Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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klassischen Musik, wie ist das möglich! … Sie werden mich sehr glücklich machen, wenn Sie öfter mit mir spielen wollen.«

      Es glitt etwas wie Mißbilligung über das Gesicht der Baronin, und einem seinen Beobachter wäre auch wahrscheinlicherweise das leise, spöttische Lächeln in den Mundwinkeln nicht entgangen; für Elisabeth aber war es vollständig verloren, denn ihr ganzes Interesse wandte sich der unglücklichen jungen Dame zu, deren weiche Silberstimme unmittelbar aus dem Herzen zu quellen schien.

      Herr von Hollfeld hatte unterdes einen Fauteuil für Fräulein von Walde an das Ruhebett gerückt; dann empfahl er sich, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Weil er aber durch die Thür das Zimmer verließ, die Elisabeth gerade gegenüberlag, so konnte ihr nicht entgehen, daß sein letzter langer Blick auf ihr ruhte, ehe er die Thür langsam schloß. Sie erschrak förmlich darüber, denn die Art und Weise, wie er sie angesehen, war zu eigentümlich gewesen, so daß sie im stillen ihren Anzug prüfte, ob er wohl am Ende gar zu auffallend sei.

      Fräulein von Walde unterbrach diese Musterung mit der Frage, welchem Lehrer Elisabeth ihr vollendetes Spiel verdanke, worauf letztere erzählte, daß die Mutter sie ganz allein ausgebildet, wie überhaupt die Eltern sie in allem, was sie habe lernen müssen, selbst unterrichtet hätten.

      Während dieser Mitteilung hatte sich Bella auf den Teppich gekauert und spielte mit dem Hunde. Es würde ein allerliebstes Bild gewesen sein, hätten nicht das Gewinsel und die heftigen Bewegungen des kleinen Tieres bewiesen, daß es gequält werde. Nach jedem lauteren Schrei des Hundes, bei dem Fräulein von Walde stets erschreckt zusammenfuhr, rief die Baronin wie mechanisch. »Laß doch die Possen, Bella!« Endlich aber, als das Tier in ein schmerzliches Geheul ausbrach, hob sie drohend den Finger gegen die kleine Unartige und sagte: »Ich werde Miß Mertens rufen müssen.«

      »Ach,« entgegnete die Kleine geringschätzend, »die darf sich doch nicht unterstehen, mich zu strafen; du hast es ihr ja selbst streng verboten.«

      In dem Augenblicke wurde die Tapetenthür leise aufgemacht, und ein blasses, älteres Frauenzimmer trat ein. Indem sie sich demütig vor den Damen verbeugte, sagte sie schüchtern.

      »Der Herr Kandidat wartet auf Bella.«

      »Ich will heute aber keine Stunde!« rief die Kleine, während sie ein Wollknäuel vom Tische nahm und dasselbe nach der Eingetretenen warf.

      »Ja, mein Kind, das muß sein,« sagte die Baronin. »Gehe mit Miß Mertens, sei hübsch artig, Bella.«

      Bella setzte sich, als ginge sie die Sache so wenig an, als den hinter das Sofa geflüchteten Ali, in ein Fauteuil und zog die Füße in die Höhe. Die Gouvernante schien sich ihr nähern zu wollen, aber ein zorniger Blick der Baronin wies sie an die Thür zurück.

      Wahrscheinlicherweise würde diese widerwärtige Szene noch lange gespielt haben, hätte nicht die Baronin Hilfstruppen in Gestalt von Bonbons aufmarschieren lassen. Die Kleine verließ, nachdem sie Mund und Taschen vollgestopft hatte, ihren Sitz, und während sie die Hand der Gouvernante, die sie führen wollte, zurückstieß, lief sie hinaus.

      Elisabeth saß starr vor Erstaunen. Auch die sanften Züge des Fräuleins von Walde drückten unverkennbare Mißbilligung aus, aber sie sagte kein Wort.

      Die Baronin sank in die Kissen zurück. »Diese Gouvernanten rauben mir Jahre vom Leben!« seufzte sie. »Ob diese Miß Mertens nur einmal lernen wird, Bella zu behandeln, wie es dies erregbare Kind mit seinen empfindlichen Nerven verlangt … Da wird keine Rücksicht auf Lebensstellung, Temperament und Körperkonstitution genommen. Alles kommt unter eine Schablone, gleichviel, ob Krämer-oder Pairstochter, ob zartbesaitete Wesen oder robuste Tagelöhnernaturen … Miß Mertens ist ein widerwärtiger pedantischer Schulmeister. Dabei ist ihr Englisch abscheulich; Gott weiß, aus welchem Winkel Englands sie stammen mag!«

      »Aber das kann ich durchaus nicht finden, liebe Amalie,« sagte Fräulein von Walde; ihre Stimme hatte dabei etwas unendlich Begütigendes.

      »Ach ja, das sagst du nun wieder in deiner Engelsgüte; aber obgleich ich selbst nicht Englisch verstehe, so höre ich doch auf der Stelle, wenn du, liebes Herz, mit ihr sprichst, wie ungleich eleganter deine Aussprache ist.«

      Elisabeth bezweifelte innerlich die Kompetenz dieses Urteils, und Fräulein von Walde machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand, wobei sie leicht errötete. Die Baronin aber fuhr unbehindert fort. »Bella scheint dies auch recht gut zu fühlen. Sie schweigt hartnäckig, wenn ihre Gouvernante sie englisch anredet; ich verdenke es ihr keinen Augenblick, muß mich aber immer unbeschreiblich ärgern, wenn diese Person auch noch behauptet, es sei Eigensinn und Bosheit von dem Kinde.«

      Die anfänglich so schwache und angegriffene Stimme der Baronin war unter dem Ergusse des Verdrusses merkwürdig kräftig geworden. Sie schien dies plötzlich selbst inne zu werden und schloß ermüdet die Augen. »O mein Gott,« seufze sie, »da spielen mir nun wieder einmal meine unglücklichen Nerven übel mit … Ich werde heftig, wo ich langmütig sein sollte; diese Verdrießlichkeiten sind doch wahres Gift für Leib und Seele.«

      »Ich würde dir raten, zuzeiten, wo du so angegriffen bist, wie heute, Bella unter der Obhut des Herrn Möhring und der Miß Mertens getrost zu lassen. Ich bin überzeugt, daß sie da ganz gut aufgehoben ist … Wenn ich auch deine rührende Angst und Sorge um das Kind vollkommen begreife, so muß ich doch zu deiner Beruhigung sagen, daß Miß Mertens viel zu sanft und gebildet ist, um irgend etwas zu thun, was nicht zum Heile der Kleinen wäre … Du siehst ganz erschöpft aus,« fügte sie teilnehmend hinzu. »Es wird gut sein, wenn ich dich jetzt allein lasse. Fräulein Ferber wird gewiß die Güte haben, mich bis an mein Zimmer zu führen.«

      Damit erhob sie sich, bog sich über die Baronin und hauchte einen Kuß auf deren Wange. Dann legte sie ihre Hand auf Elisabeths Arm, die von der Baronin mittels einer sehr gnädig aussehenden Handbewegung verabschiedet wurde, und verließ das Zimmer.

      Auf der langsamen Wanderung durch verschiedene Korridors sagte sie, es werde vorzüglich für ihren Bruder, der jetzt so fern von ihr lebe, eine große Freude sein, wenn sie die Musik wieder aufnehme. Er habe früher stundenlang in einer dunklen Ecke sitzen und ihr zuhören können, bis eine erhöhte Nervenreizbarkeit sie gezwungen habe, auf eine lange Zeit der geliebten Musik zu entsagen. Jetzt fühle sie sich wieder viel kräftiger, und auch der Arzt habe seine Zustimmung gegeben – nun wolle sie fleißig üben, um den Bruder zu überraschen, wenn er dereinst zurückkehre.

      Elisabeth eilte wie geflügelt durch den einsamen Park und den Weg hinauf. Droben auf der Waldblöße vor dem offenen Mauerpförtchen gingen die Eltern auf und ab, und der kleine Ernst sprang ihr schon von weitem entgegen. Wie heimisch und traut erschien ihr alles hier oben. Die Ihrigen begrüßten sie, als sei sie schmerzlich vermißt worden; droben am Fenster schmetterte und jubelte Hänschen, daß es eine wahre Lust war, und hinter den zwei sich gegenüberliegenden offenen Thüren der großen, dämmerstillen Halle glänzte der grüne Garten doppelt sonnig und zeigte im Hintergrunde die Lindengruppe über dem kühlen Brunnen, in dessen Nähe ein weißgedeckter Tisch mit dem Abendbrote stand.

      Das ganze italienische Schloß mit all seiner Pracht, seiner vornehmen Atmosphäre und seiner fast beängstigenden Stille, die nur durch den Lärm eines ungebärdigen, verzogenen Kindes unterbrochen worden war, versank hinter ihr wie ein Traum, den man gern abschüttelt; und als sie die Reihenfolge ihrer Eindrücke den Eltern mitgeteilt hatte, da schloß sie mit den Worten: »Deiner Lehre nach, Väterchen, dürfte ich mir heute noch kein festes Urteil über die neue Bekanntschaft bilden; denn du verwirfst den ersten Eindruck als etwas Trügliches, das uns leicht ungerecht macht. Aber was kann ich für meine widerspenstige Phantasie? So oft ich an die beiden Damen denke, sehe ich eine junge, einsame Hängebirke, die einer vom Sturme getragenen Wetterwolke ihre elastischen

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