Romain Rolland. Stefan Zweig
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Stefan Zweig
Romain Rolland Der Mann und das Werk
Lebensbildnis
»Des Herzens Woge schäumte nicht
so schön empor und würde Geist,
wenn nicht der alte stumme Fels,
das Schicksal, ihr entgegenstünde.«
Hölderlin
Kunstwerk eines Lebens
Von dem Leben, das hier erzählt werden soll, stehen die ersten fünfzig Jahre ganz im Schatten einsam und namenlos erhobenen Werkes, die Jahre danach im Weltbrand leidenschaftlicher europäischer Diskussion. Kaum hat ein Künstler unserer Zeit unbekannter, unbelohnter, abseitiger gewirkt als Romain Rolland bis kurz vor dem apokalyptischen Jahr und gewiß keiner seitdem umstrittener: die Idee seiner Existenz wird eigentlich erst sichtbar im Augenblick, da sich alles feindlich verbündet, sie zu vernichten.
Aber dies ist des Schicksals Neigung, gerade den Großen ihr Leben in tragischen Formen zu gestalten. An den Stärksten erprobt es seine stärksten Kräfte, stellt steil den Widersinn der Geschehnisse gegen ihre Pläne, durchwirkt ihre Jahre mit geheimnisvollen Allegorien, hemmt ihre Wege, um sie im rechten zu bestärken. Es spielt mit ihnen, aber erhabenes Spiel: denn Erlebnis ist immer Gewinn. Den letzten Gewaltigen dieser Erde, Wagner, Nietzsche, Dostojewski, Tolstoi, Strindberg, ihnen allen hat das Schicksal zu ihren eigenen Kunstwerken noch jenes dramatischen Lebens gegeben.
Auch das Leben Romain Rollands versagt sich solcher Frage nicht. Es ist im doppelten Sinn heroisch, denn erst spät, von der Höhe der Vollendung gesehen, offenbart sich das Sinnvolle seines Baues. Langsam ist hier ein Werk gebildet, weil gegen große Gefahr, spät enthüllt, weil spät vollendet. Tief eingesenkt in den festen Grund des Wissens, dunkle Quadern einsamer Jahre als Fundament, trägt reiner Guß alles Menschlichen, im siebenfachen Feuer der Prüfung gehärtet, die erhobene Gestalt. Aber dank solchen Wurzelns in der Tiefe, der Wucht seiner moralischen Schwerkraft, kann gerade dies Werk dann unerschüttert bleiben im Weltensturme Europas, und indes die andern Standbilder, zu denen wir aufblickten, stürzen und sich neigen mit der wankenden Erde, steht es frei, »au dessus de la mêlée« , über dem Getümmel der Meinungen, ein Wahrzeichen für alle freien Seelen, ein tröstender Aufblick im Tumult der Zeit.
Kindheit
Romain Rolland ist in einem Kriegsjahr, dem Jahr von Sadowa, am 29. Januar 1866 geboren. Clamecy, schon die Vaterstadt eines anderen Dichters, Claude Tilliers (des Autors von »Mon oncle Benjamin« ), hat er zur Heimat, ein sonst unberühmtes Städtchen im Burgundischen, uralt und still geworden mit den Jahren, leise lebendig in behaglicher Heiterkeit. Die Familie Rolland ist dort altbürgerlich und angesehen, der Vater zählt als Notar zu den Honoratioren der Stadt, die Mutter, fromm und ernst, lebt seit dem tragischen und nie ganz verwundenen Verlust eines Töchterchens einzig der Erziehung zweier Kinder, des zarten Knaben und seiner jüngeren Schwester. Sturmlose, abgekühlte Atmosphäre geistiger Bürgerlichkeit umschließt den täglichen Lebenskreis; aber im Blute der Eltern begegnen einander noch nicht versöhnt uralte Gegensätze französischer Vergangenheit. Väterlicherseits sind Rollands Ahnen Kämpfer des Konvents, Fanatiker der Revolution, die sie mit ihrem Blute besiegelt haben; mütterlicherseits erbt er Jansenistengeist, Forschersinn von Port-Royal ; von beiden also gleiche Gläubigkeit zu gegensätzlichen Idealen. Und dieser jahrhundertealte urfranzösische Zwiespalt der Glaubensliebe und der Freiheitsideen, der Religion und der Revolution, blüht später fruchtbar in dem Künstler auf.
Von seiner ersten Kindheit, die im Schatten der Niederlage von 1870 wächst, hat Rolland einiges in »Antoinette« angedeutet: das stille Leben in der stillen Stadt. Sie wohnen in einem alten Hause am Ufer eines müde gewordenen Kanals; nicht aus dieser engen Welt aber kommen die ersten Entzückungen des trotz seiner körperlichen Zartheit so leidenschaftlichen Kindes. Aus unbekannter Ferne, unfaßbarer Vergangenheit, hebt ihn gewaltiger Aufschwung, früh entdeckt er sich, Sprache über den Sprachen, die erste große Botschaft der Seele: die Musik. Seine sorgliche Mutter unterrichtet ihn am Klavier, aus den Tönen baut sich unendliche Welt des Gefühls, früh schon die Grenzen der Nationen überwachsend. Denn indes der Schüler die verstandesklare Sphäre der französischen Klassiker neugierig und verlockt betritt, schwingt deutsche Musik in seine junge Seele. Er selbst hat es am schönsten erzählt, wie diese Botschaft zu ihm kam. »Es gab bei uns alte Hefte mit deutscher Musik. Deutscher? Wußte ich, was das Wort sagen wollte? In meiner Gegend hatte man, glaube ich, nie einen Menschen aus diesem Lande gesehen ... Ich öffnete die alten Hefte, buchstabierte sie tastend auf dem Klavier ... und diese kleinen Wasseradern, diese Bächlein von Musik, die mein Herz netzten, sogen sich ein, schienen in mir zu verschwinden wie das Regenwasser, das die gute Erde getrunken hat. Liebesseligkeit, Schmerzen, Wünsche, Träume von Mozart und Beethoven, ihr seid mir Fleisch geworden, ich habe euch mir einverleibt, ihr seid mein, ihr seid ich ... Was haben sie mir Gutes getan! Wenn ich als Kind krank war und zu sterben fürchtete, so wachte irgendeine Melodie von Mozart an meinem Kissen wie eine Geliebte ... Später in den Krisen des Zweifels und der Zernichtung hat eine Melodie von Beethoven (ich weiß sie noch gut) in mir die Funken des ewigen Lebens wieder erweckt ... In jedem Augenblick, wenn ich den Geist und das Herz verdorrt fühlte, habe ich mein Klavier nahe und bade in Musik.«
So früh hebt in dem Kinde die Kommunion mit der wortlosen Sprache der ganzen Menschheit an: schon ist die Enge der Stadt, der Provinz, der Nation und der Zeiten durch das verstehende Gefühl überwunden. Die Musik ist sein erstes Gebet an die dämonischen Mächte des Lebens, täglich in andern Formen wiederholt, und heute noch, nach einem halben Jahrhundert, sind die Wochen, sind die Tage selten, da er nicht Zwiesprache hält mit Beethovens Musik. Und auch der andere Heilige seiner Kindheit, Shakespeare, kommt aus der Ferne: mit seiner ersten Liebe ist der unbewußte Knabe schon jenseits der Nationen. In der alten Bibliothek, zwischen dem Gerümpel eines Dachstuhls, hat er die Lieferungen seiner Werke entdeckt, die sein Großvater als Student in Paris – es war die Zeit des jungen Victor Hugo und der Shakespearemanie – gekauft hatte und seitdem verstauben ließ. Ein Band verblichener Gravüren, »Galerie des Femmes de Shakespeare« , lockt mit fremd seltsamen, lieblichen Gesichtern und den zauberischen Namen Perdita, Imogen, Mirando die Neugier des Kindes. Aber bald entdeckt er sich lesend die Dramen selbst, wagt sich, für immer verloren, in das Dickicht der Geschehnisse und Gestalten. Stundenlang sitzt er in der Stille des einsamen Schuppens, wo nur manchmal unten aus dem Stalle der Hufschlag der Pferde oder vom Kanal vor dem Fenster das Rasseln einer Schiffskette herauftönt, sitzt, alles vergessend und selbst vergessen, in einem großen Fauteuil mit dem geliebten Buche, das wie jenes Prosperos alle Geister des Weltalls ihm dienstbar gemacht. Vor sich hat er in weitem Kreise Stühle mit unsichtbaren Zuhörern gestellt: sie sind ihm ein Wall seiner geistigen Welt gegen die wirkliche Welt.
Wie immer beginnt hier ein großes Leben mit großen Träumen. Am Gewaltigsten, an Shakespeare und Beethoven, entzündet sich seine erste Begeisterung, und dieser leidenschaftlich erhobene Blick zur Größe empor ist dem Jüngling, ist dem Mann von dem Kinde vererbt geblieben. Wer solchen Ruf gespürt, kann schwer in engem Kreise sich begrenzen. Schon weiß die kleinstädtische