Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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hingab, hier auf heimischem Boden zu stehen. Sie überblickte den Garten und dachte an ihre Kinderjahre, an jene Momente voll unbezwingbarer Sehnsucht, wo sie beim Spaziergange hinter den Eltern zurückblieb und, ihr Gesicht an das festgeschlossene Gitter gepreßt, in fremde Gärten hineinsah. Dort tummelten sich glückliche Kinder ungezwungen auf den Rasenplätzen; sie durften die aufgeblühten Rosen am Stocke in ihre kleinen Hände nehmen und sich an dem Dufte erquicken, solange sie wollten … Und was mußte das für eine Lust sein, den kleinen Körper unter einen vollen Strauch zu ducken und gerade so im Grünen zu sitzen, wie die großen Leute in einer Laube! Damals blieb es bei Wunsch und Sehnsucht. Nie öffnete sich eine der geschlossenen Thüren vor dem Kinde mit den bittenden Augen, und es wäre doch schon zufrieden gewesen, wenn man durch das Gitter einige Blumen in seine kleinen Hände gelegt hätte.

      Während Elisabeth auf dem Walle stand, erschien der Oberförster an einem der oberen Fenster des Zwischenbaues. Als er das junge Mädchen erblickte, wie es, die zarte Gestalt an die Brüstung gelehnt und den schönen Kopf halb nach dem Garten gewendet, sinnend vor sich hinsah, da überflog ein unverkennbarer Ausdruck von Wohlgefallen und stiller Freude sein Gesicht.

      Auch Else wurde den Onkel gewahr, nickte lustig ihm zu und lief schnell die Stufen hinab nach dem Hause. Da sprang ihr der kleine Ernst aus der großen Halle entgegen und lachend fing sie ihn in ihren Armen auf.

      Seiner enthusiastischen Beschreibung nach hatte der Kleine schon Unglaubliches geleistet Er hatte dem Maurer, der den Herd errichtete, Backsteine zugetragen, war von Mama beim Ausklopfen der Betten beschäftigt worden und meinte mit großem Stolze, die Herren und Damen auf der wollenen Tapete sähen viel schöner und freundlicher aus, seit er mit der Bürste über ihre staubigen Gesichter gefahren sei. Er schlang entzückt die Arme um den Hals der Schwester, die ihn die Treppe hinauftrug, und hörte nicht auf zu versichern, daß er es hier oben doch tausendmal schöner finde, als in B.

      Der Oberförster empfing Elisabeth droben im Vorsaale. Er ließ ihr kaum Zeit, die Eltern zu begrüßen, und führte sie, ohne ein Wort zu sagen, in das Zimmer mit den Gobelins … Welche Veränderung! … Das grüne Bollwerk vor dem Fenster war verschwunden, draußen, jenseits der äußeren Mauer, trat der Wald auf beiden Seiten kulissenartig zurück und gewährte einen vollen Einblick in ein weites Thal, das Elisabeth wahrhaftig paradiesisch erschien.

      »Das ist Lindhof,« sagte der Oberförster und zeigte auf ein ungeheures Gebäude in italienischem Geschmacke, das sich ziemlich nahe an den Fuß des Berges drängte, auf welchem Gnadeck lag. »Ich habe dir hier etwas mitgebracht, das dir sofort jeden Baum drüben auf den Bergen und jeden Grashalm drunten auf den Wiesen vorführen wird,« fuhr er fort, indem er dem jungen Mädchen ein gutes Perspektiv vor die Augen hielt.

      Da rückten die gewaltigen, ernsten Bergkuppen herüber, deren granitene Gipfel hier und da den Wald zerrissen und auf ihrer äußersten Spitze eine einsame Tanne gen Himmel streckten. Hinter diesen nächsten Bergen türmten sich zahllose bewaldete Rücken im blauen Dämmerlichte, und aus einem fernen dunklen Thale, das nur wie ein tiefer Einschnitt zwei Bergriesen voneinander trennte, tauchten zwei schlanke gotische Türme bleich und nebelhaft empor. Ein kleiner Fluß, eine von Pappeln eingefaßte Chaussee und mehrere schmucke Dörfer belebten den Hintergrund des Thales; vorn lag das Schloß Lindhof, umgeben von einem im großartigsten Stile angelegten Parke. Unter den Fenstern des Schlosses breitete sich ein weiter, kurzgeschorener Rasenplatz aus, auf dem kleine, wunderlich geformte Beete in feuriger Tulpenpracht hingestreut lagen. Elisabeths Blick schweifte darüber hinaus und tauchte erquickt in das geheimnisvolle Dunkel einer Allee prächtiger Linden, deren Kronen sich dicht über den braunen Stämmen wölbten, während einzelne schwere untere Zweige ihre breiten Blätter zwanglos auf den Kies niederhingen. Bisweilen streckte ein Schwan seinen weißen Hals neugierig in den Schatten der Allee, wobei seine Flügel einen blitzenden Regenschauer an die alten Stämme schleuderten – ein klarer kleiner See schmiegte sich dicht an ihre Füße; er lag in diesem Augenblicke ziemlich melancholisch in seinem blumengeschmückten Ringe, denn ein bewölkter Himmel spiegelte sich in seiner Fläche.

      Hatte Elisabeth das Fernrohr bis dahin rastlos von einem Gegenstande zu dem andern wandern lassen, so suchte sie jetzt einen festen Halt und Stützpunkt für dasselbe; denn sie hatte eine Entdeckung gemacht, die ihr Interesse in hohem Grade fesselte.

      Unter dem letzten Baume in der Allee stand ein Ruhebett. Eine junge Dame lag darauf; sie hatte den reizenden Kopf zurückgelehnt, so daß ein Teil ihrer langen kastanienbraunen Locken über das Polster herabfiel. Unter dem Saume des langen weißen Musselinkleides, das die ganze Gestalt bis an den Hals züchtig verhüllte, erschienen zwei zarte Füßchen in goldglänzenden Saffianschuhen. Die Dame hielt zwischen den feinen, fast durchsichtig mageren Fingern einige Aurikeln, welche sie gedankenlos unaufhörlich hin und her drehte. Nur auf den schmalen Lippen lag ein schwacher Anflug von Rot, sonst war das Gesicht lilienweiß, man hätte sich versucht fühlen können, seine Lebenswärme zu bezweifeln, hätten nicht die blauen Augen in einem wundersamen Ausdrucke geleuchtet. Diese Augen mit diesem Ausdrucke aber waren auf das Gesicht eines Mannes gerichtet, der, gegenüber sitzend, ihr vorzulesen schien. Elisabeth konnte sein Gesicht nicht sehen, denn er wendete ihr den Rücken zu. Er schien jung, groß und schlank zu sein und hatte üppiges dunkelblondes Haar.

      »Ist die reizende Dame da drunten die Baronin Lessen?« fragte Elisabeth gespannt.

      Der Oberförster nahm das Perspektiv. »Nein,« sagte er, »das ist Fräulein von Walde, die Schwester des Besitzers von Lindhof. Du nennst sie reizend, und ihr Kopf ist es auch, aber ihr Körper ist krüppelhaft – sie geht an der Krücke.«

      In diesem Augenblicke trat Frau Ferber hinzu. Auch sie sah durch das Glas und fand das Gesicht der jungen Dame überaus lieblich; sie hob besonders den Ausdruck von Seelengüte hervor, der »die Züge verkläre«.

      »Ja,« sagte der Oberförster, »gut und mildthätig soll sie auch sein. Als sie hierher kam, war die ganze Umgegend ihres Lobes voll … Aber auch darin hat sich das Blättchen sehr gewendet, seit die Baronin Lessen das Regiment im Hause führt … Da kommt kein Almosen mehr unter die Armen, das nicht erst mit dem Muckertum auf der Goldwage gelegen hätte … Wehe dem armen Bittsteller, er kriegt keinen Pfennig Unterstützung, und noch spitze Bemerkungen obendrein, wenn es sich nämlich herausstellt, daß er lieber beim Pfarrer in Lindhof die Predigt hört, als in der Schloßkapelle, wo ein Kandidat – der Hauslehrer der Baronin – allsonntäglich Feuer und Schwefel und alle erdenklichen Höllenqualen von der Kanzel herab auf die Häupter der Gottlosen schleudert.«

      »Solche Zwangsmaßregeln sind ein sehr übles Mittel, den christlichen Sinn im Volke wieder zu erwecken,« meinte Frau Ferber.

      »Sie schlagen ihn vollends tot und füttern dafür die Heuchelei groß, sage ich!« rief zornig der Oberförster. »Schon deshalb, weil sie selbst das Beispiel dazu geben. Da lesen sie jederzeit in der Bibel von der christlichen Demut und werden doch von Tag zu Tag hochmütiger und anmaßender; ja, sie wollen einem sogar weismachen, ihr hochgeborener Leib sei schon aus einem ganz andern Stoffe, als der ihrer niederen Brüder in Christo … Wenn du aber Almosen gibst, so lasse deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte thut, so steht geschrieben … ein Huhn macht aber wahrlich nicht mehr Geschrei um sein eben gelegtes Ei, als diese Leute um ihre milden Thaten. Da gibt’s Kollekten, Armenlotterien u. dergl. m., wobei die ganze Umgegend unaufhörlich gebrandschatzt wird; wenn es aber gilt, da zu nehmen, wo am meisten zu finden ist, im eigenen Geldbeutel, da hört der Spaß auf, wie man zu sagen pflegt … Ich kenne Leute, die seit zwanzig Jahren milde Gaben anderer sorgfältig zusammensparen, um dereinst ein Armenhaus zu gründen. Diese vortrefflichen Leute beziehen ein jährliches Einkommen von ungefähr sechstausend Thalern. Zu verlangen, daß sie von diesem Lumpengelde hier und da ein Sümmchen abbrechen sollen zum Besten ihres löblichen Vorhabens, das darf einem beileibe nicht einfallen … sie haben den Heiligenschein christlicher Aufopferung und Hingebung so billiger … Herr Gott, wie mich das ärgert, wenn die Leute ihre Frömmigkeit so auf dem Präsentierteller herumtragen! …

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