Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Holzstall in den engumgrenzten offenen Raum, von dessen Mauern der ganze wüste Lärm eines Gutshofes widerhallte.

      Mosje Veit war jedenfalls eben dem Schulzwang entlaufen. Er rannte, als sei er in einem engen Käfig eingesperrt gewesen, in tobender Ausgelassenheit durch den Hof und ahmte ein wildes Pferd nach, das in das Gebiß knirscht und schäumt.

      Die Majorin blieb wie angewurzelt stehen. Noch fühlte sie den Hauch des süßen Kindermundes auf den Lippen, und der zärtlich-sanfte Knabe mit seinen großen sprechenden Augen, den sie in den Armen gehalten, er war schön wie ein Seraph, er hätte mit seinem grazienhaft ruhigen und edlen Wesen ein Fürstenhaus geziert – und er war ihr eigen Fleisch und Blut; der Lebensstrom, der einst von ihr ausgegangen, er hatte eben, wie zurückkehrend, in sanften Schlägen des kleinen Herzens an ihre Brust geklopft, unabweisbar zu ihr gehörend und die unnatürliche Schranke überflutend, die das harte Gebot: »Ich will dich nie wiedersehen, selbst nach dem Tode nicht!« selbstsüchtig aufgerichtet ... Und sie hatte einst gemeint, man könne vergessen und verwinden, wenn man nur ernstlich wolle; sie hatte sich all die Jahre hindurch immer angstvoller an den Namen ihrer Väter angeklammert, der wie ein knorriger Eichenstamm jahrhundertelang seine Eigenart behauptet und nach dem dünkelhaften Sinn der letzten seiner Töchter kein ausgeartetes, verkrüppeltes Reis tragen konnte. Sie hatte »vergessen und verwinden« wollen um diesen da, der eben wie ein losgebundenes, junges wildes Tier den Boden stampfte, der mit seinen schiefgestellten Augen tückisch nach einem Opfer für seine Peitsche suchte, und in seiner brutalen Roheit und Bosheit, seiner Lügenhaftigkeit der Schrecken aller war.

      Gerade in diesem Augenblick kam ihm die Stallmagd in den Weg. Sie trug zwei volle Eimer und konnte sich nicht wehren, und das war ein zu günstiger Augenblick – sausend fuhr die scharfe Peitschenschmitze über die dünn bekleideten Schultern des Mädchens; sie stieß ein Wehgeschrei aus und krümmte sich vor Schmerz.

      Mit wenigen raschen Schritten trat die Majorin aus dem Holzstall – sie entriß dem Knaben die Peitsche, zerbrach den Stock derselben in Stücke und warf sie ihm vor die Füße auf das Pflaster.

      Er wollte wütend auf sie losspringen – es lief ihr wie ein Schauer über den Leib; nach jenem innigen Umfangen durfte ihr dieses Element nie wieder nahe kommen. Sie stand da wie eine Mauer und streckte dem Heranstürmenden die geballte Faust entgegen.

      »Fort – oder ich züchtige dich, so lange ich eine Hand rühren kann!« sagte sie mit ihrer eiskalten, harten Miene, wenn ihr auch vor Grimm die Lippen bebten.

      Er hatte die Kraft dieser Hand neulich zur Genüge gespürt und zog sich feige zurück. Dafür verlegte er sich aufs Schimpfen; er machte die Geste der langen Nase und hob den zerbrochenen Peitschenstock auf, um ihn nach dem Düngerhaufen zu schleudern.

      »Der Papa wird dir's schon sagen! Wenn er nach Hause kommt, da kriegst du deine Leviten!« drohte er und lief nach dem Pferdestall, wo noch verschiedene seiner Peitschen und Reitgerten waren.

      Der Papa war aber bereits zu Hause. Er stand am Fenster der Eßstube und hatte den zerknitterten Filzhut mit der breiten, schlappigen Krempe noch auf dem Kopfe. Die Majorin hatte ihn schon vor Vollzug ihres Strafaktes bemerkt, und gerade weil er nicht die geringste Miene machte, die Mißhandlung der Magd auch nur mit einer Silbe zu rügen, hatte sie die Ausgleichung in die Hand genommen.

      Sie ging in die Küche, nahm einen Korb voll frischgepflückter Johannisbeeren aus einem Schranke und trug ihn in das Eßzimmer, um dort die Beeren zum Einmachen vorzurichten. Ihr Gesicht war wie immer so starr und verschlossen, als sei heute auch noch nicht die mindeste Gemütsbewegung darüber hingegangen; und wenn der arme Felix einen Rückblick in das alte Falkennest hätte werfen können, er würde genau wie bei seiner jedesmaligen Heimkehr das unbeirrte Schaffen und Hantieren, das Sparen und Einheimsen gefunden haben ... Und die Stube, an deren Eßtisch sich die Majorin einen jener steiflehnigen, hartgepolsterten Stühle gerückt hatte, die schon für die Großeltern Erbstücke gewesen waren, sie war unverändert dieselbe, in der dem Ausgestoßenen vor acht Jahren der Prozeß gemacht worden war. Sie zeigte dieselbe häßliche schokoladenfarbene Tapete; nur daß da und dort neue Flicken, jedenfalls im Bereich von Veits zerstörenden Händen, aufgesetzt waren und die Spuren täglicher Berührung am Schlüsselloch der tapezierten Wandschranktür sich verdunkelt und verbreitert hatten. Dahinter stand noch auf derselben Stelle der Blechkasten mit dem Milchgeld.

      Der Rat lehnte mit verschränkten Armen an der Fensterbrüstung, als seine Schwester eintrat. Er hatte den Hut auf das Nähtischchen geworfen, und das grünliche Licht, das durch die Ulme hereinfiel, ließ die reichen Silberfäden in seinem starren, immer noch sehr dichten Haar aufflimmern. ... Es sah aus, als habe er auf die Majorin gewartet, und sie mußte sich selbst denken, daß er sie Veits wegen zur Rede setzen werde, und gerade deshalb war sie in die Eßstube gegangen. Aber sie wartete vergeblich auf eine seiner beißenden, verletzenden Bemerkungen. Er trat nach einem kurzen Schweigen vom Fenster weg und fing an, in der Stube auf und ab zu gehen.

      »Du bist in der letzten Zeit so wortkarg, ja, so stumm gewesen, Therese, daß ich nicht einmal weiß, ob dir das drohende Unheil in meinen Kohlengruben vollständig zu Ohren gekommen ist,« hob er zu ihrem Erstaunen endlich an.

      »Das Gesinde spricht den ganzen Tag davon,« antwortete sie gelassen und streifte nach wie vor die Beeren von den Stengeln.

      »Und ficht dich das gar nicht an? ... Ist dir das Wohl und Wehe, der Besitz der Wolframs gleichgültig geworden?« fuhr er mit grollender Stimme auf – es klang fast wie ein halbverhaltenes, drohendes Knurren, und der Blick, der über ihre ruhig arbeitenden Hände hinfunkelte, war tiefgereizt.

      »Um das Wohl und Wehe der Wolframs habe ich mich längst nicht mehr zu kümmern,« versetzte sie, ohne aufzublicken. »Du erziehst den einzigen, der es dermaleinst in der Hand halten wird, nach eigenem Ermessen, nach deinen Grundsätzen, und ich – ich verbrenne mir den Mund nicht mehr ... Was aber den Besitz betrifft, so habe ich ihn nun seit langen Jahren durch unverdrossene Arbeit und gewissenhaftes Sparen vermehren geholfen – das Zeugnis darf ich mir geben!... Es macht mir Freude, ein Familienvermögen anwachsen zu sehen; aber das darf nur auf ehrliche, brave Weise geschehen, stet und beharrlich, wie es unsere Väter gemacht haben – nicht um Haarbreite anders! ... Du aber bist ein Moderner geworden. Du möchtest das Geld in jagender Eile scheffelweise einsäckeln, willst aber nichts ausgeben, um den Boden unter deinen Füßen zuerst zu sichern; und das ist das drohende Unheil in deinen Gruben – du hast es selbst verschuldet!«

      Sie hatte in fast eintöniger Ruhe gesprochen; und wenn er bis dahin der Meinung gewesen war, die Schwester kümmere sich, wie immer im festen Glauben an seine geschäftliche Unfehlbarkeit, nicht entfernt um das, was außerhalb der Wirtschaft liege, so war das jetzt widerlegt – sie wußte alles und verurteilte ihn ebenso streng, wie die ganze Stadt.

      »Davon verstehst du nichts!« fuhr er sie grob und erbittert an.

      »Mag sein – ist auch nicht meine Sache,« versetzte sie eben so gleichmütig wie vorher, nur daß sie jetzt den Blick, in welchem sich eine gewisse Unruhe spiegelte, rasch von der Arbeit hob. »Ich weiß nur, daß ich die ganzen Jahre her gewünscht habe, die Kohlen lägen in guter Ruh bis an den jüngsten Tag unter der Erde, und es wüßte kein Mensch drum. Seit du den Boden da draußen hast aufreißen lassen, ist's auf dem Klostergute nicht mehr wie es sein sollte ... Ach ja –« ein unwillkürliches Seufzen hob ihre Brust – »viel, viel reicher sind die Wolframs ja geworden, das ist ja wahr – aber der Erwerb ist mir so unheimlich, so fremd, und ich meine, es hinge ihm Unsegen an wie unrechtem Gut, weil sich ein unglücklicher Mensch um deswillen den Tod gegeben hat.«

      Der Rat war, die Hände auf dem Rücken gefaltet, immer noch auf und ab gegangen. Bei den letzten Worten blieb er stehen, gleichsam festgebannt, wie man entsetzt und versteinert vor einer Erscheinung verharrt, die unvorhergesehen gespenstisch aus dem Boden steigt – dann brach er

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