Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes - Bettina Reiter страница 21
Ein Ton erklang. Annie schaute auf das kleine Nachrichtenfenster.
Also was ist nun?, schrieb Josie zurück, hast du heute Zeit für mich? Ich muss dringend raus. Bud und Terence bringen mich an den Rand des Wahnsinns.
„Super“, murmelte Annie, „da erzähle ich dir lang und breit von meiner Kündigung und der Sache mit Roger, aber du weißt nichts Besseres, als mich zu fragen, ob wir ausgehen.“ Ich habe kein Geld, tippte Annie ein und drückte auf die Enter-Taste.
Ich schon, kam umgehend die Antwort. George hat eine fette Provision bekommen, die ich auf den Kopf hauen darf. Du bist eingeladen.
Annie starrte auf die Zeilen. Wie peinlich war das denn? Das ist mir unangenehm, stellte sie klar und musste wieder an Flatley denken.
Josies Rückäußerung ließ neuerlich nicht lange auf sich warten: Im Grunde zahlt George, was mir im Gegensatz zu dir nicht unangenehm ist. Schließlich bin ich bald reif für die Klapse und ich brauche ein Gespräch mit meiner besten Freundin. Bitte, bitte, lass mich jetzt nicht im Stich :-(
Na gut, um sechs bei mir, erklärte sich Annie einverstanden, obwohl das schlechte Gefühl blieb. Andererseits war Josie immer für sie da und es schien ihr tatsächlich nicht gut zu gehen.
Super, ich bin pünktlich da. Mach dich hübsch … Küsschen, Josie.
Annie stieg aus dem Programm aus, schloss den Laptop und saß zehn Minuten später in der Badewanne, nachdem sie kurz nach ihrem Vater geschaut hatte. Er schnarchte vor sich hin. Mit der Fernbedienung in der einen und einer brennenden Zigarette in der anderen Hand, die sie im Aschenbecher ausgedämpft hatte. Irgendwann würde er alles niederbrennen. Doch daran wollte sie jetzt nicht denken, sondern alles Schlechte ausblenden. Außerdem freute sie sich darauf, Josie endlich wiederzusehen und verdrängte auch die Sache mit dem Geld. Heute war ihr Abend und den würde sie sich nicht wieder von irgendwelchen Gedanken vermiesen lassen. Schließlich war ihr Leben längst nicht vorbei, auch wenn es sich derzeit so anfühlte. Und nach diesem Tag hatte sie sich ohnehin eine kleine Auszeit verdient.
♥
„Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin, wieder hier zu sein“, erklärte Josie kurz nach sechs, als sie im Aloha saßen. Die Cocktailbar mit hawaiianischem Flair war mit viel Holz eingerichtet, verstaubten Plastikpalmen und künstliche Orchideen an der Decke. Das einzig echte waren die Bedienung und der Blütenkranz, der jedem Gast umgehängt wurde.
„Ist George bei den Kindern?“, erkundigte sich Annie und blickte zu Duncan, der mit flinken Fingern die Saiten zupfte. Laut eigenen Aussagen spielte er im typisch hawaiianischen Stil und nannte sich selbst Slack-key-guitar-Maestro. Sein grauer Haarkranz war wie immer soldatenmäßig geschnitten, er hatte eine fleischige Nase und ein Grübchen am Doppelkinn. Wie seine Frau Minnie hatte auch der waschechte Engländer ein Faible für Schottenröcke und trug sie, wann immer er konnte. Er fand die Kleidung schlichtweg schön, die jedoch in ziemlichem Kontrast zur Musik stand, die er spielte. Duncan wirkte wie ein auf Hawaii gestrandeter Schotte.
„Ja, George hütet die Kids.“ Josie hatte nie betrübter gewirkt. Scheinbar nahm sie die Mutterrolle mehr mit als Annie bisher geglaubt hatte. „Er wird alle Hände voll zu tun haben.“ Sie spielte mit dem gelben Strohhalm, der neben ihrer halbvollen Piña Colada lag.
„Das klingt beinahe schadenfroh.“ Annie warf einen kurzen Blick nach draußen. Das Lokal hatte eine große Glasfront, hinter der sich St. Agnes wie ein Gemälde ausbreitete.
„Und wenn?“, wurde Josie schnippisch. „George ist der Ansicht, dass Kindererziehung wie Sonderurlaub ist. Mal sehen, ob er bei seiner Meinung bleibt.“ Einige Gäste betraten das Lokal und setzten sich in die Nähe der Bar.
„Habt ihr Schwierigkeiten?“
„Sieht man mir das an?“ Josie seufzte, als würde die gesamte Last dieser Welt auf ihre Schultern drücken. Wie üblich duftete sie nach Cerruti, ihrem Lieblingsparfüm. Seit dem sechzehnten Lebensjahr benutzte sie es. Das einzig Dauerhafte in ihrem Leben, abgesehen von ihrer Ehe und den Kindern. Ansonsten war Josie wie ein Chamäleon. Ziemlich frühreif, hatte sie ihre Freunde wie die Hemden gewechselt. Auch beruflich orientierte sie sich vor ihrer Hochzeit immer wieder neu, was ebenso für Religionen galt oder ihren Modestil. Derzeit schien der Ethno-Look stark angesagt zu sein. Sie trug eine Jeans und ein knielanges braungemustertes Kleid mit Bündchen an den Ärmeln. Große goldene Kreolen zogen ihre Ohrläppchen bedenklich nach unten und ihr braunes langes Haar war unter einem roten Turban versteckt. Die Lippen waren grellrot, ansonsten hatte sie auf jegliches Make-up verzichtet.
„Du siehst übrigens gut aus“, sagte Annie.
Josie lächelte geschmeichelt. „Dein Kompliment geht runter wie Öl.“
„George macht dir bestimmt laufend welche.“ Annie dachte neidvoll daran, wie Josie regelrecht von ihm hofiert wurde. Er half ihr stets aus oder in den Mantel, rückte ihr den Stuhl zurecht, fragte nach ihren Wünschen oder hing wie Tarzan an ihren Lippen. Roger war in dieser Hinsicht ganz anders gewesen. „Wie konnte er mir das antun?“, entfuhr es Annie.
Josie legte über den Tisch hinweg ihre Hand auf Annies. „Das wird schon wieder, Kleines. Zur Not kommst du eben nach Penzance. Dort findest du bestimmt einen Mann und ganz nebenbei auch einen Job.“
„Ich möchte aber nicht wegziehen. Meine ganzen Träume sind hier.“
„Schon mal daran gedacht, dass es Träume bleiben könnten?“, hakte ihre Freundin nach.
„Danke für den Zuspruch.“
„Mensch, Annie, ich will dir doch nichts Böses“, verteidigte sich Josie und zog ihre Hand zurück. „Aber manchmal muss man seine Träume fliegen lassen, weil sie zerplatzen wie Seifenblasen, sobald wir sie berühren.“
„Das sagst ausgerechnet du? Diejenige von uns, die immer nach den Sternen gegriffen hat?“
„Umso tiefer kann der Fall sein, glaub mir.“
Toll! Und auf diesen Abend hatte sie sich gefreut. „Bist du gekommen, um schlechte Laune zu verbreiten? In dem Fall kannst du dir die Mühe sparen. Die habe ich nämlich schon.“
Josie wirkte noch bekümmerter als ohnehin und lehnte sich zurück. „Sorry. Momentan bin ich wahrscheinlich die Letzte, die für irgendein Problem die passende Lösung hat. Immerhin bekomme ich mein eigenes Leben nicht mehr auf die Reihe.“
„So schlimm?“ Annies Mitleid kam wieder zurück. „Eigentlich habe ich dich bisher beneidet.“
„Das würde dir sofort vergehen, sobald du in meiner Haut stecken würdest“, stieß Josie aus, bevor sie sich verschwörerisch näherbeugte. „In Wahrheit habe ich mir eine Auszeit genommen. Offiziell bin ich auf Kur, damit die Kinder nicht beunruhigt sind. Nur George weiß, dass ich ein paar Tage bei meinen Eltern bleibe, um meine Gedanken zu ordnen.“
„Was soll das heißen?“ Annie nippte am Strohhalm, wobei sie Josie nicht aus den Augen ließ.
„Dass ich über eine Scheidung nachdenke.“
„Wie bitte?“ Der süße Cocktail schmeckte plötzlich bitter auf Annies Zunge. „Ich dachte, dass ihr glücklich seid.“
„George