Untote leben länger. Philip Mirowski

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Untote leben länger - Philip  Mirowski

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Die Neoliberalen strafen die wohlfeilen Aufrufe ihrer Gegner zur »Reregulierung« mit offener Verachtung, und meines Erachtens ist es Zeit, sie darin wesentlich ernster zu nehmen.15

      Der Gedanke eines Allheilmittels namens »Regulierung« zieht etliche ungeprüfte Annahmen über das Wesen von Märkten nach sich. Er befestigt die Dichotomie von Märkten und Gouvernementalität, führt zu Unklarheit über das Verhältnis von Absicht, Wille und spontanen Prozessen und stärkt so auf einer unbewussten Ebene das neoliberale Credo. Darin besteht ein deutliches Symptom der anhaltenden wirtschaftstheoretischen Schwäche der Linken. Wie Heerscharen politischer Theoretiker immer wieder gezeigt haben, zielt das neoliberale Projekt in erster Linie auf Reregulierung und ein neues institutionelles Arrangement – es macht in keinem Fall kurzerhand Tabula rasa zugunsten eines reinen Laissez-faire.16 An diesem Garten Eden der rechten Mythologie, einem Paradies, das nie und nirgends existiert hat, fand der Neoliberalismus noch nie besonderen Gefallen. Doch obwohl dies in den letzten fünfzig Jahren unzählige Male betont worden ist, wird es in der umnebelt-verstreuten Kultur der Spätmoderne beharrlich ausgeblendet und bei jeder Zuspitzung der politischen Debatte dieselbe grundfalsche Dichotomie bemüht. Diese Gedächtnisstörung kommt der Rechten viel zu gelegen, als dass man sie auf eine allgemeine Alzheimerisierung oder inkompetente Journalisten zurückführen sollte. In der Rede von »freien Märkten« erscheinen Freiheit wie Märkte, vor allem durch ihre Legierung, als undefinierte Urbilder. Es erfordert erhebliches theoretisches Differenzierungsvermögen, diese Tatsache ins Zentrum der politischen Auseinandersetzungen zu rücken, und sowohl die neoklassische wie die marxistische Wirtschaftslehre haben sich dabei als wenig hilfreich erwiesen. Das vorliegende Buch soll uns daran erinnern, dass die heutige Wirtschaftswissenschaft das Vergessen fördert. Als Prophylaxe werden wir eine andere Herangehensweise an die Ökonomie verfolgen, die den neoliberalen Kerngedanken auf ontologischer Grundebene entgegengesetzt ist.

      Noch in anderer Hinsicht kapituliert das Lager der Regulierungsbefürworter unwillentlich vor dem Lager der Gier. Sein Rezept wird oft mit einem knappen Satz begründet: Da es von den Vierziger- bis zur Mitte der Achtzigerjahre keine Finanzkrisen gegeben habe (oft ungesagt bleibt: im Westen), müssen wir nichts weiter tun, als alle Räder auf den Stand jenes Goldenen Zeitalters zurückzudrehen. Indem die Linke diese Vorstellung unterschreibt, akzeptiert sie unbewusst die entscheidende Behauptung der populistischen Rechten und der neoklassischen Orthodoxie: Zwischen damals und heute soll kein substanzieller Unterschied bestehen, Märkte gelten als zeitlose Wesen mit zeitlosen Gesetzen. Tatsächlich treffen sich einige der erfolgreichsten Bücher zur Krise, von Kenneth Rogoffs und Carmen Reinharts Dieses Mal ist alles anders bis zu David Graebers Schulden: Die ersten 5000 Jahre, in dieser Grundannahme.17 Genau hier aber müsste der polemische Einspruch der Linken ansetzen: Wirtschaft, Gesellschaft und Weltpolitik unterscheiden sich heute markant von der Zeit des Kalten Krieges, und einige neoliberale Innovationen der jüngeren Vergangenheit machen die aktuelle Krise besonders bitter. Solche Unterschiede genau zu verstehen, ist ein notwendiger erster Schritt zum Entwurf einer besseren Welt. Die Neoliberalen haben schon lange jede Nostalgie für ein Goldenes Zeitalter abgelegt; es ist höchste Zeit, dass die Linke dies ebenfalls tut.18

      In den letzten dreißig Jahre entspann sich eine fatale Dynamik, an der sich verdeutlichen lässt, wie der Ruf nach Regulierung die Linke aufs falsche Gleis geführt hat. Als zunächst in der Peripherie und dann immer häufiger auch in den Metropolen Finanzkrisen ausbrachen, erklärten technokratische Ökonomen im Chor mit den Neoliberalen, indem man durch Staatsverschuldung und Bürgschaften reicher Länder einen Bankrott von Privatunternehmen vermeide, könne man sie eindämmen und überwinden. Auf dieses Standardrezept wurde dann auch zurückgegriffen, als 2007/08 die große Krise anrollte. Das Mantra lautete stets, die Regierung solle kollabierende Sektoren »retten«, indem sie sich stärker verschuldet und deren Bilanzen stützt; strukturelle Probleme sollten angeblich später – vielleicht auch durch mehr Regulierung – angegangen werden, sobald das Schlimmste überstanden wäre. Rückendeckung für diese Praxis wurde wahllos bei Milton Friedman wie bei John Maynard Keynes gesucht. Doch wie ich in Kapitel 6 zeigen werde, erfolgte die jüngste »Rettung« in einer neuen, verhängnisvollen Weise, die jede Rückkehr zu früheren Strukturen verhinderte. Die vermeintlich kluge Maßnahme entpuppte sich als Hütchenspiel, dessen Handhabung weithin Privatfirmen überlassen wurde und bei dem die rasant wachsenden öffentlichen Schulden allmählich den Charakter des Staates als finanziellen Stabilitätsanker untergruben: Die Insolvenz der Privatwirtschaft bedrohte die Zahlungsfähigkeit der öffentlichen Hand. Mit anderen Worten: Die wiederkehrenden Bankenkrisen offenbarten das Unvermögen des keynesianischen Staates zur Eindämmung und Überwindung endemischer makroökonomische Krisen, sodass von der »Regulierung« nur eine verschwommene Erinnerung bleibt. Bereits 2012 geriet allmählich in Vergessenheit, dass die Krise im Kern eine Krise des Kapitalismus war und nur infolgedessen eine Finanzkrise des Staates. Die Verschuldung des Staates schien nun genauso prekär wie die der Privatbanken. Diese Dynamik war vermeidbar, weil gänzlich vorhersehbar.

      Begreift man nicht, wie das Wirtschaftssystem versagt hat – und eine zentrale These dieses Buchs lautet, dass die meisten Ökonomen die eigentümliche Wirtschaftsentwicklung vor der Krise nicht verstanden und auch nach ihrem Ausbruch verwirrt blieben –, dann verfällt man auf die schimärische Pauschallösung einer rationalen Regulierung. Dieses katastrophale intellektuelle Versagen der Ökonomen sollte die Linke davor bewahren, sehnsüchtig eine »Regulierung« wie zur Zeit des Kalten Krieges heraufzubeschwören, und bildet auch den Hintergrund des Fehlschlags von Initiativen wie dem Dodd-Frank-Finanzmarktreformgesetz und Basel III.

      Gegen den einfältigen Ruf nach Regulierung wenden sich die Neoliberalen seit langer Zeit. Heute predigen sie jedoch darüber hinaus, dass jedermann vor dem Naturzustand der Unwissenheit kapitulieren solle und auf Versuche zur Steuerung der Wirtschaft weitgehend verzicht werden müsse – allerdings, eine wichtige Einschränkung, nicht vollständig. Bezeichnenderweise folgen sie einer solchen Enthaltsamkeit selbst nicht. Als Teil des Projekts, eine mit sozialen Zielen vereinbare Wirtschaft zu schaffen, muss die Linke auch einen theoretischen Erklärungsrahmen für diese Tatsache entwickeln.

      Kann man Zombies dazu überreden, in ihre Gräber zurückzukehren?

      Mit John Quiggins bereits erwähntem Buch Zombie Economics verbindet die vorliegende Untersuchung eine ganze Reihe von Anliegen, und sie berührt auch mitunter dieselben Fachbegriffe. Beide vertreten die These, dass unsere Kultur von toten und verrotteten Vorstellungen über die Wirtschaftskrise beherrscht wird. Und obwohl es in einem nebligen Alptraum mitunter schwierig ist, die Zombies von bloßen Nebendarstellern zu unterscheiden, liegt Quiggin meines Erachtens auch damit richtig, dass die Ökonomen, nicht die Neoliberalen, die Zombies sind (ein weiterer zwingender Grund für die analytische Unterscheidung von Neoklassik und Neoliberalismus).

      Allerdings werde ich Quiggins Buch auch als ein Beispiel für bestimmte Denkmuster behandeln, die die Linke in der gegenwärtigen Krise zu einem passiven, wirkungslosen Widerstand gegen den Neoliberalismus verurteilt haben. Um im Bild zu bleiben: Quiggin meint offenbar, ein Zombie lasse sich am besten durch Argumente zurück ins Grab drängen. Wäre es doch nur so einfach, alte Gräber wiederzuverwenden. Sein Verhältnis zur Wirtschaftswissenschaft hat er auf dem bekannten Blog Crooked Timber prägnant beschrieben:

      »Auch wenn ich eindeutig links von den meisten Wirtschaftswissenschaftlern stehe (einschließlich vieler, die sich selbst als heterodox bezeichnen würden), bin ich gerne bereit, mich mit dem dominierenden Forschungsprogramm der Disziplin zu identifizieren. Der erste Grund dafür ist einer der persönlichen/politischen Strategie. Ausgehend von, grob gesagt, sozialdemokratischen Annahmen darüber, wie die Welt funktioniert, versuche ich Maßnahmen im Interesse der Gesellschaft im Allgemeinen und der Arbeiterklasse und den Benachteiligten im Besonderen zu bestimmten und fördern. Die etablierte Wirtschaftswissenschaft bietet eine Reihe von Werkzeugen für die Analyse (Theorie öffentlicher Güter, Externalität und Marktversagen, Steuerpolitik und Einkommensverteilung) und eine weithin verständliche Sprache für die Formulierung der Resultate. Keines der alternativen

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