Unter Piraten. Miriam Lanz
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Als der Arzt einige Zeit später die Kajüte seiner Nichte betrat, saß Gwyn gedankenversunken und immer noch vollständig bekleidet auf dem Bett und kaute an ihrer Unterlippe.
„Was beschäftigt dich, Prinzessin?“, fragte er und ließ sich neben dem Mädchen auf die Bettkante sinken. Gwyn zuckte leicht zusammen und sah den Arzt verwirrt an.
Steward lächelte: „Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.“
„Glaubst du, Piraten sind wirklich so schrecklich? Ich meine, das, was ich über sie höre, klingt doch eher spannend. Und sicher ist ihr Leben aufregender als das eines Kapitäns der Royal Navy. Ganz zu schweigen von dem einer Frau.“
„Gwyn, denke doch nur mal an deine Eltern. Ich finde ihr Schicksal ist Beweis genug für die Grausamkeit dieser Leute. Aber vermutlich ist ihr Leben aufregender, als das normaler Bürger, denn sonst hätten sie nicht eine so große Anhängerschaft. Ich hoffe nur, du spielst nicht mit dem Gedanken, zur Piraterie überzuwechseln.“
„Ach, Onkel...“ Gwyn lachte auf. „Ich sympathisiere beim besten Willen nicht mit diesen Leuten. Ich versuche nur gerade einen möglichen Ausweg für mein offenbar bereits besiegeltes Schicksal zu finden.“
„Du solltest dir jetzt noch nicht so viele Gedanken darüber machen, Prinzessin. Erstens hast du ohnehin noch einige Jahre Zeit bis zu deiner Vermählung und außerdem kommt es doch häufig anders als erwartet. Ich sollte ja ursprünglich auch Kaufmann werden und nicht Arzt. Ich schlage vor, dass du jetzt ins Bett gehst.“
Gwyn nickte und umarmte den Arzt: „Gute Nacht, Onkel.“
Dr. Steward tätschelte ihr den Rücken. „Gute Nacht, mein Schatz.“
13. Mai im Jahre des Herrn 1713:
Gwyn blinzelte verschlafen, bevor sie nur langsam die Augen öffnete. Sie wusste nicht, wie spät es war oder was sie geweckt hatte, aber ihr Versuch sofort wieder in die Welt ihrer Träume zu sinken blieb erfolglos.
Das Mädchen blieb dennoch regungslos im Bett liegen. Sie fühlte sich müde, beinahe erschöpft, doch ihre wachen Augen fixierten die kleine Laterne an der Decke. Die Kerze war halb hinunter gebrannt; die Wachstropfen waren getrocknet und verliehen der dünnen Kerze ein seltsam anmutendes Aussehen. Doch das war es nicht, was Gwyn mit jedem Augenblick wacher werden ließ. Die Laterne schaukelte heftig hin und her. Fast schein es, als könnte sie jeden Augenblick aus der Ankerung heraus reißen und scheppernd auf den Boden fallen.
'Die Laterne sollte nicht so schwanken. Was ist hier los?'
Die grünen Augen wanderten suchend durch das kleine Zimmer.
Plötzlich erzitterte das ganze Schiff. Gwyn prallte gegen die raue Holzwand.
Ihr Buch auf dem kleinen Tischchen neben dem Bett rutsche von der Platte, bevor der Tisch selbst krachend umkippte.
Gwyn zuckte zusammen.
'Großer Gott!'
Eine zweite Erschütterung jagte durch den Schiffsrumpf. Die Laterne schlug heftig gegen die Decke und zerbarst in unendlich viele Scherben. Gwyn krallte sich an den Laken fest, um nicht aus dem Bett geworfen zu werden.
Die Scherben regneten auf sie herab.
Mit aufgerissenen Augen und kaum zu atmen wagend, schlüpfte sie aus dem Bett. Als sie vorsichtig - beinahe benommen - nach ihren Stoffpantoffeln tatstete, bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten. Sie schlüpfte in den üppig bestickten, schweren Morgenmantel und verließ eiligst ihre Kajüte.
Ihrem ersten Impuls folgend, riss sie die Tür neben ihrer Kajüte auf.
"Onkel,…" Gwyn hielt sich am Türrahmen fast, um unter einer weiteren Erschütterung nicht den Halt zu verlieren, als sie sich in dem Raum umsah. Auch hier war das Mobiliar umgekippt; Bücher und Scherben säumten den Boden.
'Wo bist du, Onkel?'
Das Mädchen hatte gerade die Tür hinter sich ins Schloss gezogen, als eine erneute Erschütterung sie gegen das dunkle Holz warf. Beide Arme gegen den Türrahmen gepresst, warf sie den Kopf panisch von einer Seite auf die andere. Stöhnend rutschten die Stühle durch die große Kabine; scheppernd prallte der große Eichentisch gegen die Außenwand.
Unter dem Türspalt der Heckkabine quoll Wasser hindurch. An den Milchgläsern der Tür und an den Fenstern rann Wasser hinab.
'Ein Sturm!'
Erst vor wenigen Tagen hatte sie ein Gespräch zwischen Kapitän Wilde und Offizier Alester mitverfolgt. Die beiden Männer hatten über das in diesen Breitengraden typische Wetter gesprochen und wie ungewöhnlich es wäre, dass ihre bisherige Fahrt so überaus ruhig verlaufen war, obgleich diese Jahreszeit bekannt für ihre vielen heftigen Wetter und Stürme war.
Eng an die Wand gedrückt tatstete sich Gwyn Schritt um Schritt zum Ausgang der Heckkabine vor. Je näher sie dem Deck kam, desto häufiger drangen vereinzelte Schreie der Männer durch das Tosen des Sturmes bis an ihre Ohren.
'Wo bist du, Onkel?'
Gwyn lehnte schwer an dem in die Wand eingelassenem Regal. Trotz der dünnen Messingstange, die vor den einzelnen Fächern angebracht war, damit die Bücher nicht hinausfielen, war es inzwischen leer.
Das Mädchen glaubte, durch die trüben Gläser die unscharfen Umrisse des Kapitäns zu erkennen. Er stand sicher am Steuerrad, überragte mit seiner Größe alle anderen Männer um ihn herum und tatsächlich war sich Gwyn sicher, den Klang seiner tiefen, lauten Stimme zu hören.
Plötzlich schwang die Tür zur Heckkabine auf.
Ihr Onkel stand im Türrahmen. Er war völlig durchnässt. Er trug keine Perücke; sein eigenes dunkelblondes Haar hing ihm ins Gesicht.
Für einen kurzen Augenblick sah er Gwyn direkt in die Augen. Sorge spiegelte sich deutlich darin.
Plötzlich erbebte das Schiff erneut. Gwyn bohrte ihre Nägel tief in das Holz, um nicht zu stürzen. Wasser schwappte durch die offne Tür, riss ihren Onkel mit sich.
Doch dem Mädchen blieb keine Zeit zu reagieren. Unter ohrenbetäubenden Lärm zersprang die hintere Glasfassade der Heckkabine. Meerwasser flutete den großen Raum. Es trug Stühle und den Tisch fort und zog Gwyn erbarmungslos mit sich.
Sie spürte das Holz unter ihren Händen nicht mehr. Für einen Moment war sie vollständig unter Wasser. Als sie wieder auftauchte, weiteten sich ihre Augen. Vor ihr rutschte der große Tisch über den Rand der Heckkabine ins Meer.
'Großer Gott!'
Doch noch bevor sie reagieren konnte, stürzte auch sie hinab und wurde erneut unter Wasser gezogen. Hustend tauchte sie wieder auf. Das Schiff trieb langsam davon.
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Gwyn lag auf der Tischplatte. Offenbar waren die Tischbeine abgerissen worden. Die schwere Platte ragte nur unwesentlich über die Wasseroberfläche, doch sie war so