Im Schatten des Deiches. Fee-Christine Aks
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Читать онлайн книгу Im Schatten des Deiches - Fee-Christine Aks страница 13
„Wenn du fertig bist“, hört er Sebastian mit belustigter Stimme aus dem Flur rufen, „dann komm in die Gänge, Kumpel. Es ist schon zehn Uhr durch.“
Schweigend schlendert Moritz wenige Minuten später, dick eingepackt in Schal, Mütze, Handschuhe und eine olivgrüne Daunenjacke, die auch den scharfen Wind abhält, neben seinem besten Freund her. Er bemerkt irritiert, dass Basti entgegen der Gewohnheit nicht die gesamte Süderstraße hinuntergeht, sondern an den Bahngleisen nach links abbiegt und dann die Neue Straße hinunter bis zum Rathaus nimmt.
Gerade als sie mit vollen Plastiktüten, in denen sich Lebkuchen für eine halbe Armee nebst Obst, Brot, Aufschnitt und Tee befindet, wieder hinaus auf die Straße treten, sieht Moritz sie. Wie vom Blitz getroffen bleibt er stehen, sodass Basti, der direkt hinter ihm ist, mit ihm zusammenstößt.
„Was ist denn? Warum gehst du nicht weiter?“
Anstelle einer Antwort deutet Moritz die Straße hinauf, wo sie in einiger Entfernung ein beleuchtbares Schild mit dem Wort Polizei darauf sehen können. Doch das ist es nicht, was Moritz schockstarr an den Boden genagelt hat. Vielmehr ist es die zierliche Frau in goldbrauner Daunenjacke und taubenblauer Wollmütze, die soeben aus der Tür getreten ist und nun schnellen Schrittes in Richtung Bahnhof davongeht.
Kurz entschlossen packt Moritz seinen besten Freund am Arm und zieht ihn hinter sich her, immer Lotta hinterher, die schnurstracks auf den Zeitungskiosk neben der Insel-Apotheke zugeht und darin verschwindet. Schon von weitem kann Moritz die heutige Schlagzeile der Borkumer Zeitung lesen:
Lebensgefährlicher Sturm – 1 Tote, 4 Verletzte
Stumm macht er Basti darauf aufmerksam. Der nickt und sieht abwartend zur Tür des Kiosks, durch die in diesem Moment Lotta wieder auf die Straße tritt, unter dem Arm eine zusammengefaltete Zeitung.
Sie wirft einen raschen Blick über die Schulter und geht dann zielstrebig an den Bahnschienen entlang bis zur Fußgängerzone. Moritz und Sebastian folgen ihr automatisch, aber auf der anderen Straßenseite. Als sie die Sparkasse an der Ecke erreicht haben, bleiben sie stehen und schauen sich vorsichtig um. Lotta ist in dem Teegeschäft gegenüber verschwunden.
Während sie noch darauf zugehen und sich die draußen ausgestellten Borkum-Souvenirs ansehen, bemerkt Moritz einen Mann, der weniger an den glasierten Namenstassen als vielmehr an den Kunden im Geschäft interessiert scheint. Auf den zweiten Blick erkennt er, dass es der Mann ist, der Lotta am Schiff sein Rad in die Fersen geschoben hat. Wenn er sich nicht sehr täuscht, dann beobachtet der Mann nicht die quirlige Bedienung, die eine Teekiste nach der anderen aus den Regalen zieht, sondern Lotta, die an den diversen Schwarz- und Fruchttee-Mischungen schnuppert.
Stumm macht Moritz seinen besten Freund auf den merkwürdigen Mann aufmerksam, würde ihn aber am liebsten sofort auf den Mond schießen, als Basti gut gelaunt an den Mann gewandt sagt:
„Ja, das ist sie. Sie können sich gleich bei ihr entschuldigen.“
Der ältere Mann fährt herum und starrt Basti verständnislos an. Dann brummt er irgendetwas über „heutige Jugend“ in den Kragen seines dunklen Wintermantels, macht auf dem Absatz kehrt und geht zügig in Richtung Strandpromenade davon. Erstaunt blicken Moritz und Sebastian ihm nach und wandern langsam über die Bahnschienen hinüber zu den Fahrradständern.
„Komischer Typ“, konstatiert Basti kopfschüttelnd, als der Mann am oberen Ende der Fußgängerstraße verschwunden ist.
Moritz wendet sich um, schaut zum Teegeschäft hinüber und wandert langsam darauf zu. Sebastian tut es ihm gleich und setzt wie auf Knopfdruck sein fröhlichstes Lächeln auf, als er Lotta mit einer kleinen Plastiktüte aus dem Geschäft kommen sieht. Sie duftet nach Rosen, Zimt und Nelken.
„Na, so ein Zufall“, grinst Basti breit und macht trotz der schweren Einkaufstüte einen halbwegs gut gelungenen Diener.
Lotta lacht hell auf und lächelt ihn an. Als sie ihre Reh-Augen Moritz zuwendet und sich das Lächeln schlagartig zu einem Strahlen verwandelt, ist ihm, als ob sein Herz aus seinem Hals springen wolle. Ein, zweimal räuspert er sich, bevor er ein einigermaßen akzeptables „Hallo“ hervorbringt.
*****
Stirnrunzelnd liest Karl Jostermann die Schlagzeile. Einmal, zweimal und dann ein drittes Mal. Der Kaffeebecher in seiner Hand ist vergessen, während er mit seltsamer Distanz die Worte liest, die Gesche zu Papier gebracht hat.
Der Sturm hat Borkum fest in seinem Griff. Auch für die nächsten Tage wird Sturmtief „Engel“ weiter wüten und mit Böen um die 100 km/h über die Insel fegen.
Wie gefährlich es sein kann, sich bei diesem Unwetter allzu weit vom Schutz der Häuser zu entfernen, das beweisen die jüngsten Unglücksfälle.
Gestern nachmittag musste die Freiwillige Feuerwehr Borkum gleich zweimal ausrücken, um zwei vom Sturm verwehte Touristen aus den sumpfigen Dünen am Nordstrand zu retten. Wenige Stunden zuvor hatten die Rettungskräfte einer älteren Insulanerin zur Hilfe eilen müssen, die auf dem Ostland von einem umgestürzten Baum eingeklemmt worden war.
Bereits am Freitagabend wurden im Kurpark ein schwer verletzter Hund und eine ältere Frau mit Kopfverletzung aufgefunden. Der Hund befindet sich auf dem Wege der Besserung, während für die Insulanerin Margit Geedes (58) jede Hilfe zu spät kam. Die Beerdigung findet kommenden Samstag um 14:00 Uhr auf dem reformierten Friedhof an der Deichstraße statt.
Die Kurverwaltung Borkum gibt erneut die Warnung heraus, sich bei diesem Wetter…
Gesche hat Wort gehalten und sich an die Absprache mit Gerrit gehalten. So macht es tatsächlich den Anschein, als ob Margit ein Opfer des Sturmes geworden ist, ohne dass es ausdrücklich so geschrieben steht.
Nur wenige wissen, dass Gesche mit diesen wohlgewählten Worten eigentlich von einem Mord berichtet. Und das ist gut so, denn Karl hat auch so schon mehr als genug um die Ohren. Die Enkelkinder um sich zu haben, ist immer ein Erlebnis, auch wenn sie mit den Jahren zwar älter, aber keineswegs unkomplizierter geworden sind.
Mats erzählt ununterbrochen von seinem Dienst als Arzt im Praktikum am Universitätsklinikum von Hamburg, wo er im Frühjahr sein Physikum machen wird. Anders als vom Vater Martin gewünscht, der Neurologe an derselben Klinik ist, träumt Mats davon, Chirurg zu werden. Karl kann nicht recht verstehen, was dem Jungen solchen Spaß bereitet, andere Menschen aufzuschneiden und in ihren Eingeweiden herumzuschnippeln. Aber solange Mats mit seiner Berufswahl zufrieden ist, soll es ihm recht sein.
Kai wiederum hat sich ebenfalls für Medizin entschieden, will aber Zahnarzt werden. Zunächst muss er sich jedoch, sehr zu seinem Leidwesen, mit seinen Kommilitonen an der Universität Hamburg durch die Grundlagen, inklusive Anatomie und Innere Medizin, quälen.
Die neunzehnjährige Linda schließlich liegt allen ständig in den Ohren, dass sie nach bestandenem Abitur im kommenden Sommer als Au-pair-Mädchen nach Schweden gehen will. Auch wenn sie diesen blonden Surflehrer bis heute nicht vergessen hat, so glaubt sie doch, sich unter den Nachfahren der Wikinger ein nicht minder hübsches Exemplar mit blonden Locken und sonnengebräuntem Athletenkörper aussuchen zu können.
Bisher hat Martin diesem Plan jedoch noch nicht zugestimmt; und Karl glaubt nicht daran, dass er es jemals tun wird. ‚Ein Glück‘, denkt er, ‚dass wenigstens der arme Pelle noch bis Mittwoch bei