Die Faehlings - eine Lübecker Familie. Eckhard Lange
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Nun fehlte ihm eigentlich nur noch eines: eine Hausfrau für all die Dinge, die Weiberarbeit waren und die er nur notgedrungen selber verrichten musste. Und eine Magd, ein unerfahrenes junges Ding, mochte er sich nicht ins Haus holen. So hielt er insgeheim Ausschau nach einer passenden Verbindung. Er sollte nicht lange suchen. Unten am Hafen wohnte die Witwe eines Schiffsführers in einer ärmlichen Hütte. Der Mann war von einer Handelsfahrt nicht mehr zurückgekommen, man erzählte, dass er im Kampf mit ranischen Piraten umgekommen sei. Nur die Großzügigkeit des Handelsherren, für den er gearbeitet hatte, erhielt sie am Leben. So nahm Dietmar zunächst Verbindung mit diesem Mann auf, der gerne und nicht ganz uneigennützig zwischen den beiden vermittelte, und bald darauf holte der Schmied die neue Frau in sein Haus.
Alf, der Sohn, sah es mit gemischten Gefühlen: Auch er freute sich, dass nun wieder jemand für Brot und warme Speisen sorgte, seinen zerrissenen Rock flicken würde und das Füttern der Schweine übernahm, was sonst seine Aufgabe war. Das alles verschaffte ihm mehr Freiheit, Zeit, die er gern im Hafen verbrachte, um beim Schiffsbau zuzuschauen und die Händler mit ihren fremdländischen Waren zu beobachten. Und die neue Frau wusste auch an den langen Winterabenden viel von dem zu erzählen, was ihr erster Mann auf See und in fremden Ländern erlebt hatte. Dennoch blieb sie ihm gegenüber kühl und zurückhaltend, vielleicht, weil sie nur zehn Jahre älter war als der Stiefsohn, aber zwanzig Jahre jünger als ihr Eheherr. Da war es gut, kein Gerede aufkommen zu lassen, denn Alf war mit seinen sechzehn Jahren bereits ein hochgewachsener junger Mann, dem ein rötlicher Bart gesprossen war.
*
Der Sohn des Schmieds sah das Mädchen zum ersten Mal an einem trüben Oktobertag des Jahres 1145, als er wieder einmal zum Hafen hinuntergeschlendert war. Duscha war jetzt zwölf, noch trug sie ihr gelocktes braunes Haar offen, aber schon zeichnete sich unter ihrem Trägerrock und der Leinenbluse eine erste Rundung ab. Sie war mit ihrem Vater im Einbaum die Trave herabgekommen, jetzt sprang sie geschickt ans Ufer und zog den Kahn näher heran, während der Fischer nach zwei Körben griff, die voller Fische waren. Einen davon reichte er seiner Tochter, und so wanderten beide den Uferstreifen hinauf dorthin, wo neben einer Blockhütte einige Schiffsleute ihre Zelte aufgeschlagen hatten und sich mit Würfelspiel die Zeit vertrieben.
Rastislav hatte inzwischen so viel von der deutschen Sprache gelernt, dass er seine Ware anbieten und auch über den Preis feilschen konnte, und Duscha war eine gelehrige Schülerin. Auch wenn es ihr selber nicht bewusst war, ihre noch kindliche Weiblichkeit war eine nahezu gleiche Werbung für die angebotene Ware wie deren Frische und Qualität. So leerten sich die beiden Körbe rasch, und Rastislav konnte eine Reihe von Münzen in seinen Beutel tun, um anschließend einige davon bei einem Tuchhändler einzutauschen. Seine Frau sollte der Tochter endlich ein richtiges Kleid und eine Haube nähen, schließlich wurde sie zunehmend erwachsener.
Alf lehnte an der Hüttenwand und betrachtete die Szene, genau genommen aber galt sein Blick einzig diesem fremden Mädchen, das da so selbstsicher und mit freundlichem Lächeln Fisch um Fisch diesen grobschlächtigen Gesellen in die Hand gab und anzügliche Bemerkungen scheinbar ungerührt überhörte. Oder verstand die Kleine noch gar nicht, was diese Männer da andeuteten? Er bemühte sich, ihre Stimme zu hören, diese eigenartig harte Aussprache all der Wörter, die sie bereits beherrschte. Allzu gerne hätte er ihr ebenfalls einige Barsche abgekauft, doch er trug keinen Beutel am Gürtel. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den stummen Beobachter zu spielen und sich fest vorzunehmen, beim nächsten Besuch im Hafen einige Münzen im Gürtel zu tragen. Die Stiefmutter wäre sicher recht erstaunt, wenn er mit einem Fisch nach Hause käme, doch verwenden konnte sie Barsch oder gar Forelle bestimmt, hatte sie doch schon häufiger Fische zubereitet.
Es mochte wohl eine Stunde gedauert haben, bis die beiden Slawen den letzten Fisch verkauft hatten und Rastislav auch mit einem Tuchhändler um den Preis einig geworden war. Er trug den Stoff vorsichtig zu seinem Kahn, während Duscha noch einen Augenblick bei einem Bernsteindreher stehen blieb und die Rosenkränze bestaunte, die er auf einem Tuch vor sich ausgebreitet hatte. Sie wusste nicht, wofür sie in Wirklichkeit dienten, doch eine schöne Halskette wären sie allemal. Alf sah ihren sehnsüchtigen Blick, und wieder wünschte er, jetzt etwa Geld in der Hand zu haben, um diesem fremden Mädchen einen Rosenkranz zu schenken – auch wenn das nun wirklich ungehörig gewesen wäre. Doch da rief der Vater, Duscha wandte sich rasch ab und hüpfte sehr kindlich zum Ufer hinunter. Alf blickte hinter ihr her, und irgendwo in seinem Brustkorb fühlte er ein heftiges Klopfen. Was es war und warum es gerade jetzt spürbar wurde – er wusste es nicht. Aber er beschloß, von nun an noch häufiger den Hafen aufzusuchen, wenn sein Vater ihn nicht in der Schmiede brauchte.
Bald hatte er herausgefunden, dass der Fischer meist zweimal in der Woche in den Hafen kam, in jedem Fall aber am Freitag dort erschien, denn für diesen Tag, der an die Kreuzigung des Herrn erinnerte, galt das Fastengebot. Fleischgenuß war dem Gläubigen untersagt, Fisch dagegen erlaubt. Das hatte auch Rastislav bemerkt und bot daher seinen Fang gern an diesem Wochentag an. Nicht immer begleitete ihn seine Tochter, und manches Mal wartete Alf vergeblich. Aber auch wenn er sich möglichst abseits hielt, Duscha war aufgeweckt genug, den jungen Mann mit dem rötlich-blonden Haar zu entdecken, und sie bemerkte wohl, dass er ihretwegen zum Hafen kam, hatte er doch offensichtlich keine Arbeiten dort zu verrichten, sondern stand nur da und schaute zu ihr herüber. Manchmal trafen sich dann ihre Blicke, und Duscha konnte sich dann ein spitzbübisches Lächeln nicht verkneifen.
Dennoch dauerte es einige Wochen, der Herbst zeigte sich bereits von seiner feuchtkalten Seite, bis Alf zögernd auf das Mädchen zuging und die Hand in den Beutel steckte. Stumm zeigte er auf den Fisch, der gerade zuoberst im Korb lag, und stumm wollte er, ohne zu feilschen, den genannten Preis zahlen. Aber Duscha sah ihn herausfordernd an, da wagte er eine Frage: „Wo kommst du her?“ Sie zeigte den Fluß hinauf: „Wo die Wochenitze in die Trave mündet, liegt unser Dorf. Und du?“ Das war ein deutliches Zeichen, dass sie das Gespräch fortsetzen wollte. „Wir wohnen dort oben, dicht an dem großen Markt.“ Und er fügte rasch hinzu, damit sie noch ein wenig neben ihm bleiben würde: „Mein Vater ist der Schmied.“ „Daß mein Vater Fischer ist, hast du ja wohl bemerkt, so neugierig, wie du uns immer zuschaust.“
Das war eine kecke Bemerkung diesem Fremden gegenüber, der zudem noch ein Deutscher war, aber als sie sah, dass er rot wurde, fasste sie Mut, ihn noch weiter zu necken: „Du scheinst nicht viel zu tun zu haben, wenn du so oft hier herumstehst.“ „Oh, ich helfe dem Vater oft in der Schmiede, aber manchmal gehe ich auch zum Hafen hinunter, um den Schiffsleuten zuzuschauen.“ Jetzt wagte Duscha ein leises Kichern: „Und den Fischern, nicht wahr?“ Alf trat verlegen hin und her und wäre am liebsten fortgelaufen, aber er blieb, auch wenn ihm keine Antwort einfiel. Dabei hätte er so gerne etwas witziges gesagt.
Duscha erlöste ihn: „Du musst den Fisch ordentlich waschen,“ sagte sie ernsthaft, als würde sie einer Hausfrau einen guten Rat mit auf den Weg geben, „sonst schmeckt er nach dem Modder, in dem wir ihn gefangen haben.“ „Du gehst auch auf Fang?“ fragte Alf erstaunt. „Mit der Angel und auch mit dem Netz, vom Ufer aus und auch mit dem Kahn,“ sagte sie stolz, um dann wieder scherzhaft anzufügen: „Du kannst doch sicher auch schon Nägel schmieden!“ „Aber ich bin älter als du,“ sagte er ein wenig beleidigt, „ich bin schließlich sechzehn.“ „Und ich bin zwölf – noch sieben Wochen lang. Dann darf ich auch das Stirnband und die Schläfenringe tragen wie alle erwachsenen Frauen. - Und dann kann ich auch heiraten,“ fügte sie unbedacht hinzu und bereute diesen Satz sofort. Aber der junge Mann sagte nichts, sondern blickte nur stumm auf den Fisch in der Hand. „Ich muß jetzt gehen,“ brachte er endlich hervor, „die Eltern warten auf den Fisch.“ Duscha nickte: „Vergiß nicht, ihn zu waschen!“ Dann griff sie nach ihrem Korb und wandte sich zum Gehen, der Vater schaute schon argwöhnisch herüber.
„Sehen