Verrückt nach Aliens. Holger Rudolph
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Holger Rudolph
Verrückt nach Aliens
Ein Rheinsberg-Krimi
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Inhaltsverzeichnis
Im Zentrum
In ein paar Minuten wird sie das Ziel erreicht haben. Karen Weiß wollte im Zentrum vor Sonnenaufgang angekommen sein. Ihre Fotos mit dem sich langsam über das wogende Meer aus Roggenähren erhebenden fernen Feuerball würden sich sicher sehr gut verkaufen lassen. Doch die Schönheit der Natur ist nur Beiwerk. Es geht der jungen Fotojournalistin vor allem darum, den riesigen Kornkreis würdig in Szene zu setzen, von dem seit gestern halb Deutschland redet. Noch nie hat es so etwas in der märkischen Kleinstadt gegeben. Während sie sich dem Zentrum des Gebildes nähert, geht sie nochmals die geplanten Einstellungen durch. Viel zu schnell wird es hell sein. Bis dahin muss sie die komplette Serie geschafft haben.
Aus der Ferne kündigt ein Hahnenschrei den nahenden Tag an. Das Geräusch hat Karen aus ihren Gedanken gerissen. Ein Windhauch weht ihr das lange blonde Haar ins Gesicht. Sie hatte zuvor überhaupt nicht bemerkt, dass sie schon fast in der Mitte des Kreises angekommen ist. Gerade will sie nach der Tasche mit dem zusammengelegten Stativ greifen, als sie erschrocken stehenbleibt. Dort liegt ein Mensch auf dem Rücken, Arme und Beine breit von sich gestreckt. Ist er tot? Sie lässt die Ausrüstung stehen und rennt die letzten paar Meter, um schneller dort zu sein. Vielleicht kann sie dem Mann doch noch helfen.
Was sie sieht, ist schrecklich. Starre, weit aufgerissene Augen. Auch der Mund des kleinen Mannes mittleren Alters steht offen. Nur zur Sicherheit fasst sie an den linken Unterarm des Toten. Er ist kühl. So sehr, wie es die laue Sommernacht bei einer Leiche zulässt, die hier vermutlich schon ein paar Stunden liegt. Natürlich hat der Kerl keinen Puls mehr. Trotzdem fühlt sie kurz nach. Nein, diesen Menschen kann niemand mehr ins Leben zurückholen.
Karen ruft, noch ganz außer Atem, die Polizei an: „Bitte kommen Sie schnell, in der Mitte des Kornkreises auf dem Acker bei den Rheinsberger Krähenbergen liegt ein toter Mann.“ Karen ist klar, dass sie nichts verändern darf. Die eben gehörte Belehrung hätte sich die Polizistin sparen können. Doch diese Frau kann ja nicht wissen, dass Karen als Bildreporterin arbeitet. Wenn schon keine Sonnenaufgangsbilder vom Kornkreis, dann will sie doch zumindest mit den ersten Aufnahmen vom Toten punkten und diese Bilder so schnell wie möglich per E-Mail verschicken. Jemand hat sich offensichtlich große Mühe gegeben, den Toten derart hinzulegen, dass er an Leonardo da Vincis weltbekannten Vitruvianischen Menschen erinnert. Sie ist sich jetzt schon sicher, dass sie die Bilder reißend loswird. Aliens gehen immer. Und hier sieht doch zumindest sehr viel nach dem Werk von Außerirdischen aus, auch wenn sie selbst nicht anwesend sind.
Es dauert etwas mehr als eine Viertelstunde, bis zwei Polizisten am Fundort eintreffen. Das Rheinsberger Revier liegt zwar nicht einmal fünf Kilometer entfernt. Doch die Ermittler mussten ihren Wagen an der Landstraße stehen lassen. Die etwa 700 Meter durch das Getreidefeld bis zur Leiche konnten sie nur zu Fuß zurücklegen.
Kriminalhauptkommissarin Anna Klettner kann ein lautes Gähnen nicht unterdrücken. Umso schwungvoller wirft sie die Beifahrertür des alten Volvo ins Schloss. Ihr Assistent Dennis Müller schaut sie ein wenig vorwurfsvoll an: „Chefin, das muss doch nicht sein. Dieser Wagen ist uralt und fast schon eine Rarität. Sie würden Ihrem 90-jährigen Großvater doch auch nicht mit voller Wucht auf den Rücken hauen.“ Jetzt grinst Dennis. Anna kontert kurz: „Mein Lieber, so einen Großvater gibt es längst nicht mehr. Doch ich glaube kaum, dass dein Auto Schmerzen erleidet. Trotzdem werde ich es bestimmt ab sofort absolut vorsichtig behandeln.“ Sie streicht der alten Karre, deren einstige Farbe sich kaum noch erahnen lässt, aber wohl irgendwo zwischen grau und grün gelegen haben muss, ganz sanft über den längst ermatteten Lack.
Eine sich durchs Gras schlängelnde Ringelnatter lässt die Ermittlerin zusammenzucken. Ganz kurz nur. Dann schaut sie ihrem jungen Kollegen verwundert zu, denn er sticht die Schlange locker aus: „Ich denke schon, dass du die Gummistiefel im Auto lassen kannst. Die Aliens haben uns doch einen wunderbaren Trampelpfad angelegt, für Sneakers absolut geeignet. Und geregnet hat es auch nicht.“ Dennis schaut ein bisschen unwirsch drein: „Okay Chefin, ich mach ja alles so, wie Sie es wollen. Ich bin Ihnen doch längst mit Haut und Haaren verfallen.“ Sie duzt ihn, er sagt Sie. Das gehört längst dazu, wenn die hübsche rothaarige Enddreißigerin und der bald 20 Jahre jüngere Dennis ermitteln.
Nur zu gern hätte Anna vorhin noch zwei, drei Stündchen geschlafen. Schon wieder muss sie gähnen, kurz bevor sie das Zentrum des Kreises erreicht. Einer der beiden Revierpolizisten, Lars Käufer, kommt ihr ein paar Schritte entgegen. Er schüttelt immer wieder heftig den Kopf: „Die Welt ist ungerecht. Weshalb musste gerade Michael Prott sterben? Ich hatte bei ihm am Prinz-Heinrich-Gymnasium Physik- und Chemieunterricht. Wenn es auch nur einen wirklich guten Lehrer gibt, dann war es der Prott. Jede Stunde wurde zum Erlebnis. Viele Beispiele, lustige Herleitungen, da hat das Lernen auch dem Dämlichsten Spaß gemacht.“
Anna sieht den Kollegen an: „Und der waren Sie?“ Er lächelt sie freundlich an: „Nein, sicher nicht, ich will ja nur sagen, dass es sehr schade um den Prott ist. Ehe Sie es woanders hören. Ja, er war schon etwas sonderbar, lebte allein, glaubte an Außerirdische. Außerdem soll er so manche Schülerin über die Maßen ins Herz geschlossen haben. Und er hat uns Kindern immer wieder erzählt, dass die Aliens ihn sicher besuchen würden, falls sie irgendwann mal nach Rheinsberg kämen. Er, der Radler aus Passion, würde dann die Klingel seines Fahrrades so lange läuten, bis ganz Rheinsberg kommt, um die Aliens kennenzulernen, die nur das Beste für die Menschheit wollten. Wie ernst er das meinte, wusste wohl nur er selbst. Und jetzt liegt er tot im Kornkreis.“ Die Kommissarin stichelt weiter: „Na dann, Fall gelöst! Doch wo haben sich die Aliens denn versteckt? Und welche Justizvollzugsanstalt ist sicher genug für sie? Für die gibt es doch in Raum und Zeit keinerlei Hindernisse.“
Karen Weiß, die nur ein paar Meter von Anna und Dennis entfernt steht, hätte niemals angenommen, dass real existierende Kriminalisten derart locker an den Fall gehen würden. Immerhin liegt dort ein Toter. Sie räuspert sich, ehe sie vorsichtig fragt: „Werde ich eigentlich noch gebraucht?“ Anna überlegt kurz, glaubt aber nicht daran, dass die junge Fotografin irgendetwas mit dem Tod von Prott zu tun haben könnte: „Nein,