Four Kids. Byung-uk Lee
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„Bist du oft hier?“
Soo-Jung trank seine Dose aus, die er zerknüllte und ins Wasser schmiss. Einsam trieb sie dem Dampfer hinterher, von dem nur noch die Rauchfontäne zu sehen war. Einige Sekunden schweifte sein Blick über die Landschaft, die sich farblich den stählernen Fossilien angepasst hatte.
„Gelegentlich, wenn ich allein sein will, um nachzudenken. Jetzt hätte ich mal eine Frage: Was macht so ein reicher Bengel wie du den ganzen Tag? Golf oder Tennis spielen? Auf Cocktailpartys rumlungern?“
Jetzt war es Haekwon, der sich einen langen Zug aus der Dose gönnte, so als müsste er sich Mut antrinken, damit er nicht die falschen Worte wählte.
„Weißt du, ich tue eigentlich all die Dinge, die andere auch machen. Manchmal wünsche ich mir sogar, dass ich nicht der Sohn eines Bonzen wäre.“
Ein verächtliches Schnaufen vernahm er vom Kahlen, der seinen Kopf schmunzelnd schüttelte und einen weiteren Schluck nahm. Bierschaum klebte an seiner Oberlippe, die sich zu einem Grinsen verzerrt hatte.
„Wenn ich in deiner Lage wäre, dann würde ich feiern und meinen Spaß haben, bis ich tot umfalle.“
„Glaub mir. Wenn es zur Gewohnheit wird, dann möchtest du etwas anderes. Ein anderes Leben, einen anderen Freundeskreis und eine andere Umgebung. Menschen neigen leider dazu, sich schnell zu langweilen.“
Darüber musste Soo-Jung erstmal nachdenken. Denn er schwieg und blickte wieder in die Ferne. Er war doch eigentlich zufrieden mit seinem Leben. In eine andere Richtung zu streben hielt er nicht für nötig, aber nach oben war gerade nicht verkehrt.
„Gefällt dir dein Job?“
„Tja, es gibt Tage da verfluche ich ihn und er ist mir überaus lästig. An anderen Tagen wiederum denke ich mir, Mensch die Arbeit ist gar nicht mal so schlecht. Man lernt neue Leute kennen, ist den ganzen Tag an der frischen Luft und kann die Eindrücke der Stadt in sich aufnehmen.“
Der Wind wehte nun stärker über die Landschaft, ließ die Metallwände der Urriesen erzittern, pfiff durch die zerborstenen Fenster und selbst das verdorrte Gras verneigte sich ehrfürchtig vor ihm.
„Es regnet gleich wieder. Wir sollten verschwinden. Es sei denn dein Bonzenarsch will nass werden.“
Haekwon lachte laut.
„Im Sommer ist es hier besser. Dann kann man trinken, auf dem trockenen Gras liegen und den wolkenlosen Himmel betrachten. Einfach die Seele baumeln und die Gedanken schweifen lassen.“
Diese Vorstellung gefiel Haekwon. Im Grunde seines Herzens wünschte er sich doch nichts als einen ehrlichen Menschen an seiner Seite, die in dieser Welt immer seltener wurden. Vielleicht sogar ausgestorben waren. Möglich, dass er mit dem Kahlkopf eine solche Person gefunden hatte.
„Ja, lass uns gehen“, stimmte Haekwon zu, während er sich am Muttermal über der Lippe kratzte, das gelegentlich juckte.
Wieder ging Soo-Jung ein Stück voraus, sodass er sich wie ein Reisender vorkam, der von einem hiesigen Bewohner durch eine fremde Landschaft geführt wurde. Doch so fremd kam Haekwon diese Gegend nicht mehr vor. Schnell hatte sich eine Vertrautheit in seine Gedanken geschlichen, während er Soo-Jung durch eine schlecht befestigte Gasse folgte, die von zwei Lagerhallen gesäumt wurde. Die breiten, korrodierten Metallwände überragten sie und schwankten wie taumelnde Giganten, da sie von einem starken Windstoß erfasst wurden. Dann ging es wieder über den Friedhof der zerfallenen Wohnblocks, deren fenster- und türlosen Öffnungen wie schreiende Mäuler offenstanden. Doch niemand erhörte ihr lautloses Klagen. Sie befanden sich tatsächlich am äußersten Rand von Seoul. Lange Zeit schien es her zu sein, dass dieser Ort seine Blütezeit erlebt hatte. Kaum hörte die pulsierende Wirtschaftsader auf zu pochen, waren auch die Anwohner vor den scharfen Raffzähnen der Existenzbedrohung geflohen.
In der Metro schwiegen sie. Selbst die anderen Fahrgäste stimmten in ihr Schweigen ein, aber dafür nahm man andere Geräusche umso intensiver wahr. Raschelndes Zeitungspapier, Hüsteln, Räuspern, quengelnde Kinder und das Ruckeln, wenn die Bahn über eine Unebenheit fuhr. In solchen Momenten horchte Soo-Jung genau hin. Denn es waren nicht nur Geräusche der Umgebung, sondern es war viel mehr die Stimme der Stadt. Für ihn besaß sie eine eigene Sprache, die er mittlerweile verstand, eine geheime Botschaft, die nur er entschlüsseln konnte. Der Zeitungsleser in der Ecke wollte nicht angesprochen werden und seine Ruhe haben, die Kinder waren erschöpft vom langen Tag und die Schienen mussten langsam wieder saniert werden. Sein neuer Freund, wenn man ihn so bezeichnen konnte, war in Ordnung, aber schien in sich gekehrt. Jedes Mal, wenn die Metro eine schärfere Kurve fuhr, spürte Soo-Jung den Riemen, der sich in seine Hand schnitt. Von oben betrachtete er den Bürstenkopf. Haekwon hatte seine Ellenbogen auf die Knie gestützt und in gebeugter Haltung starrte er auf die Fensterscheibe, die mit Fingerabdrücken beschmiert war. Dunkelheit und dann wieder Licht. So war der Rhythmus, wenn die U-Bahn aus dem Tunnel fuhr, um die nächste Station anzufahren. Die Neonröhren hingegen brannten in disziplinierter Zuverlässigkeit auf die Fahrgäste nieder. Haekwons müdes Gesicht war von kalten Fingern umschlossen, die versuchten, sich an den erhitzten Wangen wärmen.
In der Nähe vom Seoul Tower stiegen sie aus. Inzwischen war der Himmel aufgeklart. Die Befürchtung eines weiteren Regenschauers hatte sich im Nichts aufgelöst. Am Straßenrand stehend betrachteten sie erneut den Verkehrsfluss, der sich nicht verändert hatte. Diese Stadt war ständig in Bewegung. Dynamischer Verkehr, dynamische Menschen, dynamische Leben. Nach den zerfallenen Fabrikhallen und maroden Wohnhäusern schien die Flut aus leuchtenden Reklametafeln, modernen Wolkenkratzern und Straßen voller Menschen, die sich wie unzählige Thermiten über den makellosen Asphalt bewegten, wie eine märchenhafte Glitzerwelt. Dieses künstliche Plastikleben hatte Haekwon satt, denn sie drohte, wie er selbst der Meinung war, die letzten Kulturschätze zu ersticken.
„Nächste Woche gleiche Uhrzeit, gleicher Treffpunkt?“
Soo-Jung streckte ihm die Hand entgegen.
„Abgemacht“, erwiderte Haekwon kurz und ergriff die bleichen Finger, die sich im Gegensatz zu dem unbedarften Charakter des Kahlkopfs eher zierlich und zart anfühlten. Seine wirkte grob und kräftig. Obwohl er keinen Sport mehr machte, schien dies ein Überbleibsel aus vergangenen Jahren zu sein. Regelmäßiges Tennisspielen hatten seine Oberarme und Schenkel kräftig gemacht, was ihm der Laptop und die Softdrinks wieder genommen hatten. Nur sein Griff war immer noch der Alte. Soo-Jung drehte sich um und verschwand ohne weitere Worte zu verlieren in der Menschenflut, die auf ihn zurollte, während Haekwon den dunklen Rachen der Metrounterführung hinabstieg. In Gedanken versunken, da er immer noch nicht sicher war, was er sich von weiteren Treffen erhoffte.
Bonuspunkte
Der Warteraum des Krankenhauses quoll über wie eine faulig stinkende Mülltonne. Ein kleiner, pummeliger Junge saß auf dem warmen Mutterschoß einer zierlich gebauten Frau, die vergeblich versuchte, liebevoll seinem Jammern ein Ende zu setzen. Auf hellgrünen, am Boden festgeschraubten Kunststoffstühlen saßen meist ältere Leute, sehnsüchtig darauf wartend, dass die unfreundliche Schwester hinter dem Schalter ihre Zahl aufrufen würde. Hyuna presste