Der Minnesänger. Hendrik Conscience

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Der Minnesänger - Hendrik Conscience

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      Der Minnesänger

      I

      Wie lange es her ist, weiß Keiner.

      Seit jenen finsteren Zeiten sind tausendjährige Wälder von der Erde verschwunden, volkreiche Städte untergegangen, mächtige Burgen zerfallen, das wechselnde Schicksal der westlichen Erdhälfte hat den vlämischen Boden zwanzigmal arm und wieder reich gemacht, und gänzlich umgestaltet.

      Damals stand in einem der fruchbarsten Landstriche des Isergaues eine große, prächtige Burg, Iserstein genannt, welche nicht, wie so viele ritterliche Raubnester jener Zeit dem Vorüberziehenden Furcht und Schrecken einflößte, sondern ihm zu winken, ihn einzuladen schien, die Gastlichkeit des edlen Schloßherrn in Anspruch zu nehmen.

      Wohl war auch diese Burg nach allgemeinem Brauch von einer hohen Ringmauer umschlossen, wohl zeigten die Zinnen und Schießscharten mit den Schützen dahinter, das man für die Sicherheit der Bewohner sorgte, aber die Zugbrücke war niedergelassen, das Thor stand geöffnet und die Waffenknechte mit ihren Kreuzbogen und Spießen machten die Runde auf den Wällen zwischen grünem Gesträuch und duftenden Blumen.

      Erstieg man einen der Thürme, welche an den vier Ecken der Burg zum Himmel emporragten, so beherrschte das bewundernde Auge eine weite Fläche, die gleich einem unermeßlichen grünen Teppich sich ausdehnte, mit dem Goldregen, der Butterblumen und den Perlenschnüren der Maßliebchen geschmückt.

      Dort, zwischen schwankendem Schilf floß in sanften Windungen friedlich und silberhell der Iserstrom die Lebensader der Gegend.

      Allenthalben sah man zahlreiche Schafherden und bunte Rinder die saftigen Weiden beleben, durch die stille Luft tönte weithin der Gesang der Vögel und dass fröhliche Lied der Hirten und Bauern.

      Graf Folkard von Iserstein, der Burgherr, war ein achtunggebietender Mann von hohem Wuchs und kräftiger Gestalt.

      Man hätte erzittern mögen vor dem Ernst in seinen Zügen, wenn nicht ein freundliches Lächeln sie von Zeit zu Zeit erhellt hätte. Eifriger Liebhaber der Jagd, der Ritterspiele und aller Uebungen, welche die Glieder gelenkig machen und stärken, eifersüchtig auf seine Herrschaft und voll trutzigen Stolzes, wo er seine Ehre bedroht glaubte, war er gleichwohl ein Feind der Gewalttätigkeit, ein warmer Freund der Gerechtigkeit.

      Seine Gemahlin, eine stattliche Edelfrau, die in ihrer Jugend jedenfalls sehr schön gewesen war, hatte durch ihr ruhiges sanftes Wesen viel dazu beigetragen, den rauhen Sinn ihres Gatten zu mildern. Sie kannte keine Freude außer dem Bereich ihres häuslichen Lebens, empfing gern Gäste an ihrer Tafel, mit denen sie heitre Unterhaltung Pflog, und bewirthete mit besonderer Vorliebe die Minnesänger, deren Liedern, Sprüchen und Sagen sie ganze Abende hindurch freudig lauschte.

      Gott hatte die Ehe des Grafen und der Gräfin Iserstein nur mit einem Kinde gesegnet, einem Sohne, Wilfried genannt, der jetzt bald das zwanzigste Lebensjahr erreichen sollte.

      Daß beide Eltern auf diesen Sohn all’ ihre Liebe und Hoffnung setzten, war nicht zu verwundern; fand sich doch in Wilfried die männliche Kraft des Vaters und die sanfte Natur der Mutter vereinigt, auch waren Beider Züge in seinem Gesichte deutlich erkennbar, Beider Wesen in ihm zu Eins verschmolzen Hatte der Vater ihn in allen Leibesübungen ausgebildet und seine Jagdlust ihm übertragen, so war es von der Mutter der Sinn für stille häusliche Freuden, der Geschmack an Liedern und Dichtungen auf ihn vererbt, und zwar in so hohem Masse, daß er füglich selbst einen Minnesänger hatte abgeben, und Abends am hohen Kamine Alt und Jung durch Gesang und Erzählung hätte fesseln können.

      Wilfried belohnte die Zärtlichkeit seiner Eltern durch eine grenzenlose Liebe; besonders die Mutter war ihm über Alles theuer und es würde ihn tief geschmerzt haben, etwas thun zu müssen, dass sie betrüben könnte.

      Etwa um diese Zeit trat in dem Verhalten der Gräfin Iserstein gegen ihren Sohn eine Veränderung hervor, die unerklärlich schien. Früher hatte sie niemals Einwendungen erhoben, wenn Wilfried allein oder mit seinem Vater zur Jagd oder zum Turniere zog; wenn er nur des Abends ihr Gesellschaft leistete, so war sie zufrieden.

      Jetzt hingegen erschrak sie und wurde traurig, so oft ihr Sohn, aus was für einem Grunde, die Burg verlassen wollte.

      Um ihren Wünschen nachzugehen blieb der Jüngling einige Tage zu Hause, bis er endlich, der Unthätigkeit überdrüssig, in seine Mutter drang, und den Grund dieses Wechsels von ihr zu erfahren suchte.

      »Ach mein lieber Wilfried,« antwortete sie ihm, »das Herz Deiner Mutter ist von einer geheimen Angst gequält, die ich Dir nicht genau zu bezeichnen weiß; es wohnt die Überzeugung in mir, daß eine große Gefahr Dich bedroht. Nachts springe ich auf s dem Schlafe, die entsetzlichsten Träume verfolgen mich, ich sehe nichts als Blut und Leichen, Unbekannte Stimmen rufen mir zu: »Schütze, bewahre Dein Kind, ein grauenhaftes Schicksal schwebt über seinem Haupte! . . . und diese Stimmen verfolgen mich auch bei Tage, machen mich zittern für Dich und lasten auf mir wie ein schwerer Druck. – Habe Geduld mit Deiner armen Mutter, sie befürchtet, daß auf der Jagd oder beim Waffenspiel ein blutiges Unglück Dich treffen könnte . . . vielleicht ist ihre Sorge unbegründet, aber laß sie nicht verzagen vor Angst und Noth. Wilfried, lieber, einziger Sohn, ich bitte Dich, bleib noch einige Tage in meiner Nähe.«

      Obwohl der Jüngling in dieser Angst seiner Mutter nur eine vorübergehende Gemüthsstimmung sah, unterwarf er sich geduldig ihrem Verlangen.

      Er bemerkte jedoch, nachdem er wiederum eine Woche bei ihr geblieben war, das; ihre Aufregung eher wuchs denn abnahm, dabei fing die Langeweile an, ihn dergestalt zu plagen, daß er endlich bat und flehte, man möchte ihm nur ein paar Stunden der Ausspannung in freier Luft vergönnen.

      Die Gräfin hielt ihn zurück, so lange sie konnte und würde vielleicht noch längere Zeit sein Sehnen nach freier Bewegung erfolgreich bekämpft haben, wenn nicht eines Morgens einer der Jäger seines Vaters ganz erhitzt in die Burg gekommen wäre.

      Auf, Junker Wilfried, zu Pferde, zu Pferde!« rief er, »eine wunderbare Jagd wartet Eurer! Wir haben gestern gegen Abend im Eberwald einen Hirsch aufgetrieben, so groß und mit solch mächtigem Geweih, wie seit Menschengedenken in Flandern nicht ist gesehn worden.«

      Wie von einein Zauberstabe berührt sprang Wilfried jubelnd auf, er zitterte vor ungestümen Verlangen, seine Augen strahlten.

      »Und das Sonderbarste an dem Thiere ist,« fuhr der Jäger fort, »es hat große weiße Flecken auf dem Rücken. Wir wissen, wo es lagert, und wollten dem Grafen, Eurem Herrn Beter die Freude des seltenen Fanges aufbewahren, doch der sagt, daß die Gicht ihn plage . . . «

      Wie außer sich flog Wilfried seiner Mutter um den Hals und bat stürmisch um ihre Erlaubniß, und wie sehr es sie auch betrüben und ängstigen mochte, die Gräfin fühlte, daß sie ihn nicht länger zurückhalten dürfe.

      »So geh denn Wilfried, und Gott behüte Dieb,« sagte sie mit Thränen in den Augen; »ich werde für Dich beten.«

      »Schnell, schnell!« rief er, mein bestes Pferd gesattelt! Die Hörner geblasen! Die Hunde los!«

      Noch einmal umarmte er dankend und tröstend seine Mutter, begab sich dann zu dem oberen Saal, um auch vom Vater Abschied zu nehmen und eilte endlich in den Schloßhof, von wo das Blasen der Hörner, das Bellen der Hunde und das Wiehern seines muthigen Rosses ihm entgegenschallte.

      Er sprang in den Sattel, gab dem Pferde die Sporen und sprengte dem Thore zu, unter dem Ausruf:

      »Mir nach! Dem Eberwalde zu! Vorwärts! Vorwärts!« So flog er über die Zugbrücke, durch die Wiesen dahin, gefolgt von sechs Jägern und einer Meute von Hunden, deren lautes Bellen weit über die Fläche hallte.

      Wilfried

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