Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Aufenthalt den Hausflur und den Vorderhof durchschritt und das Mauerpförtchen hinter sich zufallen ließ.

      »Er geht wohl nach dem kleinen Tale,« flüsterte der Arzt, als sie, lautlos und entfärbt wie ein Geist, zu ihm trat. »Und so schlimm es draußen auch stehen mag, für ihn ist es gut. Es treten schwere Aufgaben an ihn heran, und die werden ihm über seinen großen Schmerz hinweghelfen.«

      Auch er verließ das Haus. Die Majorin schloß die unteren Fenster der Amtsstube, zog die Vorhänge vor und öffnete dem Luftzug die oberen Flügel ... Einen Augenblick verharrte sie erschüttert vor der Leiche des Knaben, der nur über die Erde gegangen war, um mit jeder seiner kleinen Fußstapfen Unheil und Leiden für andere aus dem Boden zu stampfen – und sie legte die Hand auf die Brust und sagte sich, daß auch sie voll Schuld sei, daß sich ihr glühender, fast frevelhafter Wunsch, den Wolframschen Namen fortleben zu sehen, in seiner Erfüllung strafend auch gegen sie selbst gerichtet habe.

      Sie löschte das Nachtlicht aus, schloß die Türen und ging in die Küche. Dort kauerten die Mägde auf der Türschwelle, und waren ermüdet eingeschlafen. Ohne sie zu wecken, zog sie den Docht zu einem ungefährlichen Flämmchen tiefer in die Lampe und ging hinaus, über den Hof hinweg in den Garten. Sie wußte zum erstenmal in ihrem Leben nicht, wohin sie ihr Haupt legen sollte. Der Rat hatte sie aus seinem Hause gewiesen, und den Schlüssel zu dem Giebelzimmer, dem Raume, der trotz alledem augenblicklich ihr unbestrittenes Eigentum war, trug er in der Tasche ... So setzte sie sich auf die Gartenbank und wollte das Frührot erwarten, um dann am Schillingshof um Einlaß anzuklopfen.

      Die Sterne funkelten in seltener Pracht über dem Klosterhause, über den alten Giebeln und Mauern, in denen sie als glückliches Kind gespielt, als stolze Braut geträumt und als Frau und Mutter unbeschreiblich gelitten hatte – durch eigenes Verschulden! ... Und was der Tag mit seinen Stürmen nur halb vollzogen, das vollendete nun die stille, schweigende, feierliche Nacht – die Läuterung, der Frauenseele, die sich selbst heute nachmittag noch einmal erbittert, voll auflodernder Eifersucht und Rachegefühl empört hatte bei der Nachricht, daß der böslich verlassene Mann, der heute noch geliebte, mit einer anderen glücklich geworden war und sie, die Unversöhnliche, vergessen hatte. Da hatte sie mit sich ringen müssen, um nicht plötzlich voll Haß mit den Händen nach der herrlichen Frauengestalt zu stoßen, die das Kind jener verhaßten »Zweiten« war.

      Aber auch das war nun vorüber und niedergekämpft zu den Schlacken, die der sturmvolle Läuterungsprozeß von ihrer Seele schüttelte ...

      Am anderen Morgen lief die erschütternde Nachricht durch die Stadt, daß der Herr Rat Wolfram selbst in seinen Gruben verunglückt sei. Die Leute erzählten, er sei des Nachts wie ein Trunkener oder ein vom Schwindel Befallener hinaufgekommen, sei allen Abmahnungen zum Trotz mit der Rettungsmannschaft in die Gruben hinabgefahren und plötzlich, kaum nach Beginn der Einfahrt, lautlos von ihrer Seite verschwunden – der Schwindel müsse ihn in die gähnende Tiefe hinabgerissen haben.

      36.

       Inhaltsverzeichnis

      Eine unbeschreibliche Aufregung herrschte in allen Kreisen. Man hatte ja das Unheil in den Gruben längst vorausgesagt, und doch hatte es durch den habgierigen Starrkopf des Bergwerkbesitzers und den Leichtsinn seiner Arbeiter dahin kommen dürfen, daß in wenigen schrecklichen Stunden eine Schar kräftiger Männer, Väter und Söhne, eines furchtbaren Todes sterben mußten–es waren nur wenige gerettet worden. In all dem Jammer, der grenzenlosen Erbitterung war es deshalb für viele Gemüter ein wahrer Trost, eine tiefe Genugtuung gewesen, daß der Rat Wolfram die ganze Schuld allein auf seine Schultern nehmen und deshalb schwer werde büßen und bluten müssen ...

      Nun war er aber tot – er war selbst das Opfer der Katastrophe geworden, noch dazu in derselben Nacht, wo er sein einziges Kind hatte sterben sehen. Für viele war das die notwendige Sühne seines Unrechts, die sichtbare Hand Gottes selbst, die ihn strafend in die Tiefe geschleudert, andere aber munkelten bereits, daß sein jähes Ende wohl nicht ohne seinen eigenen Willen und Vorsatz erfolgt wäre.

      Aber die Art und Weise, wie Veit verunglückt war, verlautete noch nichts in der Öffentlichkeit. Desto größer war das Aufsehen im Schillingshofe selbst. Hannchen war sofort in das Atelier gegangen und hatte dem Herrn des Hauses das Geschehnis angezeigt, und Mamsell Birkern hatte auch keine Veranlassung gehabt, bei den Bediensteten über Adams glänzende Rechtfertigung zu schweigen. Die Nachricht hatte wie eine Alarmtrommel das ganze dienende Völkchen zusammengescheucht ... Wie – es war nicht der Geist des armen Bedienten gewesen, der hinter den Holzwänden des Salons gespukt hatte? Wirkliche Füße und Finger von Fleisch und Bein hatten an der spukhaften Stelle getappt und getastet, und das vermeintliche Gespenst wandelte stolz und hochmütig durch die Straßen der Stadt, ließ sich »Herr Rat« titulieren, war der Reichste unter den Reichen im weiten Umkreise, und hatte es nie der Mühe wert gefunden, den ehrlichen Dienstboten des Schillingshofes für ihren ehrerbietigen Gruß auch nur mit einem Augenwink zu danken! – Dieser Spion, dieser Horcher an der Wand, dieser Spitzbube, der dem alten Freiherrn die Gedanken aus dem Kopfe und damit Unsummen aus der Tasche gestohlen hatte!

      Nie hatten sich die braven Leute so viel in der Flurhalle und im Gang zu schaffen gemacht als an diesem Nachmittage, wo sie hofften, durch eine offengelassene Tür einen Einblick in den interessanten Salon zu gewinnen und die Verwüstung zu begucken, die der »tapfere« Pirat mit der Wucht seines Sprunges angerichtet. Allein Jack stand wie eine schwarze Marmorfigur ernsthaft vor der Tür, und die stolze Bewohnerin des Zimmers, die sonst immer um diese Zeit in den Garten ging, verließ heute ihre Gemächer nicht. Zudem erschien plötzlich Baron Schilling; und wenn er auch, durch Jack angemeldet, nur für wenige Minuten im Salon verblieben war, um sich als Herr des Hauses vom Sachverhalt zu überzeugen, so konnte er doch jeden Augenblick wiederkommen, und der finstere, verweisende Blick, mit dem er die Wißbegierigen in der Flurhalle gemessen hatte, war allen in die Glieder gefahren.

      Am Morgen des anderen Tages aber standen sie doch schon wieder alle am Eisengitter des Vorgartens; sie schielten flüsternd nach dem Klosterhause und sprachen mit den Vorübergehenden, die auch zu Haufen stehen blieben – der Bäckerjunge hatte die Nachricht von dem Tode des Rates mitgebracht. Die Leute waren nicht wenig erstaunt, als eine Magd vom Klostergute mit verweinten Augen hastig und schweigend an ihnen vorüber nach dem Säulenhause schritt und gleich darauf mit Donna Mercedes zurückkam. Sie hielt sich in scheuer Entfernung hinter der schönen, schlanken Frau, die ein schwarzes Spitzentuch über den Kopf und die Büste geworfen hatte, und die kleine Paula an der Hand führte.

      Alles wich scheu zur Seite vor der schwebenden majestätischen Erscheinung, die mit ihren feinbekleideten Füßen zum erstenmal den Gehweg vor dem Eisengitter betrat, um gleich darauf im Mauerpförtchen des Klostergutes zu verschwinden.

      Es war der Majorin nicht so gut geworden, wie sie gehofft und gewünscht, sie hatte nicht am Schillingshof anklopfen und Einlaß begehren können, um bei den Enkeln, den einzigen Wesen auf der Welt, die zu ihr gehörten, Trost und Beruhigung zu suchen. Als der erste Schein des ersehnten Frührots am Himmel aufgeflogen war, die Vögel im Gebüsch sich geregt und die Haushähne auf dem Hinterhofe ihren Weckruf in die Morgenstille hineingeschickt hatten, da war auch ein seltsames Raunen und Regen jenseits des Hintergebäudes laut geworden. Sie hatte gehört, wie die Mägde nach ihr riefen und sie ohne Zweifel im ganzen Hause suchten. Aber sie hatte sich nicht finden lassen wollen; für sie gab es keinen Weg mehr zu dem Bruder zurück.

      Sie war von der Bank aufgestanden und förmlich flüchtenden Fußes nach der Tür geschritten, die in die öde Straße führte, bis der alte Knecht des Hauses, Thomas, suchend den Kopf durch die Gartentür gesteckt und ihr eine grauenhafte Botschaft nachgerufen hatte ...

      Vorbei war alles, alles! – Da auf der Tragbahre, die man inmitten

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