EIN ZACKEN AUS DER KRONE. Frank Solberg

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EIN ZACKEN AUS DER KRONE - Frank Solberg

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„Und wann ist es soweit?“

      „Am 10. Dezember“, antwortete sie prompt.

      „Kann man das auf den Tag vorhersagen?“, fragte ich überrascht.

      „Natürlich“, ihre Bestimmtheit schloss jeden Zweifel aus. Sie ist sehr präzise in diesen Dingen, ich sagte es bereits. „Aber vorher müssen wir noch renovieren“, ließ sie mich dann unvermittelt wissen.“

      Ich verstand nurmehr Bahnhof. „Was müssen wir?“, fragte ich entgeistert.

      „Na, renovieren. Es ist nämlich keine Neubauwohnung, aber trotzdem ein schnuckeliges, kleines Nest. Mit etwas Farbe, Kleister und Tapeten richten wir uns das herrlich ein. Du wirst sehen.“

      Ich hatte den Eindruck, dass der Zug ohne mich abfuhr. „Ich meine, wann das Baby kommt?“, startete ich einen letzten Versuch der Verständigung.

      Meine über alles Geliebte sah mich an, als hätte ich meine goldene Uhr – ein Geschenk von Onkel Ewald – gegen eine ungültige Kinokarte umgetauscht. „Bist du verrückt geworden?“, erkundigte sie sich spitz. „Wer hat von einem Kind gesprochen?“

      „Aber hattest du nicht gesagt“, wandte ich ein, „wir müssten heiraten?“

      Sie war plötzlich wieder oben auf. „Natürlich, aber nur deshalb, du Schaf, weil wir die Wohnung sonst nicht kriegen. Am 10. Dezember ziehen wir ein. Und heiraten werden wir am 5.“ Sie war sehr präzise und zielstrebig in diesen Dingen, ich habe das schon mehrfach ausgeführt. Auf jeden Fall war ich geschlagen (ein Gefühl, das mir später noch des Öfteren zuteil werden sollte).

      Flittern konnten wir damals nicht. Dazu fehlte das Geld, das wir dringend für die Einrichtung der Wohnung brauchten und obendrein die Zeit, die wir ebenfalls für die Einrichtung der Wohnung benötigten.

      Wir zogen planmäßig ein. Neun Monate später war ich Vater. Sie wissen schon: meine liebe Gattin ist äußerst genau in diesen Sachen.

      Zermürbungstaktik

       Der liebe Gott wird gewusst haben, warum er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben hat. Mann und Frau alleine, gut. Aber Kindergebrüll?Aus wäre es mit der himmlischen Ruhe. Es ist nun einmal erwiesen, dass ältere Herrschaften sensibel auf Geräusche reagieren oder schlechthin allergisch sind gegen Kinderlärm (ausgenommen natürlich bei den eigenen Enkeln).

      Unsere Erst- und Einziggeborene war eigentlich ein pflegeleichtes Kleinkind. Gut, sie schrie, wenn sie Hunger hatte, wenn sie nass war, wenn sie sich einsam fühlte oder wenn ihr etwas nicht passte. Aber das war selten der Fall; im Durchschnitt gab sie drei bis vier Stunden pro Tag Ruhe. Wir hätten nicht unzufrieden sein müssen.

      Unsere kleine, schnuckelige Wohnung befand sich in einem Zweifamilienhaus. Die Vermieter waren nette ältere Leute, allerdings etwas lärmempfindlich, wie sie uns bei Unterzeichnung des Mietvertrages wissen ließen.

      In den ersten neun Monaten nach unserem Einzug lief alles recht glatt, wobei wir uns Mühe gaben, Geräusche zu vermeiden. Oberbetten und Kopfkissen wurden morgens nicht ausgeschüttelt, weil das ein leichtes dumpfes Knallen erzeugte. Wir entschieden uns für tägliches Wechseln der Bettwäsche, auch hygienische Gründe sprachen dafür.

      Zum Frühstück aßen wir ausnahmslos Schnittbrot, denn eine Schneidemaschine sorgt doch für eine höhere Phonzahl und selbst die Benutzung eines Messers, zumal in ungeschickten Händen, verursacht unangenehme Geräusche. Gleiches gilt beispielsweise für ausgiebiges Zähneputzen (mit anschließendem Gurgeln) und für viele andere unnütze Angewohnheiten des täglichen Lebens.

      Kurzum, wir waren die idealen Mieter, und es wäre alles störungsfrei und friedlich weiter gelaufen, hätten wir nicht Nachwuchs bekommen. Natürlich freuten sie sich mit uns die Vermieter; sehr süß die Kleine und so lieb – und so ruhig. Kunststück, unsere Tochter schlief, als wir sie ins Haus trugen.

      Das Drama begann etwa zehn Minuten später, als sie aufwachte. Hunger, nasse Windeln, Einsamkeit, die ungewohnte Umgebung? Wir wussten es nicht, aber es war auch gleichgültig.

      Das arme Kind hatte kaum den Mund aufgemacht, da läutete es. Draußen stand der Vermieter, zornesrot im Gesicht. Ob es denn nicht etwas leiser ginge? Seine Frau habe sich gerade hingelegt und jetzt dies. Man könne ja schließlich Rücksicht erwarten. Dann dampfte er ab.

      Die Besuche an unserer Wohnungstüre häuften sich und unsere Beziehungen kühlten merklich ab. Der Fall eskalierte. Unsere Tochter konnte gar nicht so schnell plärren, wie geklingelt wurde.

      Es war ein abwechslungsreiches Spiel. Mal brachte er, der Vermieter die Proteste vor, mal seine Frau. „Die bleiben“, so mutmaßte mein Eheweib, „bestimmt im Flur stehen, damit sie sofort reagieren können.“

      Die Vermutung erwies sich als annähernd zutreffend. Das Vermieterpaar hatte sich organisiert; einer von beiden befand sich immer auf Horchposten, direkt vor unserer Wohnungstür, ausgerüstet mit Klappstuhl, Klapptisch, Kofferradio und Warmhaltekanne.

      Das Ganze bekam also System. „Reine Schikane“, befand meine Gattin, „die wollen uns raus ekeln, weil sie uns nicht kündigen dürfen.“

      Aber was sollten wir dagegen unternehmen? Wir erwogen gerichtliche Schritte, etwa gegen Verletzung der Intimsphäre. Jedoch, war das eine Lösung? Die Wohnung war uns zu wichtig, wir brauchten sie und wollten sie behalten.

      Wir beschlossen zu kämpfen. Als es das nächste Mal klingelte, blieben wir standhaft. „Die sollen schellen, bis sie schwarz werden“, entschied ich. „Wir öffnen einfach nicht mehr. Vielleicht geben sie auf oder es trifft sie der Schlag.“

      Es funktionierte. Nach einer guten Stunde hatte der Spuk ein Ende.

      Seit dieser Zeit haben wir die Wohnung nicht mehr verlassen. Ich betreibe jetzt Heimarbeit und wir kommen ganz gut zu recht. Versorgt werden wir per Hubschrauber aus der Luft. Manchmal vermissen wir unsere Verwandten und Freunde, aber zum Glück gibt es ja Skype.

      Mit den Haubesitzern haben wir uns arrangiert. Sie läuten ihre tägliche Beschwerdestunde pflichtschuldig ab – und wir ignorieren das Gebimmel.

      Übermorgen wird unsere Tochter eingeschult. Sie freut sich schon auf den ersten Helikopterflug. Aber wir machen uns langsam Sorgen um unsere Vermieter. Seit zwei Wochen bleibt die Türglocke still. Es wird ihnen doch wohl nichts passiert sein?

      In der Sackgasse

       Schon die ersten Menschen hatten Ärger mit ihrem Vermieter. Da der Mieterschutz seinerzeit noch wenig ausgeprägt war, konnten sie die Räumungsklage und deren Vollzug durch schwerbewaffnete himmlische Cherubim nicht abwenden. Sie beschlossen sich unabhängig zu machen von der Willkür launischer Hausbesitzer und erwarben Eigentum an Grund und Boden. Ich frage mich nur: wie – um Himmels Willen – haben sie die Finanzierung bewerkstelligt?

      Die Pleite mit unserer ersten Wohnung bzw. den dazugehörigen Eigentümern gab uns zu denken. Wir würden uns ein neues Domizil besorgen, soviel stand fest.

      Unsere nächste Station war ein Hochhaus mit zwölf Stockwerken und 144 Mietparteien, das einer großen Baugenossenschaft gehörte. Dieser geniale Schachzug, so unsere Überlegung, würde Streitigkeiten mit sensiblen Vermietern

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