Unter Piraten. Miriam Lanz
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unter Piraten - Miriam Lanz страница 4
„Nun ja, Prinzessin, dagegen wirst du nicht viel tun können. Bedauerlicherweise ist dies ein Schicksal, dass du wohl mit allen Frauen auf der Welt teilen musst. Aber dennoch ist dir eine Erziehung zu Teil gekommen, von der sehr viele Menschen träumen. Du kannst Lesen und Schreiben, bist des Rechnens und der lateinischen Sprache mächtig und mit deiner Meinung hältst du beim besten Willen nicht an dich …“, versuchte sie Steward zu besänftigen. Obgleich bei seinen Worten ein kurzes Lächeln über die Lippen seiner Nichte huschte, war sie nicht zu beschwichtigen.
„Das mag sein, aber ich werde niemals die Möglichkeit haben zu studieren, so wie du. In einigen Jahren werde ich irgendeinen reichen Mann heiraten, der um ein Vielfaches älter ist als ich und den ich bis zur Hochzeit im Grunde nicht kenne.“
„Jetzt übertreibst du aber…“
„Nein, dass tue ich nicht und das weißt du auch, Onkel!“, rief Gwyn aus und eilte unter Deck.
Andrew Wilde wurde, während er das Gespräch zwischen seinen Passagieren verfolgte, wieder bewusst, wieso er niemals eigene Kinder wollte. Womöglich hätte er dann auch ein solch sonderbares Mädchen zur Tochter und der Gedanke allein jagte dem jungen Kapitän eiskalte Schauer über den Rücken.
Dr. Steward lehnte an der Reling und dachte, auf das unendliche Meer blickend, nach. Vieles, was seine Nichte vorgebracht hatte, war nicht zu leugnen. Gwyn war in vielerlei Hinsicht anders als andere gleichaltrige Mädchen, die sich damit beschäftigten die Eigenschaften der ‚idealen’ Frau zu erlernen, um sich auf ihre spätere Aufgabe als Ehefrau und Mutter vorzubereiten. Gwyn dagegen vermied es tunlichst sich mit dieser Beschäftigung auseinander zusetzen und verbrachte ihre Zeit stattdessen mit geistig hochstehender Literatur.
Sie beherrschte Latein, die Sprache der Gelehrten, außerordentlich gut. Sie liebte es, Diskussionen zu führen und zu philosophieren. Ihr Wissensdurst war kaum zu stillen; sie war bestrebt für alles eine Antwort zu finden. Ein Leben als ‚Leibeigene’, wie sie es schon des Öfteren bezeichnet hatte, würde sie umbringen, das wusste Steward.
Doch in einer Gesellschaft, die das Leben des Einzelnen vorschrieb, wie Steuern oder Gesetzte, bot sich für seine Nichte außer einer Hochzeit nur der Eintritt in ein Kloster an. Dies würde sich für Dr. Stewards impulsive Nichte allerdings als genauso schlimm erweisen. Der Arzt unterdrückte nur mit Mühe ein Seufzen. Er hatte nicht bemerkt, dass Kapitän Wilde neben ihn getreten war.
„Verzeiht Sir, aber das Diner ist aufgetragen und ich hielt es für meine Pflicht, Euch darüber in Kenntnis zu setzten.“ Steward wandte sich langsam von der See ab und nickte.
„Ich danke Euch, Kapitän.“
Der Angesprochene verbeugte sich höflich. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Falls Ihr es wünscht, werde ich mein Diner separat einnehmen.“
„Ihr meint, wegen meiner Nichte? Aber nein, ich bitte darum uns die Ehre zu erweisen mit Euch dinieren zu dürfen!“ Wilde verbeugte sich abermals. Dr. Steward huschte ein Lächeln über die Lippen. Der junge Kapitän war ein höflicher und ausgesprochen eifriger Mann.
In der großen Kabine trafen die beiden Herren auf Gwyn, die aus ihrer Kabine trat. Das Mädchen atmete tief durch, strich sich das Kleid glatt, trat vor ihren Onkel und knickste vor ihm, so wie sie es auf der Mädchenschule gelernt hatte.
„Verzeiht mir meine lose Zunge, Onkel“, sagte sie reumütig. Sie wandte sogar die förmliche Anrede an - dies hatte sie noch nie getan. Der Angesprochene war völlig perplex. Jede andere Reaktion wäre ihm plausibler erschienen. Dass aber seine Nichte vor ihm knickste und sich so förmlich entschuldigte, versetzte ihm einen Stich ins Herz. Er liebte seine Nichte, als wäre sie seine eigene Tochter. Als sie vor annähernd zehn Jahren, nach dem Tod ihrer Eltern, zu ihm gekommen war, war sie wie ein Segen für James Steward gewesen. Nach über drei Jahren voller Einsamkeit und Trauer hatte es die damals Dreijährige in kurzer Zeit geschafft, ihren Onkel aus seiner Depression zu reißen.
Der Grund für diese dunklen Jahre war der Tod von Jane Steward, Dr. Stewards Frau. Nach bereits einigen Fehlgeburten, war sie schließlich mit einunddreißig Jahren ein weiteres Mal schwanger geworden. Doch tragischerweise war dem Paar ein Kind nicht vergönnt gewesen, denn Jane verstarb bei einer erneuten vorzeitigen Sturzgeburt. Dr. Steward, der seine Frau sehr geliebt hatte, gab sich die alleinige Schuld an ihrem Tod und an dem seines Kindes und verfiel in tiefe Depressionen. Zumindest bis zu dem Tag als das aufgeweckte, kleine Mädchen über die Schwelle seiner Villa trat. Seither war seine Nichte der wichtigste Mensch in Stewards Leben.
„Aber nein, mein Schatz“, sagte er sanft und richtete Gwyn wieder auf.
„Ähm, …entschuldigt mich, Sir. Ich…werde Euch nun besser allein lassen", meinte Wilde plötzlich sehr verlegen und wandte sich zum Gehen um. Ihm waren alle Gespräche dieser Art äußerst unangenehm, ganz gleich, ob er sie führen musste oder zuhören.
"Das ist nicht nötig, Kapitän", meinte Dr. Steward knapp, bevor er mit Gwyn in ihre Kabine ging.
„Du musst dich doch wegen unserer Meinungsverschiedenheit nicht entschuldigen, das ist völlig absurd.“ Er hatte die Tür leise geschlossen und schüttelte leicht den Kopf, bevor er sich umwandte und lächelte. „Und außerdem bitte ich dich, mich nicht so förmlich anzureden. Wir kennen uns doch inzwischen lange und gut genug, nicht wahr?“
Gwyn nickte glücklich lächelnd und umarmte ihren Onkel. Sie liebte diesen Mann. Seit dem Tod ihrer Eltern lebte sie bei ihm. Gwyn wusste von der schweren Zeit, die ihr Onkel damals durchlebt hatte und sie wusste auch, dass er durch sie wieder in ein normales Leben zurückgefunden hatte. Aber was sie für ihren Onkel bedeutete, bedeutete auch er für sie. Er hatte ihr geholfen über den Tod ihrer Eltern hinwegzukommen. Gwyn verdankte dem Arzt sehr viel. Er hatte ihr Lesen und Schreiben, Rechnen und Latein beigebracht. Vor allem aber hatte er ihr nie das Gefühl gegeben ein sonderbares Mädchen zu sein - ganz im Gegensatz zu den Lehrerinnen in der höheren Töchterschule, die sie kurzzeitig besucht hatte.
„Na komm“, riss sie Steward aus ihren Gedanken und löste sich aus der Umarmung, “gehen wir essen. Wir sollten Kapitän Wilde nicht so lange warten lassen.“ Er hielt seiner Nichte den Arm entgegen. Gwyn hakte sich bei ihm unter und ließ sich zurück in die große Kabine führen.
Das Diner war bereits aufgedeckt und Wilde und sein erster Offizier Alester saßen schweigend am Tisch. Als sie die beiden Passagiere hörten, erhoben sie sich und Alester rückte Gwyn den Stuhl zurecht. Diese lächelte etwas verlegen, nahm aber Platz.
Nach dem Essen stopfte Dr. Steward seine lange Pfeife und begann mit den beiden Offizieren ein Gespräch über die stetig steigende Zahl der Piratenangriffe auf Handelsschiffe der Krone. Gwyn hörte interessiert zu.
In den vergangenen Monaten wurde das Gespräch immer häufiger auf Piraten gelenkt. Schon bei dem Abschiedsessen in Bristol, an dem sie teilgenommen hatte, drehten sich die meisten Gespräche, die an Tisch geführt wurden, um diese 'Plage' – das war die einheitliche Bezeichnung für Piraten bei hochdekorierten Mitgliedern der Royal Navy. Doch je mehr Gwyn über Piraten erfuhr, desto interessanter fand sie deren Leben.
Schließlich zog der Arzt seine goldene Taschenuhr heraus.
„Es geht schon auf elf Uhr zu. Möchtest du dich nicht langsam zurückziehen?“
Gwyn sah überrascht auf. Sie wusste, dass die Frage ihres Onkels eher als eine Aufforderung zu sehen war. Das Mädchen sah den Arzt mit bittenden, großen Augen an, so als wolle sie ihn nur mit ihrem Blick überreden, länger