Die Kameliendame. Alexandre Dumas

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Die Kameliendame - Alexandre Dumas

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Seine Kerzen waren vollkommen heruntergebrannt, und bevor wir gingen, nahm Armand einen sehr dicken Brief an seinen Vater zu sich, der zweifellos die Niederschrift seiner Gedanken dieser Nacht enthielt.

       Eine halbe Stunde später waren wir am Montmartre. Der Kommissar erwartete uns schon.

       Wir begaben uns gemessenen Schrittes zu Marguerites Grab. Der Kommissar ging voran, Armand und ich folgten ihm in einigen Schritten Abstand. Von Zeit zu Zeit fühlte ich den Arm meines Begleiters krampfhaft zucken, als ob ihn Schüttelfröste durchschauerten.

       Ich sah ihn an. Er verstand meinen Blick und lächelte mir zu. Seit wir seine Wohnung verlassen hatten, war kein Wort zwischen uns gewechselt worden.

       Kurz vor dem Grab blieb Armand stehen und wischte sich große Schweißtropfen von der Stirn.

       Ich benutzte diesen Aufenthalt, um tief zu atmen, denn auch mir war das Herz zusammengepreßt wie in einem Schraubstock. Woher kommt nur die schmerzhafte Lust, die uns bei derartigen Ereignissen anwandelt? Wir kamen zum Grab. Der Gärtner hatte alle Blumentöpfe und auch das Eisengitter entfernt, und zwei Männer hackten die Erde auf.

       Armand lehnte sich gegen einen Baum und sah zu. Nur in seinen Augen schien noch Leben zu sein. Plötzlich stieß eine der beiden Hacken gegen einen Stein. Bei diesem Geräusch zuckte Armand wie elektrisiert zusammen. Er preßte meine Hand so heftig, daß es mich schmerzte. Ein Totengräber nahm nun eine große Schaufel und hob nach und nach die Erde aus. Dann, als nur noch die Steine auf dem Sarg lagen, warf er einen nach dem anderen heraus. Ich beobachtete Armand, denn ich fürchtete jeden Augenblick, er würde durch die heftige Erregung, die ihn ergriffen hatte, zusammenbrechen. Aber er wandte seine Augen nicht vom Grab. Sie starrten, wie im "Wahnsinn weit aufgerissen, und ein leichtes Zittern seiner Wangen und Lippen zeugte von einer übergroßen Nervenanspannung.

       Was mich betrifft, so kann ich nur das eine sagen: ich bedauerte, daß ich mitgegangen war.

       Als der Sarg freigelegt war, sagte der Kommissar zu den Totengräbern: »öffnet ihn.«

       Die Männer gehorchten, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.

       Der Sarg war aus Eichenholz. Sie begannen die obere Seite, also den Deckel, loszuschrauben. Die Feuchtigkeit der Erde hatte die Schrauben verrosten lassen, und es bedurfte einiger Anstrengungen, ihn zu öffnen. Ein widerlicher Geruch durchdrang die Luft, trotz der wohlduftenden Blumen ringsum. »O mein Gott! Mein Gott!« murmelte Armand und wurde noch blasser. Selbst die Totengräber wichen zurück. Ein großes, weißes Leichentuch bedeckte die sterblichen Überreste, die sich darunter abzeichneten. An der einen Seite war das Leintuch fast vollständig zerfressen, und man sah einen Fuß der Toten. Mir wurde beinahe übel. Und jetzt, während ich diese Szene beschreibe, erlebe ich sie noch einmal mit ihrer eindrucksvollen Schauerlichkeit. »Beeilen wir uns«, sagte der Kommissar. Da streckte einer der beiden Männer seine Hand aus, um das Tuch fortzuziehen. Er faßte es an einem Ende und riß es jäh von Marguerites Antlitz.

       Es war schrecklich anzusehen, es ist furchtbar zu erzählen. Die Augen waren nur noch zwei Höhlen, die Lippen waren verschwunden und die Zähne aufeinander gepreßt. Die langen, schwarzen, dürren Haare waren auf die Schläfen gefallen und verdeckten ein wenig die grünen Höhlen der Wangen. Und trotzdem erkannte ich in diesem Gesicht das weiße, rosige und hübsche Antlitz, das ich so oft gesehen hatte. Armand konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Er hatte sein Taschentuch im Mund und zerbiß es. Mir war, als lege sich mir ein Eisenring um den Kopf. Ich, sah alles wie durch einen Schleier, in den Ohren sauste es mir, ich konnte noch gerade ein Flakon öffnen, das ich für alle Fälle mitgenommen hatte, und daran riechen. In meine Benommenheit hinein hörte ich die Stimme des Kommissars, der Herrn Duval fragte: »Sie erkennen sie wieder?« »Ja«, antwortete der junge Mann leise.

       »Dann schließt den Sarg wieder und tragt ihn fort«, sagte der Kommissar.

       Die Totengräber warfen das Leinentuch über das Antlitz der Toten, schlossen den Sarg, hoben ihn jeder an einem Ende hoch und gingen in der ihnen bezeichneten Richtung fort.

       Armands Atem stockte. Seine Augen starrten auf das leere Grab. Er war bleich wie die Leiche, die wir gesehen hatten . . . wie versteinert.

       Ich ahnte, was sich ereignen würde, wenn der Schmerz, den der Anblick zurückgedrängt hatte, hervorbrechen würde, und näherte mich dem Kommissar.

       »Ist die Anwesenheit dieses Herrn«, und dabei zeigte ich auf Armand, »noch notwendig?«

       »Nein«, antwortete er mir, »ich gebe Ihnen den guten Rat, ihn fortzubringen, er scheint krank zu sein.« »Kommen Sie«, sagte ich zu Armand und ergriff seinen Arm. »Was ist?« fragte er und blickte mich an, als würde er mich nicht kennen.

       »Es ist erledigt, wir müssen gehen, mein Freund, Sie sind blaß, Sie frieren, diese Erregungen töten Sie noch.« »Sie haben recht, gehen wir«, antwortete er mechanisch, ohne einen Schritt zu tun.

       Da faßte ich seinen Arm und zog ihn fort. Er ließ sich wie ein kleines Kind fortziehen und murmelte nur von Zeit zu Zeit: »Haben Sie die Augen gesehen?«

       Und er drehte sich um, als rufe ihn dieser Anblick wieder zurück. Häufig blieb er stehen und kam kaum vorwärts. Seine Zähne schlugen aufeinander, seine Hände waren eiskalt, eine heftige nervöse Erregung hatte sich seiner bemächtigt. Ich sagte etwas zu ihm, er antwortete mir nicht. Er war nur noch imstande, sich führen zu lassen. Am Eingang erwartete uns ein Wagen. Es war höchste Zeit. Kaum saß er, da wurde der Schüttelfrost heftiger. Er bekam einen Nervenanfall. Er fürchtete offenbar, mich zu erschrecken und murmelte nur, während er meine Hand preßte: »Es ist nichts, es ist nichts, ich möchte nur weinen können.« Er atmete schwer, seine Augen wurden blutunterlaufen, aber weinen konnte er nicht Ich reichte ihm mein Flakon, damit er wieder zu sich käme, und als wir in seiner Wohnung anlangten, war außer dem Schüttelfrost nichts mehr festzustellen. Mit Hilfe des Bedienten brachte ich ihn zu Bett, ließ in seinem Zimmer feuern und ging zu meinem Arzt, dem ich rasch das Notwendigste berichtete. Er eilte herbei.

       Armand war purpurrot, phantasierte und stammelte unzusammenhängende Worte, von denen nur immer wieder der Name Marguerite zu verstehen war.

       »Nun?« fragte ich den Arzt, als er den Kranken untersucht hatte.

       »Er hat nichts mehr und nichts weniger als eine Gehirnentzündung, und das ist gut, denn ich glaube, Gott verzeihe mir, sonst hätte er den Verstand verloren. Glücklicherweise ist die Krankheit des Körpers heftiger als die Krankheit der Seele. In einem Monat wird er hoffentlich beides überstanden haben.«

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