Blutgefährtin 2. Thomas M Hoffmann
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«Versprochen», sagt er und gibt mir einen Kuss.
Mit einem Lächeln hake ich mich bei ihm ein und wir verlassen zusammen das Zimmer. Der Saal für den Empfang befindet sich auf der linken Seite den Gang runter, also wenden wir uns dorthin. In dem Augenblick, in dem wir fast die Tür des Saales erreicht haben, ertönt ein Schrei hinter uns, der so voll ist von Grauen und Verzweiflung, dass es mir kalt den Rücken herunter läuft.
Wir wirbeln beide herum, um zu sehen, woher der Schrei gekommen ist. Genauso ergeht es anderen auf dem Gang, denn inzwischen haben die Gäste begonnen, ihre Räumlichkeiten zu verlassen. An einem Durchgang, etwa drei Türen jenseits des Zimmers, in dem wir uns aufgehalten hatten, entsteht eine merkliche Unruhe, ein Mann fängt dort an zu schluchzen und zu rufen, offensichtlich in allerhöchstem Entsetzen. Ich blicke zu Pierre, dessen Gesicht plötzlich verhärtet ist, mein Herz klopft heftig, meine Muskeln verkrampfen.
Was ist dort passiert? Pierre scheint sich nicht rühren zu wollen, also ergreife ich die Initiative und eile vorwärts, vorbei an Menschen oder Vampiren, die offensichtlich nicht genau wissen, wie sie sich angesichts der Situation verhalten sollen. Pierre ruft etwas, aber ich ignoriere ihn, jemand weint und klagt und ich habe bislang keinen Vampir getroffen, der sich so verhält. Also muss es ein Mensch sein.
Der Durchgang, an dem all die Unruhe entstanden ist, ist der Eingang zu einem weiteren Zimmer. Ich dränge mich zu dem Eingang, der durch verschiedene Personen blockiert ist. Kaum habe ich freie Sicht, bleibe ich ebenfalls geschockt stehen, die Hände vor den Mund geschlagen, um nicht aufzuschreien. In dem Zimmer liegt eine Mumie, ein Toter oder eine Tote, die aussieht als wäre sie bereits über 100 Jahre tot. Ich kenne diese Art von Mumien, das da war ein Vampir gewesen. Und da seine sterblichen Überreste zu sehen sind, kann das nur eines bedeuten. Er oder sie wurde von einem anderen Vampir getötet, getötet durch Aussaugen.
Vor der Mumie hockt ein Mensch, ein Mann, die Stirn auf den Boden gelegt, in allergrößter Verzweiflung weinend. Ich kenne den Mann flüchtig, er ist einer aus dem Bekanntenkreis von Germaine, er war heute in unserer Gruppe mit dabei, hat aber nicht viel gesagt. Seine Vampirin ist Schatzmeisterin bei Louis. Nur sein Name will mir nicht einfallen. Seine Vampirin ist Schatzmeisterin? Nach dem, was ich sehen kann, war sie die Schatzmeisterin, denn offensichtlich ist diese Mumie der Überrest seiner Vampirin. Ich habe sie vor gar nicht einmal zwei Stunden noch auf dem Empfang gesehen.
Grauen erfüllt mein Herz. Eben noch war sie eine lebendige, freundliche Vampirin gewesen, eingebunden in eine feste Beziehung zu ihrem Blutgefährten, der sie offensichtlich von ganzem Herzen geliebt hat. Und jetzt ist sie tot, getötet von wem auch immer. Der grausamen Welt der Vampire zum Opfer gefallen, so wie es vor eineinhalb Jahren auch Pierre fast ergangen wäre. Ich kann die Trauer dieses Mannes nachempfinden, wenn Pierre so vor mir läge, dann wäre ich nicht bloß traurig, ich wäre zerstört.
Ich kenne den Mann nicht wirklich, aber es erfasst mich eine Traurigkeit, als hätte ich ihn und seine Vampirin schon lange gekannt. Keiner der Umstehenden scheint sich rühren zu wollen, also trete ich nach vorne, knie neben dem Mann nieder und lege ihm eine Hand auf die Schulter. Ob ich irgendetwas sagen soll? Mir fällt nichts ein, deshalb schweige ich. Der Mann scheint durch seinen Schmerz hindurch meine Berührung wahrzunehmen und richtet sich auf. Sein tränenüberströmtes Gesicht wendet sich mir zu, er schaut mich an, als wäre alle Kraft aus ihm entwichen. Ich bin mir nicht sicher, ob er mich erkennt, aber ich finde es wichtig, dass jemand bei ihm ist.
Plötzlich werden seine Augen groß, sein Gesicht verwandelt sich in Sekundenbruchteilen von mutloser Trauer in grenzenlose Wut. Bevor ich überhaupt begreife, was vor sich geht, schießen seine Hände vor, packen mich am Hals und ich werde von seinem Gewicht zu Boden geworfen. Er wirft sich auf mich, fängt an zu schreien.
«Warum? Warum habt ihr sie umgebracht? Was hat sie euch getan, dass ihr sie töten musstet? Sprich endlich, sag es mir. Warum, warum nur?»
Seine Finger drücken mir die Luft weg, Panik schießt durch meinen Körper, ich kann nicht mehr atmen, geschweige denn etwas sagen. Verzweifelt zerre ich an seinen Fingern, aber gegen seine wahnsinnige Wildheit komme ich nicht an. Die Welt fängt an sich zu drehen. Luft! Ich muss Luft holen. Mit aller Kraft versuche ich zu atmen, aber seine Finger drücken unbarmherzig zu. Er schreit weiter wie ein Verrückter.
Dann ist das Gewicht plötzlich weg, seine Finger lösen sich von meinem Hals und ich kann endlich keuchend Luft holen. Ich muss ein paar Mal tief ein- und ausatmen, bevor ich in der Lage bin zu begreifen, was eigentlich vor sich geht. Pierre steht schützend vor mir, er hat den Mann von mir gerissen und zur Seite gestoßen, so dass er an der Wand zusammengesackt ist, immer noch wimmernd.
«Warum, warum nur?»
Keuchend und voller Entsetzen starre ich ihn an. Was hat er? Warum hat er mich angegriffen? Ich kann nur vermuten, dass der Schmerz ihn wahnsinnig gemacht hat. In diesem Augenblick drängt sich jemand nach vorne, den ich als Jean erkenne, der Vampir von Germaine. Er bleibt einen Moment stehen, um die Lage zu erfassen. Dann kniet er bei der Mumie nieder und untersucht sie. Was immer seine Erkenntnisse sind, sein Blick geht anschließend zu dem Mann.
«Weißt du, wer ihr das angetan hat, Sorrano?»
Die Stimme des Vampirs ist beherrscht und sachlich, er ist jemand, der auch in kritischen Lagen die Nerven behält. Er muss seine Frage noch einmal wiederholen, bevor der Mann, der offensichtlich Sorrano heißt, reagiert. und seinen leeren Blick Pierre zuwendet.
«Er. Er war es. Aber ich weiß nicht warum.»
Der Schock durchfährt mich wie ein Blitz. Wie kommt er dazu, Pierre zu beschuldigen? Pierre war die ganze Zeit bei mir, diese Behauptung ist eine glatte Lüge. Ich öffne meinen Mund, um ihm zu widersprechen, aber Pierre ist schneller.
«Das ist eine Lüge. Ich war die ganze Zeit hindurch mit meiner Blutwirtin zusammen in unserem Ruheraum. Ich habe diese Vampirin kaum gekannt und heute auch nicht direkt mit ihr gesprochen.»
Jean blickt uns nachdenklich an und wendet sich dann wieder Sorrano zu.
«Hast du irgendwelche Beweise für deine Behauptung?»
Sorranos Gesicht ist inzwischen wieder von Wut verzerrt.
«Als Yvonne das Zimmer verließ hat sie gesagt, dass sie sich mit dem Gesandten treffen wolle, um eine geschäftliche Angelegenheit zu klären. Hier gibt es nur einen Gesandten und das ist der da.»
Die Menge um uns herum hat dem Geschehen bisher lediglich zugeschaut, aber nach diesen Worten schlägt die Stimmung plötzlich um, es sind gemurmelte Kommentare zu hören, die ich kaum verstehe, aber der Tonfall ist nicht freundlich. Mehrere Vampire drängen sich nach vorne, darunter einer, den ich nicht kenne, der jetzt das Wort ergreift.
«Was willst du wegen dieses ungeheuren Mordes unternehmen Jean? Ein Mitglied unserer Gemeinschaft ist von einem wie dem da getötet worden.»
Jean erwidert diese Anschuldigung vollkommen ruhig.
«Es gibt keine Beweise dafür, dass Pierre der Täter ist.»
Damit deutet er an, dass das Wort von Pierre schwerer wiegt als das Wort eines Menschen, wie Sorrano. Zum ersten Mal bin ich froh über diese Diskriminierung in der vampirischen Gesellschaft. Doch das scheint die anderen nicht zu stören. Manche fangen an zu schieben, noch mehr Unruhe entsteht, einige Rufe ertönen.
«Diese Amerikaner wollen uns doch nur beherrschen.»
«Einen