Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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Menschenstrom werfen, wobei blaurote Nasenspitzen, thränende Augen und verzweifelte Kopf-und Armbewegungen an allen alten und jungen Vorübereilenden sichtbar werden.

      Doch halt – nicht an allen! Da tritt eben aus einem Seitengäßchen in eine der Hauptstraßen mit leichtem, elastischem Schritte eine weibliche Gestalt. Das enge, verwachsene Mäntelchen schließt sich fest an die schlanken Glieder, und der alte, zerzauste Muff wird dicht an die Brust gedrückt, wo er die Enden eines herabhängenden Schleiers festhält; unter diesem alten schwarzen Gewebe lachen zwei Mädchenaugen im Sonnenglanze frischer Jugend; sie blicken fröhlich in das Schneegetümmel, haften innig an den halbgeöffneten Centifolien und den dunklen Veilchen hinter den Glasscheiben und verbergen sich nur dann unter den langen Wimpern, wenn sich heimtückische Eissplitter unter die Schneeflocken mischen.

      Wer einmal gehört hat, wie kindliche Hände, oder auch Hände, die zu einem völlig ausgewachsenen Körper und Kopfe gehören, auf dem Klavier eine wohlbekannte Melodie zuversichtlich beginnen, gleich darauf mittels einer Dissonanz den musikalischen Faden zerreißen, mit falschem Fingersatze in alle möglichen Tonarten, nur nicht in die angegebene, greifen, wobei der Lehrer den hochgehobenen, takttretenden Fuß verzweiflungsvoll sinken läßt, bis endlich die Melodie langatmend und lebensmüde wieder anhebt, um im nächsten Augenblicke durch einige leichte Takte wie über eine weite Ebene dahinzurasen – wessen Ohrennerven einmal auf dieser Folter gelegen haben, der wird begreifen, daß das junge Mädchen, welches soeben zwei Unterrichtsstunden in einem Institute beendet hat, dem Sturmwinde freudig die heiße Wange bietet, einem wackeren Gesellen von System und konsequenter Durchführung, dessen mächtiges Brausen ja in Orgel und Aeolsharfe zur wundersamen Melodie wird.

      So eilt das junge Mädchen flüchtig und schwebend durch Schneefall und andringenden Menschenstrom, und ich zweifle keinen Augenblick, sie würde auf den schwimmenden Quadersteinen des Trottoirs, umbraust vom Sturme, nicht anders als auf dem Parkett eines Salons auch, dem Leser unter holdseligem Lächeln die graziöseste Verbeugung machen, wenn ich sie ihm vorstellen wollte als Fräulein Elisabeth Ferber. Diese Vorstellung kann nun freilich nicht stattfinden, und das ist mir insofern ganz erwünscht, als ich beabsichtige, den Leser mit der Vergangenheit des jungen Mädchens bekannt zu machen.

      Herr Wolf von Gnadewitz war der letzte Abkömmling eines ruhmreichen Geschlechts, das seinen Ursprung zurückleiten konnte bis in zweifelhaftes Dämmerlicht noch vor jenem goldenen Zeitalter, allwo der vorüberziehende Kaufmann in irgend einem Hohlwege seine kostbaren Stoffe und Waren zu adligen Bannerfähnlein und glänzenden Turnierwämsern, wie zu junkerlichen Gelagen unfreiwilligerweise ablieferte. Aus jenen unvergeßlichen Zeiten datierte auch ein Rad in dem Wappen der Gnadewitze, auf welchem einer der Ahnherren seinen Heldengeist verhauchen mußte, weil er in Ausübung jenes ritterlichen Aneignungssystems allzuviel Krämerblut vergossen hatte.

      Herr von Gnadewitz, der Letzte seines Stammes, war Kammerherr in Fürstlich X.schen Diensten, zudem Inhaber hoher Orden und verschiedener Rittergüter, wie auch Besitzer aller Charaktereigenschaften, die, seiner Ansicht nach, einem Hochgebornen zukommen, und die er »vornehm« nannte, weil dem gemeinen Manne bei der derben Hausmannskost der Moral und dem strengen Muß der Verhältnisse und Sitten jedwedes Verständnis für jene unnachahmliche Grazie und Eleganz des Lasters abgehe.

      Herr Wolf von Gnadewitz war auch prachtliebend, wie sein Großvater, der das alte Schloß Gnadeck aus dem Berge in Thüringen, die Wiege seines Geschlechts, verließ, um sich drunten im Thale einen wahren Feensitz im italienischen Geschmacke aufzubauen. Sein Enkel ließ das alte Haus droben noch mehr verfallen und erweiterte und verschönerte das neue Schloß um ein beträchtliches. Ja, es schien, als hege Herr Wolf von Gnadewitz nicht den leisesten Zweifel, daß der Letzte seines Geschlechts dereinst als allerjüngstes Menschenkind beim Weltgerichte erscheinen werde; denn um alle neu angebauten Gemächer auszufüllen, durfte der alte Stamm getrost zahllose Zweige treiben. Allein, das hieß die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Herr Wolf von Gnadewitz hatte zwar einen Sohn, der schon mit zwanzig Jahren ein so vollendeter Gnadewitz war, daß selbst das glänzende Bild des Ahnherrn mit dem Rade vor ihm erbleichen mußte. Aber der junge Herr hatte eines Tages, bei Gelegenheit der ersten, großen Jagd im Herbst , einem Treiber mit der Hetzpeitsche einen furchtbaren Schlag über den Kopf versetzt, und zwar mit vollstem Rechte, wie alle eingeladenen Teilnehmer an der Jagd einmütig versicherten, denn der Tölpel hatte den Lieblingshund des Herrn dermaßen auf die Pfoten getreten, daß das Tier für den ganzen Tag untauglich geworden war. Und so kam es, daß kurze Zeit darauf Hans von Gnadewitz nicht allein auf dem Stammbaume in der großen Halle des neuen Schlosses, sondern auch wirklich und leibhaftig an einem Eichbaume des Waldes, und zwar mit einem Stricke um den Hals gefunden wurde. Der geschlagene Treiber büßte zwar, wenn auch nicht auf dem Rade, so doch unter dem Beile, diese Frevelthat; allein das machte den letzten der Gnadewitze nicht wieder lebendig, denn er war tot, unwiderruflich tot, wie die Aerzte versicherten, und so hatte das lange Lied von Raubrittertum, Trinkgelagen, Hetzjagden und Pferderennen ausgeklungen.

      Nach dieser schrecklichen Katastrophe verließ Herr Wolf von Gnadewitz sofort das Schloß im Thale, wie überhaupt diese Gegend, und zog nach Schlesien auf eines seiner vielen Güter. Er nahm eine entfernte Verwandte, die Letzte einer Seitenlinie seines Geschlechts, in sein Haus, damit sie ihn pflegen solle. Es zeigte sich aber, daß diese Verwandte ein engelschönes, junges Mädchen war, bei dessen Anblick der alte Herr den eigentlichen Zweck ihres Kommens rein vergaß und schließlich meinte, sein sechzigjähriger Rücken sei noch gerade genug, um in den Hochzeitsfrack schlüpfen zu können. Zu seiner tiefsten Indignation jedoch mußte er erfahren, daß auch eine Zeit kommen könne, wo selbst ein Gnadewitz nicht mehr begehrenswert erscheine, und wütend wurde er, als das Mädchen ihm gestand, daß sie, ihre hohe Abkunft schnöde vergessend, ihr Herz einem jungen, bürgerlichen Offizier, dem Sohne eines seiner Förster geschenkt habe.

      Der junge Mann besaß nichts als seinen Degen und seine männlich schöne Gestalt, aber er hatte sich eine tüchtige, wissenschaftliche Bildung angeeignet, war liebenswürdig im Umgange und von ausgezeichnetem Charakter. Als Herr von Gnadewitz die schöne Marie infolge ihrer Erklärung verstieß, da führte sie der junge Ferber glücklich als Gattin heim und hätte in den ersten zehn Jahren seiner Ehe mit keinem König tauschen mögen. Im elften würde ihn zwar ein solches Gelüst noch viel weniger angefochten haben; denn das war das Jahr 1848 – aber es brachte auch für ihn schwere Kämpfe und einen völligen Umschwung seiner Verhältnisse … Er kam in den kritischen Fall, zwischen zwei Pflichten wählen zu sollen. Die eine, die ihm sein Vater schon an der Wiege vorgesungen, hieß. »Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst, vor allem aber deine deutschen Brüder«; die andere dagegen, die er sich, wenn auch viel später, selbst auferlegt, gebot ihm, das Schwert für das Interesse seines Herrn zu führen. In diesem Konflikte nun siegte jenes Wiegenlied, das kräftige Wurzeln um sein Herz geschlagen hatte, vollständig – Ferber schoß nicht auf seine Brüder, aber dieser Sieg kostete ihm seinen Beruf, seine gesicherte Lebensstellung. Er nahm seinen Abschied und sank bald darauf infolge einer Erkältung gelähmt aufs Krankenlager, das er erst nach jahrelangem Siechtum wieder verließ. Hierauf siedelte er mit seiner Familie nach B. über, wo er bald eine erträgliche Stelle als Buchhalter in einem bedeutenden Handlungshause erhielt. Es war die höchste Zeit, denn das kleine Vermögen seiner Frau war bei dem Sturze eines Bankgeschäfts verloren gegangen, und nur die mehrmaligen Geldunterstützungen, die Ferbers älterer und einziger Bruder, ein Förster in Thüringen, der bedrängten Familie zukommen ließ, hatten bis jetzt den Mangel in seiner schlimmsten Gestalt ferngehalten.

      Leider sollte dies Glück nicht von Dauer sein. Ferbers Chef gehörte zu den Frommen im Lande und suchte alle seine Umgebungen mit seinem Bekehrungseifer heim. Auch Ferber wurden diese Bemühungen zugewandt, stießen aber hier auf einen zwar mit ruhigem Ernste geäußerten und durch eine Fülle von Wissen motivierten, aber so entschiedenen Widerstand, daß sich das fromme Gemüt Herrn Hagens – so hieß der Kaufmann – darüber schier zu Tode entsetzte. Einem solchen Freigeiste Schutz und Brot zu geben und somit geflissentlich den Untergang des Reiches Gottes zu befördern – der Gedanke ließ ihm Tag und Nacht keine Ruhe, bis er mittels eines Entlassungsbriefes sich von dieser Last befreite und das räudige Schaf

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