Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes - Bettina Reiter страница 11
Annie atmete tief ein, dann berichtete sie, was sich zugetragen hatte. Darüber zu reden tat zwar gut, es hielt ihr aber noch deutlicher vor Augen, in welcher Misere sie steckte.
Als sie geendet hatte, schwieg Jeremy eine Weile.
„Immerhin hat dich der Bursche davonkommen lassen. Demnach ist nicht alles schiefgelaufen. Für alles andere wird sich ebenfalls eine Lösung finden“, redete er Annie schließlich gut zu und tätschelte ihre Hand. „Weißt du, manchmal würde ich deinen Vater am liebsten mit dem Papamobil überrollen. Ein paar Mal hintereinander. Kreuz und quer, von links nach rechts und zum Schluss auf ihm parken.“ Entschuldigend blickte er zum Altar, auf dem einige Kerzen brannten. „Du musstest seinetwegen zu viel aufgeben. Dabei sehe ich immer noch das kleine Mädchen vor mir, das ihren Großvater ständig im Geschäft besuchte.“ Annies Herz zog sich zusammen. „Dad hielt große Stücke auf dich.“
„Umso größer wäre seine Enttäuschung, dass ich seinen Lebenstraum nicht weiterführe.“
„Die Ausbildung als Schmuckdesignerin hast du mit Bravour geschafft. Alles andere liegt leider nicht in deiner Macht, Annie.“ Er seufzte. „Wäre dein Vater nicht ein solcher Trunkenbold, müssten wir erst gar nicht darüber reden. Das Geschäft würde mit dir als Chefin bestimmt florieren, denn du hast eindeutig das Talent deines Großvaters geerbt. Im Gegensatz zu mir. Zwar bin ich ein As im Predigen, mit Kunst habe ich hingegen nichts am Hut. Dahingehend wurde meine Schwester reicher beschenkt als ich. Sie wartet übrigens förmlich darauf, dass du dich zur Abwechslung bei ihr meldest.“
„Warum sollte ich?“
„Weil sie deine Mutter ist?“
„Das hat sie nicht daran gehindert, mich zu verlassen.“
„Sie hat deinen Dad verlassen, nicht ihr Kind.“
„Augenauswischerei. Es kommt beides auf dasselbe heraus.“
„Mary hat sich bestimmt nicht mit Ruhm bekleckert“, räumte Jeremy ein. „Doch über mangelnde Liebe konntest du dich nie beklagen.“ Annie musste ihrem Onkel innerlich beipflichten. Wenngleich zähneknirschend, weil sich ihr schlechtes Gewissen meldete. „Jetzt wäre deine Mom an der Reihe. Statt jedes Gespräch abzublocken, solltest du dir anhören, was sie zu sagen hat.“ Er schwieg erneut, als ob er seine Worte wirken lassen wollte. „Sicher, ihr Handeln mag der Auslöser für eure Situation gewesen sein, doch das hat Mary bestimmt zuletzt gewollt. Gib ihr eine Chance. Deine Mutter leidet.“
„Du verteidigst Ehebruch?“, nagelte Annie ihn fest.
„Ich kenne die zehn Gebote, falls du darauf anspielen willst und natürlich missbillige ich als Pfarrer, was sie getan hat. Als Bruder weiß ich allerdings, wie unglücklich sie war. Es begann mit Sandys Tod. Dein Dad stürzte sich in seine Arbeit als Baumeister, deine Mom wandte sich der Kunst zu und du hast an der Schwelle des Erwachsenwerdens gestanden. Ein junger Mensch, dessen Leben weiterging im Gegensatz zu dem deiner Eltern. Sie schwiegen das Thema buchstäblich tot. Damit begann ihre Entfremdung, die schließlich in dieser Affäre endete.“
„Demnach kann sich jeder nach einem Schicksalsschlag in fremden Betten tummeln und ist über alle Zweifel erhaben? Bloß, weil er einen triftigen Grund dafür hat?“
Jeremy lächelte nachsichtig. „Ich sehe schon, du willst mich nicht verstehen. Trotzdem solltest du darüber nachdenken, ob du deine Mom genauso verurteilen würdest, wenn dein Vater nicht zu trinken angefangen hätte.“
„Hier geht es aber nicht um hypothetische Fragen, sondern um die Realität und die lässt sich nicht schönreden. Weder mit Verständnis für Mom noch mit ein paar guten Worten.“
„Du bedauerst deinen Vater, das leuchtet mir ein. Immerhin lebst du mit ihm zusammen und musst das Elend jeden Tag ertragen. Doch so leid mir Joseph tut, vergeude nicht deine Zeit und opfere dich für ihn auf, denn das würdest du eines Tages bereuen.“
„Das sagt sich so leicht.“
„Mag sein, allerdings sehe ich viel von deiner Mutter in dir. Sie heiratete deinen Vater, weil sie schwanger war. Ihren Traum von einem Kunststudium gab sie dafür auf. Aber wenn etwas so lange präsent war, rächt sich das eines Tages. Weil man irgendwann das Gefühl hat, etwas versäumt zu haben. Womöglich hätte sich deine Mom in ihrer Ehe verwirklicht, nur hat leider jede Miesmuschel mehr Feingefühl als dein Vater. Trotzdem hat sie ihn geliebt. Sehr sogar. Vielleicht liebt sie ihn noch immer.“
Abrupt wandte Annie den Kopf. „Wie kommst du darauf?“
Ihr Onkel räusperte sich. „Nun, sie spricht oft von Joseph und fragt nach ihm. Es ist offenkundig, dass sie sich große Sorgen um euch macht. Mary würde euch auch finanziell gern unter die Arme greifen. Jetzt kann sie es sich schließlich leisten. Ihre Bilder sind in aller Munde.“
„Schön für Mom. Aber wir schaffen es sicher ohne ihre Almosen.“
„Das sind keine Almosen. Sie will vor allem dir helfen.“
„Nein, Jeremy, sie möchte sich mit Geld meine Zuneigung zurückkaufen.“
„Du hast denselben Stolz wie dein Vater“, wurde Jeremy etwas forscher. „Tragischerweise scheint ihr beide zu vergessen, dass ihr ihn euch nicht leisten könnt. Ich an deiner Stelle würde Mary anrufen und sie bitten, euch beizustehen. Wie ich sie kenne, stünde sie bereits morgen vor der Tür. Wer weiß, womöglich würde sie es sogar schaffen, Joseph von der Flasche wegzubringen.“
„Dad würde Mutter sofort zurücknehmen, so sehr liebt er sie“, erinnerte sich Annie an ihr Gespräch in der Küche. „Wenn Mom ihn allerdings so sehen müsste … er würde sich in Grund und Boden schämen. Dad, ein Schatten seiner selbst und sie, die sich mitten im zweiten Frühling befindet. Der Schuss würde nur nach hinten losgehen.“ Annie richtete sich auf. „Beenden wir das unsinnige Gespräch. Die beiden lassen sich scheiden und damit basta.“
„Apropos Scheidung“, wurde Jeremy hektisch, „in einer Stunde erwarte ich ein junges Paar zum Traugespräch.“ Schwerfällig erhob er sich. „Melde dich, wenn du mich brauchst … oder Geld. Viel habe ich nicht, doch es reicht, um euch eine Weile über Wasser halten zu können. Vom Geschäft ganz zu schweigen. Mein Dad hat es dir vermacht und nicht der Bank. Also, wenn ich etwas tun kann, lass es mich wissen.“
2. Kapitel
Das fade Mittagessen lag Jack noch jetzt im Magen. Gebackene Makrele mit Stachelbeersauce gehörte angeblich zu den Spezialitäten Cornwalls und hatte sich vorzüglich angehört. Nur wusste der Koch scheinbar nicht, wie man die Speise schmackhaft zubereitete. Abgesehen davon war das Frühstück ebenfalls ein Hohn gewesen. Dünner Kaffee, harte Brötchen, ein Butterstückchen und Marmelade. Es würde dauern, bis seine Geschmacksknospen nicht mehr beleidigt waren, allerdings wunderte ihn in diesem Hotel gar nichts mehr.
Genervt starrte Jack auf seine Unterlagen. Es gelang ihm nicht, sich darauf zu konzentrieren. Dabei hatte er sich extra in den kleinen Saal gesetzt, weil dieser weniger frequentiert war als das von Küchengerüchen verpestete Restaurant. Vor zehn Minuten war jedoch eine Jugendgruppe eingetroffen. Nun lümmelten einige von ihnen in den unbequemen himmelblauen