bergen hielt sie fest. Ihr Rücken war leicht gebeugt. Sie passte sich schnell an, trug meist einen braunen Rock zu schwarzen Schuhen und schwarzer Mantilla, wie die anderen Frauen. Ihr Gesicht wies manche Falte auf. Daher meinte man, eine Alte vor sich zu haben, aber Maria Rossa zählte vierundfünfzig Jahre. Ihre Augen waren jünger.

      Ihr Auftauchen im Dorf bedeutete damals für die Bewohner ein kleines Ereignis. Im Dorf lebten etwa hundertfünfzig Menschen, und jeder kannte jeden.

      Maria Rossa quartierte sich beim alten Banducci ein, der ihr gern eine. Kammer überließ. Das einzige Fenster der Kammer ließ sich nicht öffnen, und nach den ersten Versuchen zu lüften gab es Maria Rossa auf. Sie war tagsüber selten zu Hause. Abends hielt sie das Fenster ohnehin geschlossen, um die Nebel abzuhalten. Sie meinte, sie seien giftig. Miete brauchte sie nicht zu zahlen, musste aber Banducci die Wirtschaft führen.

      Banducci war ein geduldiger Greis. Er konnte seine Augen, die sich müde gesehen hatten, stundenlang auf einen Punkt richten und lebte von den Dollars, die ihm seine Kinder aus dem fernen und geheimnisvollen Amerika schickten.

      Die Nachbarn fragten ihn manchmal: "Was schreiben sie denn, die Kinder?"

      Banducci und seine Leute gehörten zu den wenigen, die lesen konnten.

      Der Alte antwortete dann stets unwirsch. "Es ist nicht gut dort", schreiben sie. "Es ist schwer zu leben, auch dort."

      Dann lachten die Frager.

      "Das sieht man, wie schwer sie es haben, die Kinder. Wie du lebst, Banducci, du bist fast ein Reicher."

      Das erzürnte ihn. "Was fragt ihr mich dann, wenn ihr es besser wisst? Lasst mich in Ruhe."

      So war es Banducci nur recht, dass Maria Rossa bei ihm wohnte, die keine Fragen stellte. Sie hielt seine Sachen in Ordnung und kochte sein Essen. Sie erzählte mehr, als der Alte von den schweigsamen Bauern gewohnt war, und er pries den Tag, an dem sie ins Haus gekommen war.

      Im Dorf hatte Maria Rossa eine Art Sonderstellung. Die Leute wussten wenig genug von ihr. Es war allgemein bekannt, dass sie in einem ebensolchen Dorf in der Nähe Roms gelebt hatte. Warum sie es verließ, konnte keiner sagen. Sie selbst sprach nie darüber, sagte aber, sie hätte keine Verwandten mehr, und das ist für einen Italiener ein großes Unglück.

      Ihr

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