Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh
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Читать онлайн книгу Die Gabe des Erben der Zeit - Georg Steinweh страница 21
Lag es an Mara? Am See? Wenn er gewusst hätte, daß und warum er seit vielen Nächten schlafwandelte und er deshalb tagsüber unausgeschlafen und mürrisch war, wäre ihm spätestens jetzt klar geworden: letzte Nacht war er nicht durchs Haus gezogen, sondern hatte seelenruhig geschlafen.
Im Gegensatz zu Fred hatte Mara offensichtlich ein Ziel. Und davon wich sie nicht ab.
„Mir hat´s so gut getan, wenigstens mal ein bisschen was loszuwerden, weißt, einem Menschen gegenüberzusitzen, dem ich einfach mal vertrauen kann. Mir war einfach danach. Aber in dir muss es doch auch ganz schön brodeln. Wenn nur die Hälfte stimmt, von dem, was man so hört.“
Das ist nicht die Mara, die ich mal kannte.
Kannte er sie wirklich? Hatte er irgendein Mädchen erkannt, damals, oder hatte er Mara einfach mitgenommen, wie so viele? Aber womit sie gerade köderte, lockte ihn doch.
„So. Was hört man denn?“
Fred musterte Mara aufmerksam und entdeckte keinen Vorwurf in ihrer Stimme.
Womit sie das Boot versenken könnte.
Fred lächelte.
Warum fühl ich mich in ihrer Nähe so geborgen? Langsam glitt sein Lächeln nach innen.
War es ihre Gegenwart, die ihn seine Vergangenheit ertragen, die Zukunft gelassener betrachten ließ? Sie schaute ihn einfach an.
Und wartete.
„Ich muss mich heute entscheiden.“
Fred fixierte den Steuerarm und ließ das Boot im Standgas dahintuckern. Mara schob eine widerspenstige Locke aus dem Gesicht, als wolle sie Fred nun endlich den Blick auf sich freigeben. „Bleibe ich hier oder gebe ich dieses Unwesen auf.“
Sie lächelte über diese kleine Freudsche Fehlleistung. „Unwesen?“
Fred wischte den Fehler mit einer fahrigen Handbewegung aus dem Raum zwischen ihnen. „Das Haus. Diese Muttererde, wie mein Vater dauernd sagte. Wurde nicht müde, immer und immer drauf rumzureiten. Da, wo ich seiner Meinung nach hingehöre. Und jetzt weiß ich nicht, ob ich mir das Alles antun soll!“ Seine Hände klatschten auf die Schenkel, sein Ärger war auf dem Weg.
„Du kannst dir nicht vorstellen... dieses, dieses Haus nervt mich! Jede Nacht, jeden Morgen... ich wach auf... bin völlig gerädert... heut mal ausnahmsweise nicht. Irgendwas schikaniert mich oder kämpft gegen mich, wenn ich schlafe... hab Alpträume, an die ich mich nicht erinnern kann.“ Erschöpft ließ Fred die Schultern hängen.
Nachdenklich ließ Mara Freds Worte im Wind verklingen, sie war zu klug, um eine flüchtige Meinung wie ‚Was ich an deiner Stelle tun würde...’ nachzuschieben.
Für ein paar Sekunden, ein paar Wellenschläge schien es, als dächten sie gemeinsam über einen Ausweg nach.
„Entschuldige, wenn ich so direkt frage, aber... aber kannst du dir vorstellen... bist du eher dagegen, zu bleiben, weil dein Vater dich so energisch halten will?“ Für Mara lag die Frage auf der Hand.
Fred vertraute. Er bekannte. Erzählte. In notwendiger Kürze von seiner Zeit in Colmar, von seinem Restaurant in Bacharach, in epischer Breite von den letzten drei Wochen. Vom Notar, der ihn schleimig und zuvorkommend wie er war zu bestimmten Entscheidungen verführen möchte. Vom Haus, das ihm auf unerklärliche Weise schwer machte, sich wohlzufühlen. Vom See, auf dem er sich auf eigentümliche Weise beruhigt und klar fühlte. Der ihn, wie nach einem verschlüsselten Ritual, mal mit einem erfreulichen Telefongespräch, mal mit frischer Kraft versorgte.
„Wie jetzt mit dir...“
Nahe am Boot segelte eine Horde Möwen, in der Hoffnung, gefüttert zu werden oder Abfälle zu ergattern. So waren sie es gewohnt, so hatte es zu sein. Enttäuscht stiegen sie irgendwann höher, entfernten sich mit wenigen Flügelschlägen und betrachteten aus großer Höhe verwundert den Kreis, den das Boot in den See malte.
Mara begleitete die Möwen. Verschaffte sich in Gedanken den Überblick, den Fred als Betroffener nicht haben konnte. Er drehte sich störrisch im Kreis. Das ahnte sie, eher daraus, wie er erzählte, als, was er erzählte. Für sie war Notar Falkenstein ein zwielichtiger Zeitgenosse. „Der hat in jedem größeren Immobiliengeschäft seine Finger drin. Ein ganz gewiefter Erbschaftsabwickler ist das, kann ich dir sagen. Ständig werden Familienbesitze aufgekauft, Wohnrechte umgewandelt. Bei uns war er auch schon. Ein gutes Angebot hat er gemacht, verdammt gut. Aber was hätten wir dann gehabt? Ein Sack voll Geld ist kein zuhaus."
„Und wer kauft das alles? Privatleute? Firmen?“
„Weiß ich doch nicht! An seine Bürotür schlägt er’s jedenfalls nicht an! Vielleicht an irgendwelche Strohmänner auf seinen Verdischen Inseln.“ Mara versuchte, mit einem kleinen Witz die Stimmung aufzulockern, aber Fred war zu konzentriert, um sein eigenes Lächeln zu spüren.
Der Außenborder hielt die Bewegung, die Möwen stellten unschlüssig ihre Flügel gegen den Wind und schwebten über den Kreisenden.
„Unser Gasthaus liegt ja nicht gerade in deiner Nähe, aber vielleicht genieren sich grad deswegen die Leute nicht, sich das Maul über dich zu zerreißen.“ Bei dem Gedanken daran fröstelte es Mara.
„Die Menschen sind ungerecht. Haben keine Ahnung, mischen sich aber in alles rein, anstatt sich um ihren eigenen Dreck zu kümmern!“
Freds Blick war irgendwo da draußen, suchte die Wahrheit. Und wenn es nur die momentane wäre. Ein leerer Blick, der sich voller Erwartung auf den Weg machte, zu erkennen.
...anstatt sich um ihren eigenen Dreck zu kümmern, klang es in ihm nach.
„Denen wär´s sicher lieber, ich würde gehen. Besser heut als morgen. Vielleicht erinnere ich sie zu sehr an meinen Vater. Keine Ahnung.“ Fred öffnete die verkrampften Hände, seine Knöchel waren weiß von der Anspannung. Abwesend schaufelte er eine Hand voll Wasser in die Luft. „Tja. Bis gestern hat mir der See gut getan.“ Fast nachsichtig sagte er das, als befürchtete er, von diesem See belauscht zu werden, der sich daraufhin beleidigt zurückziehen könnte. Auch deshalb richtete er seine Einschätzung nicht nur an Mara, sondern irgendwohin, wo sie nicht stören konnte.
Schwungvoll verbannte Mara ihre Locken hinter die Schultern. Hielt den Kopf schräg und suchte eine Mimik, um sein Gefühl zu treffen.
„Vielleicht kann ich dir ja ein bisschen helfen? Und wenn’s hierbei ist.“ Dabei tippte sie mit der Fußspitze wippend an Freds Korb, bis die Bücher auf den Kuchen kippten.
Mara wusste in einigen Bereichen ihres Lebens auch nicht genau, was sie wollte, aber was sie sicher nicht wollte, war ein Verhältnis mit Fred. Sie fühlte sich von ihm angezogen, das lag an der unausgewogenen Mischung zwischen chaotischer Fahrigkeit und etwas zu überzeugend demonstriertem Selbstbewusstsein. ‚Da muss ja einiges im Argen liegen bei dem armen Kerl’.
Fred wiederum wollte auf keinen Fall mit Mara anbandeln, dümpelte wie ein Stück Treibholz im See, auf der Suche nach der richtigen Strömung. Mara litt an den Spätfolgen familiärer Verstrickungen. Das verband. Sie verstand Fred, sie mochte ihn. Fred mochte Mara auch, verstand sie aber nicht.
Fred