Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Kind, noch nicht! Doktor hat's verboten!« rief der Schwarze von der Wiese herüber. »Pirat ist wild, regt dich auf. Heute nicht – morgen! Will nachher gleich hingehen und ihn zur Ruhe bringen.« Damit stampfte er immer tiefer in das Gras und machte Jagd auf die gelben Blumen und die dicken Federbälle, die unter seiner Berührung auseinander stäubten.

      Die Augen der Majorin glühten plötzlich auf, und so voller Hast, als habe es ihr eine dämonische Gewalt angetan, die sie vorwärts treibe, verließ sie die Leiter und ging in das Haus. Den Hof betrat sie nicht; sie nahm den Weg durch die Hintergebäude, den der kleine José neulich gegangen war – über die dunklen Böden hinweg kam sie ungesehen in das Giebelzimmer. Fast wie ein Dieb, der sich auf fremdes Gebiet schleicht, bemühte sich diese Frau, mit dem sonst so majestätisch festen Gang, geräuschlos in ihr eigenes Zimmer einzutreten.

      Sie schloß den Wandschrank auf, der ihr reiches Silbergerät enthielt – in der einen tiefen Ecke hatte einst auch das verhaßte Patengeschenk mit dem eingravierten Namen Lucian den Augen der Welt möglichst entrückt gelegen – und nahm einen kleinen, schwervergoldeten Silberbecher von herrlicher Form und Arbeit heraus. Das war auch ein Patengeschenk, das einst ein reicher Freund des Hauses der kleinen Therese Wolfram in das Taufzeug gesteckt hatte. Hastig fuhr sie noch einmal mit dem Staubtuch über das goldfunkelnde Innere des Bechers, dann ließ sie ihn in die Tasche gleiten und ging auf demselben Wege, den sie gekommen, in den Garten zurück.

      Ein Blick über den Zaun und die tiefe Stille, die drüben herrschte, überzeugten sie, daß der Neger zu dem Hund gegangen sei, um ihn zu beruhigen. Mit bebenden Fingern zog sie einen Schlüssel aus dem klirrenden Bund, der an ihrem Gürtel hing, riß die Küchenschürze ab, um sie hinter den nächsten Busch zu werfen, und schloß die kleine Mauertür auf, die hinaus auf die Straße führte.

      Das alte Brettergefüge ächzte und kreischte in den Angeln, und die Frau fuhr mit kreideweißem Gesicht zurück und biß die Zähne aufeinander. Vor langen Jahren hatte sich diese Tür auch so widerwillig gesperrt und förmlich feindselig gemurrt, als gehöre sie auch zu denen auf Wolframschem Gebiet, die es so ungern sahen, daß die schöne Tochter des Hauses, das bräutliche Mädchen im weihen Kleide, da hinausschlüpfte, um drüben im Schillingsgarten dem schlanken Soldaten in die Arme zu eilen ... Ja, weiß wie eine Taube war sie immer hinübergeflattert – er hatte das so sehr geliebt ...

      Die Majorin hatte den Fuß unwillkürlich zurückgezogen; aber nur für einen Augenblick – dann trat sie entschlossen hinaus, und die Tür fiel hinter ihr zu.

      Die an sich schon öde Straße mit den verlorenen Häusern zwischen langen Gartenmauern war in diesem Augenblick völlig menschenleer. Es bedurfte auch nur weniger Schritte, um die Tür des nachbarlichen Gartens zu erreichen. Sie wurde tagsüber nie verschlossen – der Farbenreiber, die Modelle und auch die Dienerschaft gingen meist da aus und ein. Die Majorin wußte das – sie klinkte die Tür auf und trat ein.

      Das beklemmende grüne Dämmerlicht unter den uralten, langbärtigen Fichten hauchte sie an wie ein Traum, der längst vergangene Zeiten auferstehen läßt, und im ersten Augenblick war es ihr, als müßten jenseits der Walddämmerung goldene Epauletten im hellen Tagesschein aufblitzen – ein zweischneidiges Schwert ist die Jugenderinnerung, wenn sie über die Schlucht herübergreift, die das jäh hinabgestürzte Lebensglück für immer verschlungen ... Die großen dunklen Augen blickten umflort und wie erschreckt, bis sie auf die blaue Seidendecke fielen, die zwischen den Fichtenstämmen leuchtete. Dort glänzte es ja auch golden, das Knabenköpfchen, das sich bei dem Türgeräusch emporrichtete.

      Der kleine José sah erstaunt, aber nicht erschrocken zu der Frau empor, die mit wenigen Schritten neben ihm stand – die Frau im schwarzen Kleide mit dem schönen, farblosen Gesicht und den schneebleichen Lippen, die sich zitternd öffneten und schlossen, ohne einen Laut hervorzubringen.

      Wie ein Fürstenkind lag der Knabe da, den das alte Klosterhaus neulich wie mit tückischen Fangarmen in seinem häßlichsten Winkel festgehalten. Ein Amulett funkelte an seiner Goldkette auf dem spitzenbesetzten Schlafkleidchen, das weiß aus dem übergeworfenen seidengefütterten blauen Samtmantel schimmerte. Die alten Tuchweber aus dem engen Stadtgäßchen würden wohl den Kopf geschüttelt haben über das aristokratisch feine Menschenbild, in dem auch ihr Blut floß, das Blut der Ackerbürger mit den schwieligen Händen und dem rauhen störrigen Sinn.

      »Geht es dir wieder besser?« fragte die Majorin halb flüsternd und bog sich so tief über das Kind, daß sie den würzigen Atem des kleinen Mundes über ihre Wange hinwehen fühlte.

      »Ach ja – aber müde bin ich! Und ich möchte doch so gern mit Paula und Pirat im Garten herumlaufen.«

      »Paula ist dein Schwesterchen?«

      »Ja – weißt du das noch nicht? ... Sieh mal, die wunderschöne Kette, die ich mache! Willst du sie haben?« Er hing ihr die plump zusammengefügten Ringe der Löwenzahnstengel, an denen sich vorhin die schwachen Fingerchen emsig abgemüht hatten, über den Arm.

      »Ja, mein liebes Kind, die will ich behalten,« sagte sie, und behutsam, als sei es eine zerbrechliche Filigranarbeit, sammelte sie die Kettenglieder in der Linken; dann griff sie mit der Rechten in die Tasche und zog den Becher heraus. »Ich will dir auch etwas schenken, einen kleinen Trinkbecher, aus welchem du künftig deine Milch trinken sollst.«

      Der Becher, den das alte Klosterhaus so lange wie ein Argus behütet, er lag jetzt auf der blauen Decke, und der Knabe griff mit beiden Händen danach. »Ach, der ist aber schön!« sagte er bewundernd und wandte ihn spiegelnd hin und her. »Ich danke dir!« rief er plötzlich aus vollem, erfreutem Kinderherzen und reckte sich mit ausgestreckten Armen an der Frau empor, und sie – ihrer nicht mehr mächtig, schlang ihre Arme fester und fester um den kleinen Leib, der sich an sie schmiegte, und als wolle sie alle die trotzige Entsagung, die namenlos bittere, bohrende Reue, die furchtbare Einsamkeit der letzten Jahre, die grausame, übermenschliche Zurückhaltung, die sie neulich dem Kinde gegenüber behauptet, in einem einzigen glückseligen Moment auslöschen und vergessen, bedeckte sie ihn mit den Küssen einer fast wild hervorbrechenden Zärtlichkeit ...

      Tiefaufatmend ließ sie das Kind in die Kissen Zurücksinken. »Willst du auch an mich denken, wenn du aus dem Becher trinkst?« fragte sie – wer hatte je diese Stimme so weich, so bewegt und seelenvoll gehört? ...

      »Ja – aber wie heißt du denn?«

      »Ich? –« das Blut, das ihr heiß nach dem Kopf geströmt war, sank jäh zurück, und mit blassen Lippen wiederholte sie nochmals: »Ich?! – Ich heiße Großmama!«

      Damit trat sie rasch, fast wie flüchtend, von dem Knaben weg und schritt nach der Tür.

      »Bleib' doch da!« rief er bittend.

      Auf diese Laute hin wandte sie noch einmal den Kopf nach ihm; aber in demselben Augenblick bog der Neger um die Ecke des Ateliers. Noch ein Winken mit der Hand, dann war sie so rasch hinter der Mauertür verschwunden, daß Jack nur noch einen Zipfel ihres langen schwarzen Gewandes wie einen Schatten hinausgleiten sah.

      31.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Majorin schritt wieder auf dem geradlinigen Hauptweg des Klostergartens. Es war eine rein mechanische Tat ihrer Ordnung schaffenden Hände gewesen, daß sie die Tür pünktlich verschlossen und die hingeschleuderte Küchenschürze wieder vorgebunden hatte – sie wußte es kaum. Sie wandte das Gesicht nicht mehr nach dem Zaun hinüber; aber ihr vorwärts gerichteter Blick sah auch nicht die weinbekleidete schiefe

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