Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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dich sehr gut mit dieser einzigen Schwester?« sagte Herr von Walde.

      »O ja, ich habe sie sehr lieb … sie spielt mit mir gerade wie ein Junge.«

      »Wirklich?« fragte Herr von Walde.

      »Wenn ich exerzieren will, dann setzt sie sich einen ebensolchen Papierhut auf, wie sie mir einen macht, und trommelt durch den Garten, solange ich will. Vorm Schlafengehen erzählt sie mir Geschichten und streicht mir auch die Butterbrote viel dicker als Mama.«

      Ein heiteres Lächeln glitt über Herrn von Waldes Gesicht. Elisabeth sah es zum erstenmal und fand, daß es seine Lüge, deren tiefen Ernst sie für unverwischbar gehalten hatte, unbeschreiblich anziehend machte … es kam ihr vor, wie der klare Sonnenglanz, der unerwartet über einen wolkendüsteren Himmel hinfliegt.

      »Du hast recht, mein Junge,« sagte er und zog den Kleinen zu sich hinüber, »das sind ohne Zweifel anerkennenswerte Eigenschaben; aber wird sie nie böse?« fragte er weiter, indem er auf Elisabeth zeigte, die wie ein Kind lachte, denn Ernsts Mitteilungen erschienen ihr urkomisch.

      »Nein, böse niemals,« antwortete der Knabe, »nur ernsthaft manchmal, und dann spielt sie immer Klavier.«

      »Aber Ernst …«

      »O ja, Else,« fiel ihr der Kleine eifrig ins Wort, »weißt du noch, in B., wo wir so arm waren?«

      »Nun, da magst du freilich recht haben,« erwiderte das junge Mädchen unbefangen, »aber das war doch nur in der Zeit, wo Papa und Mama allein sich abmühen und für das tägliche Brot arbeiten mußten, später wurde es ja besser.«

      »Aber Sie spielen noch Klavier?«

      »Ja,« entgegnete Elisabeth lachend, »jedoch nicht mehr in dem Sinne, wie Ernst es meint – die Meinen sind ja versorgt.«

      »Und Sie?« forschte Herr von Walde weiter.

      »Nun, ich? Ich habe den Mut, es mit dem Leben aufzunehmen und ihm das abzuringen, was zu meiner Selbständigkeit nötig ist.«

      »Wie wollen Sie das anfangen?«

      »Ich werde im nächsten Jahre eine Stelle als Erzieherin annehmen.«

      »Schreckt Sie Miß Mertens’ Beispiel nicht zurück?«

      »Ganz und gar nicht … Ich bin nicht so schwach, ein müheloses Brot zu wünschen, wo ich Tausende in meinen Verhältnissen mutig die Last der Dienstbarkeit auf sich nehmen sehe.«

      »Hier handelt es sich aber nicht allein um die Arbeit, sondern auch um das Ertragen und Dulden … Sie sind stolz; nicht allein Ihr Gesicht in diesem Augenblicke, sondern auch Ihre gestern ausgesprochenen Ansichten beweisen es.«

      »Nun ja, es mag Stolz sein, daß ich die Menschenwürde höher stelle, als jede Aeußerlichkeiten, die der Egoismus erfunden hat und aufrecht erhält – aber ebendeshalb glaube ich auch, daß ein Mensch den andern nur insofern demütigen kann, als er moralisch und geistig hochstehend, ihm unerreichbar erscheint – niemals aber durch erniedrigende Behandlung.«

      »Und Sie glauben sich durch diese Ansicht gestählt gegen alle jene großen und kleinen Leiden, die eine launenhafte, herzlose Herrin über Sie verhängen kann?«

      »O nein, aber ich werde mit ihr den Kopf oben behalten.«

      Es entstand eine kleine Pause, während welcher Ernst sich dem Pferde näherte und dasselbe mit großer Aufmerksamkeit betrachtete.

      »Aus Ihren gestrigen Reden schloß ich, daß Sie Ihre jetzige Heimat lieben,« begann Herr von Walde wieder.

      »Ja, unbeschreiblich.«

      »Nun, ich begreife das; denn wir haben hier das schönste Stück Thüringens … Wie ist es Ihnen dann aber möglich, den Gedanken so leicht zu nehmen, daß Sie wieder gehen müssen?«

      »Leicht wird es mir auch durchaus nicht, im Gegenteil, aber mein Vater hat mich gelehrt, daß man stets das Notwendige über die Annehmlichkeit stellen müsse, und das begreife ich vollkommen … weniger klar dagegen ist es mir, wie man die Annehmlichkeit verlassen kann, ohne daß es die Notwendigkeit gebietet.«

      »Ah, das gilt mir! … Sie fassen es nicht, daß ein Mensch freiwillig in den dumpfen Pyramiden steckt, während er im kühlen sonnigen Thüringen atmen könnte.«

      Elisabeth fühlte, wie ihr eine brennende Röte in das Gesicht stieg. Herr von Walde berührte hier mit leichtem Humor jenes scherzhafte Gespräch zwischen ihr und dem Onkel, dessen unfreiwilliger Zuhörer er gewesen war.

      »Wenn ich Ihnen das auch begreiflich machen wollte, Sie würden mich doch nicht verstehen; denn, wie mir scheint, vermissen Sie ja noch nichts im Kreise der Ihrigen?« fragte er nach kurzem Schweigen. Er hatte sich vorwärts geneigt und strich mechanisch mit der Spitze der Reitgerte über den Kies zu seinen Füßen … Er sprach in jenen tiefen Tönen, die stets etwas Ergreifendes für Elisabeth hatten. »Aber es kommt die Zeit,« fuhr er fort, »da flieht man hinaus in die Welt, um draußen zu vergessen, daß daheim das Glück fehlt … Eine schmerzlich empfundene Lücke in seinem Dasein kann der Mann, wenn auch nicht ausfüllen, so doch am besten in den Hintergrund drängen, wenn er sich in die Wissenschaft versenkt.«

      Also hier stand sie vor der wunden Stelle in seinem Herzen … Er füllte tief, daß ihn daheim die Liebe nicht empfing, die er lebhaft wünschte, und die er auch mit vollstem Rechte beanspruchen konnte, da er seiner Schwester die reinste, aufopferndste Zärtlichkeit unausgesetzt bewies. Diesen Schmerz hatte ja Elisabeth schon begriffen, noch bevor sie Herrn von Walde kannte. In dem Augenblicke aber, als er ihn so unumwunden aussprach, wallte ihr das Herz auf in dem lebhaften Verlangen, ihn zu trösten. Die Worte des Mitgefühls drängten sich ihr fast aus die Lippen; aber zugleich empfand sie eine unerklärliche Scheu, das auszusprechen, was sie bewegte, und als ihr Blick seitwärts streifte über die festen Linien seines Profils, über die Stirn, die gebieterisch und stolz blieb, während die Stimme weich und trauervoll klang, da kam ihr plötzlich die beängstigende Vermutung, er habe einen Moment vergessen, wer neben ihm sitze, sein aristokratisches Gefühl werde ihn später den Mißgriff bitter bereuen lassen, infolgedessen ein unbedeutendes Mädchen in sein streng verschlossenes Innere einen Blick werfen durfte … Dieser Gedanke trieb ihr das Blut in die Wangen, sie erhob sich schnell und rief Ernst zu sich. Herr von Walde wandte überrascht den Kopf nach ihr und sein Auge ruhte einen Augenblick forschend auf ihrem Gesichte; dann verließ er gleichfalls die Bank und stand, als wolle er ihre Annahme bestätigen, plötzlich in seiner ganzen, stolzen Ruhe und Gelassenheit vor dem jungen Mädchen; aber jener düstere, schwermütige Zug zwischen den Augenbrauen, den der Vater schon beobachtet hatte, fiel ihr zum erstenmal auf und machte ihr denselben Eindruck, wie vorher seine Stimme.

      »Sie sind gewöhnlich sehr flink im Denken,« sagte er, sichtbar bemüht, einen leichteren Ton anzuschlagen, und langsam neben Elisabeth herschreitend – sie ging, um Ernst zu holen – der ihren Ruf nicht gehört hatte – »noch ehe man einen Satz völlig geendet hat, sieht man an Ihrem Auge, daß Sie die Antwort bereits auf den Lippen haben. Ihr Schweigen in diesem Augenblicke sagt mir also, daß ich vorhin recht hatte, als ich annahm, Sie würden mich nicht verstehen, weil Sie noch nichts vermissen.«

      »Der Begriff von Glück ist so sehr verschieden, daß ich in der That nicht wissen kann –«

      »Den Begriff haben wir alle gemein,« unterbrach er sie. »In Ihnen schlummert er nur noch.«

      »O nein!« rief sie, ihre

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