Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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ein verrückter Bedienter von seinem ebenso hirnverbrannten Herrn fortgejagt worden ist, da klebt Unsegen an meinem Unternehmen!« – Er lachte abermals gezwungen auf. »Ei nun ja – einen solchen Unsegen lasse ich mir schon gefallen! ... Wenn der alte Klaus Wolfram, der tüchtigste unter unseren Vätern, wiederkommen könnte, der würde wohl große Augen machen, daß die Wolframs jetzt auf Sommerwiese, dem größten Rittergut im ganzen Lande, sitzen.«

      Er trat an das Fenster und spielte unhörbar mit den Fingerspitzen auf den Scheiben – es lag nervöse Aufregung in dieser ungewohnten Beweglichkeit der muskulösen, braunen Hand. Einen Augenblick war es so still in der Stube, daß man das Summen der über dem Eßtisch kreisenden Fliegen hören konnte.

      Der Rat blickte verstohlen über die Schulter zurück. Seine letzte Bemerkung war sichtlich eindrucklos abgeglitten – das schöne Matronengesicht mit den gesenkten Augen behauptete seine gewohnte seltsame Starrheit, und die roten Beeren rollten in gleichmäßiger Wiederholung, vom Stiel abgestreift, in die Porzellanschüssel.

      »Du hast gestern dein Darlehen von zehntausend Talern aus der Zieglerschen Erbschaftsmasse zurückerhalten?« fragte er plötzlich.

      »Ja.«

      »Wie gedenkst du es wieder anzulegen?«

      »Ich weiß es noch nicht.«

      »Gib mir das Geld, Therese,« sagte er, rasch an den Tisch tretend. »Sommerwiese hat vor einigen Tagen meine ganzen verfügbaren Kapitalien geschluckt. Nun kommt da so unvorhergesehen das Unglück in den Gruben – ich muß Geld flüssig haben und möchte doch kein Papier veräußern... Dein Geld ist in meiner Hand gut aufgehoben, Therese. Es ist ja doch auch Wolframsches und könnte nun im großen Familienvermögen wieder mitarbeiten, wie ja dein alles, deinem eigenen fest ausgesprochenen Wunsch und Willen gemäß, später einmal – hoffen wir in allerspätester Zeit – wieder zu dem Stammbesitz zurückfließen wird.«

      Jetzt stieg ein leises Rot langsam in das bleiche Gesicht und verbreitete sich, immer dunkler werdend, bis hinauf über die Stirne. »Ich habe mein Testament noch nicht gemacht,« versetzte sie, ohne aufzublicken.

      Er stützte die Hände auf den Tisch und sah mit höhnischer Überlegenheit auf das errötete Gesicht herab – da war ja das erste Zeichen der Wandlung, das erste oppositionelle Aufzucken der Frauenseele, die er bis dahin fast widerspruchslos in der Hand gehabt! – »Das weiß ich ja, Therese,« sagte er nichtsdestoweniger gelassen und unbefangen; »und es wird mir auch nie einfallen, dich zu diesem Entschluß zu drängen, obgleich ich's sonst mit dergleichen Schritten, die doch notwendig geschehen müssen, sehr ernst nehme – der Teufel hat oft sein Spiel, und der Sturm kann über Nacht die stärksten Eichen fällen. Es wäre eine geradezu ekelhafte Aufgabe für mich, wenn ich von der Frucht, die dem letzten Wolfram zufallen soll, die hungrigen Wespen verjagen müßte – verjagt würden sie, darüber kannst du ganz ruhig sein, Therese! Du brauchst nicht zu fürchten, daß, falls du plötzlich vor mir das Zeitliche verlassen müßtest, auch nur ein Groschen in die Hand kommt, auf welcher der Mutterfluch ruht – dafür bin ich da – ich würde auch darin deinen und meinen Willen durchzusetzen wissen wie einst in deiner Scheidungsangelegenheit.«

      Sie hatte die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und schwieg beharrlich, fast wie bedrückt und gedemütigt – er konnte freilich nicht sehen, daß es wie ein Feuerbrand unter den gesenkten Wimpern loderte – war es doch ein geflissentlich rohes Betasten ihrer inneren Wunden, aller Saiten in ihrer Seele, die schmerzhaft aufschrillten.

      »Sollte uns beiden aber ein hohes Alter beschieden sein,« fuhr er wie ablenkend fort, und drehte lässig den dünnen, grauen Kinnbart zwischen den Fingern, »dann wird die Welt völlig vergessen haben, daß du einst unseren Namen mit einem anderen, unheilvollen vertauscht hattest; dann wirst du wieder die Tochter der Wolframs sein, nichts anderes, und hast dein gerechtes Teil an dem Glänze, der vom Klostergut neu ausgeht –«

      »Durch den da?« unterbrach sie ihn schneidend und zeigte mit der ausgestreckten Hand, die wie von einem inneren Fieber geschüttelt wurde, durch das Fenster nach dem Hofe – dort trieb Veit eben wieder sein Unwesen zwischen dem schreiend auseinanderstiebenden Federvieh.

      »Ja, durch den,« bestätigte er spitz und nachdrücklich, und der Grimm begann in seinen Augen aufzufunkeln.

      »Der Bursch soll aufbauen und hat doch die zerstörungswütigste Hand, die je geboren worden ist,« sprach sie weiter, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen. »Was er an zerbrechlichen Sachen mit der Hand erreichen kann, das wird ohne Gnade auf dem Boden zerschmettert. Er ist ein grausamer, erbarmungsloser Tierquäler –«

      »Dummes Zeug – das ist eben Jungenart! – Ich bin – wie ich denke – ein ganzer Mann geworden, und hab' der Mutter die Töpfe und Tassen heimlich zerschlagen, daß es eine Lust war, hab' den Maikäfern die Beine ausgerissen und die Frösche bei lebendigem Leibe aufgespießt und –«

      »So?« unterbrach sie ihn wie erschrocken, mit starrem Blick. »Da hör' ich ja das erste Wort... Ich weiß es noch recht gut – wegen der vielen zerbrochenen Töpfe und Tassen sind damals die Mägde gestraft und schließlich fortgejagt worden. Du warst so gesetzt – ›ein Mustersohn‹, wie die selige Mutter immer sagte – bis auf den heutigen Tag hätte ich mir nicht träumen lassen, daß du so ein ›Heimlicher‹ gewesen bist.«

      Er biß sich auf die Lippen, während die Rechte der Majorin verstohlen vom Tische glitt und in die Tasche schlüpfte. Sie umschloß sanft die kühlen Ringe der Löwenzahnstengel, und es war, als laufe diese Kette von dem Händchen aus, das sie zusammengefügt, wie ein magnetisches Band bis an das Herz der Frau, an das verstockte Herz, das viele Jahre lang gegen seine natürlichsten, weiblich weichen Regungen gewütet hatte – und nun strömten sie doch hervor, unaufhaltsam, in ungeahnt beseligender Kraft. Jenes zärtlich streichelnde Händchen, es marterte gewiß keine Kreatur, die Leben und Odem in sich hatte; in dem Kind lebten so wenig Bosheit und Heimtücke wie in ihm, der einst von der heimischen Schwelle gestoßen worden war ...

      »Jugendstreiche, Therese, wie sie sein müssen bei einem rechtschaffenen Jungen, der gesundes Blut in den Adern hat!« lachte der Rat gezwungen auf. »Ich will dir damit auch nur schlagend beweisen, daß man nach solch scheinbar schlimmen Anzeichen, über die eben auch nur alte Weiber zetern, den künftigen Mann nicht beurteilen soll. Veit wird dir noch Freude machen, darauf verlasse dich! Er wird dir ein Sohn sein wie mir –«

      Er hielt inne, denn seine Schwester streckte plötzlich unterbrechend die Linke gegen ihn aus.

      »Ich habe einen Sohn!« rang es sich fast wie ein Schrei von ihren Lippen.

      In diesen vier Worten gipfelte und erlosch der furchtbare Kampf, der jahrelang verborgen getobt – die Zornflammen waren in sich zusammengesunken, und unversehrt, wie ein Phönix, stieg das Muttergefühl empor.

      Der Rat prallte förmlich zurück. Wohl war er den Spuren der Wandlung in dieser Frauenseele mit scharfem Blick vom ersten Tag an gefolgt; aber er hatte auch mit dem Starrkopf seiner Schwester, mit ihrem unbeugsamen Trotz, ihrer absoluten Unversöhnlichkeit gerechnet. Diese Frau hatte ihre Jugend, ihre strahlende Schönheit aus Rache gegen ihren Mann in das alte Klosterhaus eingeschlossen; sie war, grauenhaft vereinsamt, alt geworden, aber nie in den langen Jahren war ihr auch nur ein Wort der Reue, ein klagender Laut entschlüpft, und er hatte fest gemeint, mit der aufgerüttelten Erinnerung an den Sohn werde sie schließlich ebenso reinen Tisch machen – und nun siegte das Weib plötzlich, überwältigend in ihr! Ein Kind, »der blaue Hanswurst mit dem Flachskopf« hatte es ihr angetan! Eine wahrhaft grimmige Wut kam über ihn.

      »Du hast einen Sohn? – Verzeih, ich hatte das vergessen, oder vielmehr vergessen müssen auf dein ausdrückliches Geheiß!«

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