Der einen Glück, der anderen Leid. Patricia Clara Meile
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Patricia Clara Meile
Der einen Glück, der anderen Leid
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Inhaltsverzeichnis
Danksagung & Haftungsausschluss
1 Der neue Kollege
Ich erinnere mich gut an meine erste Begegnung mit jenem Mann, der meine moralischen Prinzipien ins Wanken bringen sollte. Es war an einem kalten Wintertag im Januar. Ich hatte mich mit einer Kollegin aus einer anderen Abteilung, der Assistentin des Vorsitzenden der Region Süd-Ost, zum gemeinsamen Mittagessen in der Kantine verabredet. Fabienne ist eine elegante, stets makellos geschäftsorientiert gekleidete junge Dame Mitte dreißig – sehr schlank und zierlich, mit streng zurückgebundenen, dunkelblonden schulterlangen Haaren. Sie ist überaus fleißig, sehr verantwortungsbewusst, freundlich, korrekt und zurückhaltend, hat ein schönes, offenes Lächeln und ist dennoch ernst und unnahbar. Sie war mir, als wir uns kennengelernt hatten, auf Anhieb sympathisch gewesen. Ich hätte gerne eine tiefere Freundschaft zu ihr aufgebaut, doch es schien mir mit der Zeit immer unmöglicher. Ich frage mich oft, ob sie überhaupt enge Freundschaften pflegt. Vielleicht trennt sie Geschäfts- und Privatleben aber auch einfach nur rigoros.
Nichtsdestotrotz trafen wir uns alle paar Wochen auf einen gemeinsamen Tee oder Kaffee und seltener noch auf ein Mittagessen. Insgeheim mache ich mir Sorgen um sie. Ich habe das Gefühl, dass sie die Schwermut hat Besitz von sich ergreifen lassen. Eines Tages dann würde sie plötzlich von der Bildfläche verschwunden sein und ich würde, aufgrund meines Eindrucks, eine psychische Krankheit wie eine Depression oder ein Burn-out vermuten, nichtsahnend und erst einiges später erfahrend, dass sie in Wahrheit einen schweren Autounfall erleiden würde, von dessen Verletzungen sie sich viele Monate würde erholen müssen. Mit unseren bewusst gesund gefüllten Tellern, setzten wir uns an einen langen hohen Holztisch an den großen lichtdurchflutenden Fenstern in der Nähe des Eingangs. Draußen tanzten einige Schneeflocken vom silbergrau bedeckten Himmel. Auf dem Gras lag bereits ein leichter weißer Flaum. Eine undefinierbare Trauer hing in der Luft.
Fabienne und ich waren in ein Gespräch vertieft. Ich musste ihr stets aufmerksam zuhören, denn sie spricht meist leise, damit nicht jeder mithören kann. Sie mag es nicht, wenn die Leute zu viel über sie wissen. „Ist hier noch frei?“, fragte uns plötzlich jemand. „Ja“, antwortete ich geschwind, um mich wieder Fabienne zuwenden zu können. Der Mann nahm mit seinem Tablett am anderen Ende des Tisches Platz. Er musste recht neu in der Firma sein. Scheinbar kannte er noch keinen groß. Mit der Zeit haben die Leute ihre festen Plätze und ihre Gruppen, zu denen sie sich gesellen. Seine Frage und sein Tonfall muteten noch etwas schüchtern und verunsichert an. Aus dem Augenwinkel heraus stellte ich fest, dass er außerordentlich attraktiv ist. Er hat dichtes bronzefarbenes Haar, das ihm ein wenig über die Stirn fällt, ist sportlich breit gebaut und hat unglaubliche eisblaue Augen, die etwas Nachdenkliches und zugleich Fesselndes ausstrahlen. Selten habe ich einen Mann mit so schönen Augen gesehen. Selten hat mir ein Mann so gefallen.
Als meine Kollegin und ich unser Essen beendet hatten, standen wir auf und wünschten unseren Tischnachbarn einen schönen Nachmittag. Dabei begegneten meine Augen den seinen. Einen kurzen Moment hielten unsere Blicke stand. Dann brachten Fabienne und ich unser Geschirr weg. Wir begaben uns die Stufen hoch wieder in unsere jeweiligen Büros. Sie arbeitet in der ersten, ich in der dritten Etage des hässlich grauen, schlecht isolierten Siebzigerjahre-Baus. Wir bevorzugen die Treppe dem Fahrstuhl, denn es ist uns wichtig, fit zu sein.
Ungefähr zwei Wochen später, verabredete ich mich mit Fabienne morgens um viertel nach neun im vierten Stock auf einen kurzen Kaffeeklatsch. Wir trafen uns normalerweise in dieser Etage, weil wir dort nicht riskierten, unseren Vorgesetzten oder allfälligen unliebsamen Kolleginnen über den Weg zu laufen. So sah ich ihn wieder. Abermals begegneten sich unsere Augen und hafteten aneinander fest. Da war etwas – eine unsichtbare Schwingung. Als ich am Automaten eine Apfelschorle herauslassen wollte, klemmte, nachdem ich mit meinem Badge bereits bezahlt hatte und das Produkt von der Schiene herunterfiel, wieder einmal die Schublade, um die Flasche entnehmen zu können. Ich zog und rüttelte daran wie ein Stier, bis sie sich mit einem lauten Scheppern, was man im ganzen Stockwerk hören konnte, endlich öffnete. Mein Angebeteter und seine Kollegen, die das Ganze beobachtet hatten lachten. „Ich bin halt nicht so kräftig“, sagte ich. „Doch doch, das haben wir jetzt eben gesehen!“, meinte der Neue grinsend.
Noch in derselben Woche, am Freitagabend, oder vielmehr am späteren Nachmittag, denn Freitag können wir in der Regel etwas früher gehen, verließen wir um dieselbe Uhrzeit das Bürogebäude. Mein Schwarm hielt mir galant die Tür auf und verabschiedete sich mit einem äußerst charmanten: