Amélie - Wo Schatten ist. Genèvieve Dufort
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Amélie sah es, was sie noch mehr an dem Gehörten zweifeln ließ.
»Damals hat sie uns allen erzählt, sie wolle ehrbar werden, eine Familie gründen und Kinder haben. Sie würde Kinder über alles lieben ... Ja, das waren ihre Worte. Doch der Robert war schon immer ein stinkfauler Sack und … Na ja, sie ist nie aus dem Viertel rausgekommen. Später ist sie dann noch Mal vorübergehend auf den Strich gegangen. Bis die von der ›Aide Sociale‹ kamen und sich um euch Kinder kümmerten. Als die beiden herausfanden, dass man auch auf Kosten des Staates leben kann, da hat sie dann auch nichts mehr gemacht.« Inès Blase der Vergangenheit platzte, und sie war wieder in ihrem trostlosen Hier und Jetzt. Sie sah in die Amélies geweiteten Augen und erschrak.
Amélie war in sich zusammengesunken, weil sie noch mehr schlechte Nachrichten erwartete.
Bei Gott! Sie hat wirklich keine Ahnung von der Sache gehabt, schoss es Inès durch den Kopf. Sie machte sich Vorwürfe. Vielleicht hätte ich ihr das doch nicht erzählen dürfen.
»Ach, ich wünschte ...«
»Was?«
»Nein, ich weiß nicht ...«
»Bist ein armes Luder, wirklich. Hier, nimm doch mal einen Schluck.« Inès bot ihr die schon gut geleerte Flasche an.
»Ich möchte nicht«, wehrte Amélie ab.
»Weil dein Alter säuft, nicht wahr?«
Sie nickte.
Inès streichelte die Flasche. »Ich will dir mal was sagen: Wenn ich den Tröster nicht hätte, könnte ich das Leben gar nicht mehr aushalten.«
»Wirklich?«
Inès ließ ihre Frage unbeantwortet. Sie war vom ungewohnten vielen Reden müde und starrte mit leeren Augen vor sich hin, während Amélie neben ihr sitzen blieb – nicht wissend, was sie tun sollte.
***
Kapitel 2
»Da finde ich dich ja endlich!«
Amélie hob den Blick und sah einen Mann vor sich stehen.
Seine schwarzen Haare zeigten an den Schläfen bereits die ersten grauen Strähnen. Seine elegante Kleidung rundete er mit einem passenden schwarzen Spazierstock ab.
Unwillkürlich duckte sie sich, gerade so, als würde sie geschlagen werden.
Inès erwachte aus ihrem Dämmerzustand und blickte ihn an. »Ach, schau mal an, der Pierre ist wieder im Lande! Nein, das ist aber eine Freude!«
Der Mann lächelte dünn.
Inès sprang auf und hängte sich an seinen rechten Arm ein. »Na, Pierre, auf dich habe ich schon lange gewartet.«
»Wirklich?«, fragte er geschmeichelt.
Sie streichelte ihn über den Arm und die Brust.
Der lässt sich das wirklich gefallen, dachte Amélie erstaunt. Komisch, ich könnte das nicht haben, wenn Inès mich so streicheln würde.
»Soll ich dir das wirklich glauben?«
»Pierre, ich sage es dir, und wenn du willst, schreibe ich es für dich auch auf: Ich habe wirklich schon auf dich gewartet.«
Ihr Kunde schien sich tatsächlich geschmeichelt zu fühlen.
Für Inès war er nur ein Freier wie alle anderen. Wie schnell man dir doch was vormachen kann, dachte sie bei sich. Bist so ein feiner Pinkel, hast so viele Leute, die für dich arbeiten. Ja, du sollst ein ganz abgerissener Hund sein. Kommst du aber zu deiner Inès, dann bist du wie alle anderen Kerle. Aber mir soll das egal sein. Du bist wie eine Kuh, die man melken kann. Keiner ist so großzügig wie du. Da kann ich schon mal Honig um den Bart schmieren.
Der Mann sah Amélie an. »Ist das deine Schülerin?«
Inès lachte. »Bist du verrückt! So etwas brauche ich doch nicht!« Sie zwinkerte ihm mit ihren falschen Wimpern zu. »Was ist denn jetzt? … Gehen wir oder gehen wir nicht?«
»Nur, wenn sie mitkommt!« Immer noch fixierte er Amélie, die verschüchtert auf der Mauer saß.
Durch Inès ging ein heftiger Ruck. »Soll das heißen, du willst tatsächlich sie?«
Amélies Wangen röteten sich, als sie begriff, was der Mann wollte.
»Nein, Inès, dich will ich … Aber ich glaube, es wird noch schöner, wenn sie mit dabei ist. Es gibt mir dann so etwas Prickelndes. Es soll nicht zu deinem Schaden sein.«
»Du willst also mehr zahlen als üblich?«
»Ja, werde ich.«
Inès wandte sich Amélie zu, die sie perplex anstarrte. »Hast du nicht eben erzählt, dass du Geld verdienen willst?«
»Ja.«
»Tja, das kannst du jetzt!«
Amélie riss den Mund auf.
»Jetzt zier' dich nicht länger und komm' mit!« Inès kannte jetzt keine Zurückhaltung. Sie dachte auch nicht darüber nach, dass es für Amélie ein Schock sein könnte, wo sie schon seit langem nur ›besondere‹ Kunden bediente. In diesem Moment dachte sie jedenfalls nur an die schnell und leicht verdienten Scheinchen. »Wie heißt du noch mal?«
»Amélie.«
*
Unterwegs kamen sie an dem Eckladen vorbei.
»Gib mir mal einen Schein, ich bin gleich wieder zurück.« Inès hielt ihrem Kunden abwartend die Hand entgegen.
Der elegante Mann reichte ihr einen Zwanzig-Euro-Schein, mit dem sie direkt im Geschäft verschwand.
Als sie wenig später wieder herauskam, lächelte sie zufrieden – mit einer Flasche unterm Arm. »Na dann mal los!«, grinste sie Amélie an.
*
Inès lebte in einem der Hinterhofblöcke. Sie hatte das Zimmer wohl schon länger nicht mehr gelüftet, denn die Luft war zum Schneiden.
Ungefragt riss Amélie einen der Fensterflügel auf, ehe sie die Einrichtung betrachtete.
Sie lebte daheim ja schon recht schäbig, aber was sie hier vorfand, empfand sie als noch viel schlimmer. Es war ein heruntergekommenes Loch in dem nicht einmal ein Tier leben sollte. Es schüttelte sie. Ich gehe lieber, dachte sie. Das halte ich nicht aus.
»Wenn es mir nichts ausmacht«, lächelte der in der Tür stehende Mann, »dann dürftest du dich hier auch wohlfühlen.«
Ungläubig starrte