Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh

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Die Gabe des Erben der Zeit - Georg Steinweh

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hatte die Absicht, das ganze Bodenseeufer zu erobern, zu vermarkten, zu versilbern. Ihre Strategien sollten einer Gelddruckmaschine für Lüti-Boden gleichkommen. Diese Maschine wollte mit Informationen, Ideen, Visionen gefüttert werden. Der Chef brauchte einen Jungbrunnen. Mit ihren 34 Jahren präsentierte sie ihm eine komfortable Mischung aus Profession und Phantasie. Als Projektleiterin und Geliebte fiel es ihr leicht, damit in beiden Bereichen zu glänzen.

      Ihre Eltern - Renie war auf dem Weg zu Ihnen - waren vor Stolz nicht mehr zu bremsen. Wussten sie doch nur von der einen Hälfte des Engagements ihrer Tochter. Nicht jeden Tag schaffte es ein Mädchen aus Sankt Josefen, in einer der in der Wirtschaftswelt anerkanntesten Universitäten einen Studienplatz zu bekommen. Eine Menge Äcker hätte der Bauer verkaufen müssen, um die Uni zu bezahlen. Sie schaffte es irgendwie auch so.

      Heute war ein guter Tag. Wie die meisten der gemeinsamen Wochenenden, an die sie gerne, aber ohne Sentimentalität dachte. Trockene Bässe verfingen sich in den straßensäumenden Kiefern des Wäldchens von Au bis Frauenfeld. Auch durch Fischingen dröhnte Nate Dogg. Verkündete seine Botschaft ungefragt in Sirnach, verfolgt von verständnislosen Blicken verschreckter Wanderer.

      An der einzigen roten Ampel in Frauenfeld machten sie fünf Halbwüchsige an, die sicher täglich eine halbe Stunde vorm Spiegel standen, so akkurat waren die Bärtchen rasiert. Die Jungs groovten zu Nate Doggs Rhythmen brav über den Zebrastreifen, gierten aber zu Renie, als würden sie am liebsten zu ihr ins Cabrio springen. Das Paket hätte ihnen sicher gepasst: eine blonde Braut, ein roter Schlitten, schwarze Musik.

      ‚Und wovon träumt ihr nachts, Jungs?!’ dachte sie beim beschleunigen und ließ den Jungs nichts als ein kraftvolles Röhren des Motors zurück.

       Sonntagnachmittag

      

      Monoton brummte der Außenborder. Der hochgezogene Bug schnitt leicht durch die schäumenden Kronen. Unmerklich passierte Fred die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland. Ähnlich mühelos glitt seine Stimmung in gelassene Bahnen, sein Ärger verlor, verwirbelte sich in den Heckwellen.

      Wie wohl das Wasser tat, wurde Fred erst nach vielen Tagen bewusst. In der Zwischenzeit ließ sich der See nicht beirren und arbeitete mit der ihm eigenen Wechselhaftigkeit weiterhin an Freds Wohlbefinden. Aufgewühlt, unstet, mindestens verärgert - so wäre Freds Verfassung zu beschreiben. Er musste sich regelrecht zwingen, zu entspannen. Zwei, drei Stunden in einem Schweizer Ufercafé zu sitzen, die eine „ZEIT“ lesen und die andere dabei verstreichen lassen war nicht gerade das, womit er sich meist beschäftigte.

      Konrad Keller muss sich mit Einstein beschäftigt haben. Fred Keller blieb nicht nur das völlig verborgen. Schließlich hatten sie 18 Jahre Zeit, sich ihr Leben vorzuenthalten. Zumindest das war ihnen gleichermaßen gut gelungen.

      An zwei Buchrücken erinnerte sich Fred, auf denen der Name Einstein auftauchte. Aber wo, fiel ihm nicht ein. Wie wenig er doch wusste. Wie wenig er wissen wollte von seinem Vater.

       Absurd: ein Bodenseefischer beschäftigt sich mit Einstein... hätte sich besser um seine Zucht gekümmert. Was ihn da wieder geritten hatte?

      Genug jetzt.

      Fred drosselte den Motor, langsam neigte sich die Bootsspitze dem Wasser entgegen. Mehr verborgen als gut einsehbar schienen Fassaden zwischen der wild wuchernden Uferbepflanzung durch. Einige bescheidene Holzhäuser, gut und gerne mehr als hundertfünfzig Jahre alt, daneben ein futuristischer Betonkeil, getrieben in die wehrlose Natur. Weiter östlich ein Glasufo, weit über den See ragend. Alles gleichermaßen versteckt, kokett verborgener Reichtum hinter kupferbedampftem Glas.

       Schlimm genug, daß die Bebauungsrichtlinien offensichtlich ähnlich unterspült werden wie die Uferbefestigungen vom Wellenschlag. Muss man unbedingt jede Geschmacklosigkeit, die sich bezahlen lässt, genehmigen?

      Fred war nicht neidisch auf die Protzerei geschmacksresistenter Geldaristokraten. Das war ihm fremd. Zumindest mit diesem allzu menschlichen Attribut musste er sich nicht auch noch rumschlagen. Er hatte eine äußerst liberale Haltung zu Geld und Statussymbolen. Wenn sich jemand etwas erwirtschaftet hatte, sollte er es auch zeigen dürfen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Nur schön sollte der Erwerb schon sein.

      So wie seiner.

      Fred fabulierte vor sich hin. „Diskretes Anwesen. In exponierter Ortsrandlage, seit Generationen in Familienbesitz, direkt am See und mit natürlichem Schilfbestand“. So oder ähnlich könnte der gefällige Verkaufstext eines Maklers klingen, der sich auf Seegrundstücke spezialisiert hatte.

       Würde mich schon mal interessieren, in welche Höhen die Gebote für meine Burg steigen könnte.

      Verkaufen.

      Falkenstein schien nicht abgeneigt, diesbezüglich tätig zu werden.

      „Ihr Vater ist tot, das Leben geht weiter. Erlauben Sie mir, Ihnen meine Dienste anzubieten, egal, in welche Richtungen Ihre Gedanken über die Erbschaft gedeihen werden. Zeit heilt alle Wunden. Sagt man das nicht so schön?“

       Verkaufen wäre womöglich das heilsamste Pflaster.

      Sein Bauch verbot ihm, Falkenstein mit Verkauf oder Verpachtung zu betrauen. Der Mann war ihm nicht geheuer. Sicher äußerst professionell und geschickt, aber vielleicht zu geschickt. Er traute ihm nicht. Nach der Testamentseröffnung erkundigte sich Fred nach Verkaufschancen. Befürchtete mögliche Sperrfristen, Verkaufsauflagen, Stiftungsprioritäten.

      Nichts von alledem. Einmal mehr verstand er seinen Vater nicht.

       Könnte sich doch denken, daß mir Haus und Hof nichts bedeuten.

      Und so schrie Fred den vom nahen Ufer anfliegenden Möwen die eine Frage entgegen, die ihn hier draußen umtrieb:

      „Warum hast Du mich nicht einfach enterbt?“

       Sonntagnachmittag

      

      Lang hielt die beruhigende Wirkung der Bootsausflüge nicht an. Vom Außenborder trieb es Fred direkt ans Steuer des Cabrios, der milde Spätnachmittag wollte genutzt werden. Fred schaute zum Himmel, keine stabile Wetterlage. War das zu all seinen negativen Erlebnissen eine der wenigen positiven Erfahrungen, die Veränderungen des Bodenseewetters erkennen zu können? Ein Hoffnungsschimmer, trotzdem eine Fehleinschätzung.

      Fahren, bewegen, nur kein Stillstand. Wie ein Magnet besaß dieses Haus zwei Pole. Obwohl Fred sich redlich bemühte, selbst Hand anlegte und der Gaststube mehr und mehr die erinnerungsträchtige Patina unter dem ganzen Dreck freilegte, spürte er meist nur den abstoßenden Pol.

      Alles war besser als im Haus zu sitzen. Also fuhr er ziellos durch die Gegend. Und wieder war es nach wenigen Minuten soweit: die Landschaft berührte ihn. Jede noch so kurze, durch die Jahre verwilderte Allee mitten in den Feldwegen hatte einen Zweck, jede Obstbaumwiese fing den Blick auf dem Weg zum See. Vorbei ging es an weit im Feld liegenden Höfen, die nur durch einen überdimensionierten Briefkasten an der Wegmündung ein bescheidenes Zeichen setzten. Wenige hundert Meter später eine scheinbar willkürlich aus der Natur geschabte Parkbucht, eine Bushaltestelle für stets müde Pendlerkinder. Zeugen dünner Besiedlung.

      Es

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