Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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geblieben, in der Meinung, es möchten einige Zimmerdecken die Freundlichkeit haben, auf ihre weisen Köpfe zu fallen, und haben sich begnügt, das Hauptthor mit einem Dutzend handgroßer Amtssiegel zu beklecksen. Wäre mir nun am allerliebsten, wenn wir die Dinge in Gemeinschaft besehen und überlegen könnten; deshalb entscheide Dich möglichst rasch und mache Dich dann mit den Deinen auf den Weg –«

      Hier ließ Elisabeth das Blatt sinken und richtete die leuchtenden Augen in atemloser Spannung auf Ferber.

      »Nun, und was hast du beschlossen, lieber Vater?« fragte sie hastig.

      »Je nun,« erwiderte dieser mit ernstem Gesichte, »es wird mir einigermaßen schwer, dir meinen Entschluß mitzuteilen, denn ich sehe deutlich an deinem Gesichte, daß du das schöne, volksbelebte B. nicht um alles in der Welt mit der Waldeinsamkeit vertauschen möchtest. Indes, erfahren mußt du trotzdem, daß dort auf dem Schreibtische meine Bitte um die Stelle an den Fürsten von L. bereits konvertiert und versiegelt liegt … Es ist aber nicht mehr als billig, daß wir auch deine Wünsche dabei in Erwägung ziehen und deshalb sind wir durchaus nicht abgeneigt, dich hier zu lassen, falls –«

      »Ach nein, wenn Elsbeth nicht mitgeht, dann will ich lieber auch hier bleiben!« unterbrach ihn der kleine Ernst, indem er sich angstvoll an die Schwester schmiegte.

      »Sei du nur ruhig, mein Herzchen,« sagte Elisabeth lachend, »ich finde schon meinen Platz auf dem Wagen, und wenn nicht, nun, so weißt du, ich bin mutig wie ein Soldat und kann laufen wie ein Hase. Als Kompaß habe ich die Sehnsucht nach dem grünen Walde bei mir, die schon, als ich noch ein ganz, ganz kleines Kind war, einen großen Winkel in meiner Seele eingenommen hat. So geht es tapfer und bescheidentlich vorwärts auf meinen zwei eigenen Füßen, und was will dann Papa machen, wenn eines Abends ein armer, müder Wanderer mit zerrissenen Schuhen und leerer Tasche vor dem alten Schloßthore erscheint und Einlaß begehrt?«

      »Freilich müßten wir aufmachen,« rief lächelnd der Vater, »wenn wir nicht die Rache aller guten Geister, die ein mutiges Herz beschützen, auf unser morsches Dach herabbeschwören wollten! … Uebrigens wirst du wohl an dem alten Schlosse vorüberziehen und an irgend eine einsame Bauernhütte im Walde anklopfen müssen, wenn du uns finden willst; denn in dem Trümmerhaufen wird sich schwerlich ein Asyl für uns einrichten lassen.«

      »Das fürchte ich auch,« meinte die Mutter. »Wir arbeiten uns mühsam durch Hecken und Gestrüpp, wie ehemals Dornröschens unglückliche Befreier, und finden endlich –«

      »Die Poesie!« rief Elisabeth. »Ach, dann wäre ja schon der erste Duft von unserem Waldleben abgestreift, wenn wir nicht im alten Schlosse wohnen könnten! Vier feste Mauern und eine guterhaltene Zimmerdecke werden doch wahrhaftig noch in einem Turme oder dergleichen zu finden sein, und das übrige läßt sich mit Nachdenken und willigen rüstigen Händen leicht beschaffen … Wir stopfen Moos in etwaige Mauerritzen, nageln Bretter über unbequeme Thürbogen, die keinen Flügel mehr haben, und tapezieren unsere vier Wände selbst. Auf den zerbröckelten Estrichfußboden legen wir eigenhändig geflochtene Strohmatten, erklären den kleinen vierfüßigen Leckermäulern in grauen Samtröckchen, die unsern Speiseschrank attackieren, ernstlich den Krieg und gehen mit dem Kehrbesen tapfer auf die großen Spinnen los, die über unsern Köpfen hängend, in aller Ruhe überlegen, ob sie sich nicht häuslich darauf niederlassen sollen.«

      Mit verklärten Augen, ganz versunken in ihre Träumereien von dem demnächstigen Leben im frischen, grünen Walde, trat sie dann ans Klavier und schlug den Deckel zurück. Es war ein altes, ausgespieltes Instrument, dessen schwache, heisere Töne vollkommen harmonierten mit dem herabgekommenen Aeußeren; allein das Mendelssohnsche Lied. »Durch den Wald, den dunkeln, geht u. s. w.« klang trotzdem hinreißend unter Elisabeths Fingern.

      Die Eltern saßen lauschend auf dem Sofa. Der kleine Ernst war eingeschlafen. Draußen hatte das Toben des Sturmes aufgehört; aber an unverhüllten Fenstern vorüber sank in wirbelnden Flocken massenhaft und lautlos der Schnee. Die gegenüberliegenden Schornsteine, die nicht mehr dampften, setzten langsam eine dicke, weiße Nachtmütze auf und blickten steif und kalt, wie das verdrießliche Alter, hinüber in die keine Mansardenstube, die mitten im Schneegestöber hellen Frühlingsjubel in sich schloß.

      3.

       Inhaltsverzeichnis

      Pfingsten! Ein Wort, das seinen Zauber auf das menschliche Gemüt üben wird, solange noch ein Baum blüht, eine Lerche schmetternd in die Lüste steigt, und ein klarer Frühlingshimmel über uns lacht. Ein Wort, dessen Klang selbst unter der härtesten Eiskruste des Egoismus, unter dem Schnee des Alters und in dem Herzen, das in Leid und Kummer erstarrt ist, noch ein Echo von Lenzeslust erwecken kann.

      Pfingsten ist vor der Thür. Ein weiches Lüftchen flattert über die Thüringer Berge und streift von ihrem Scheitel die letzten Schneereste. Sie wirbeln dampfend empor und verlassen als leuchtende Frühlingswölkchen die alte Lagerstätte, die es sich angelegen sein läßt, ihre gefurchte Stirn mit einem Geflechte von jungen Brombeerranken und rötlich blühendem Heidelbeerkraut zu schmücken. Drunten braust jauchzend der kühle Forellenbach aus dem Waldesdunkel quer über die buntgesprenkelten Thalwiesen. Die einsame Schneidemühle klappert wieder lustig, und auf ihr niedriges, graues, geflicktes Schindeldach streuen die Obstbäume ihre Blütenflocken.

      Vor den Hüttenfenstern der einsamen Holzhacker und der Dorfbewohner, im engen Käfig, singen die gelehrigen Gimpel, die während der Winterszeit in der heißen dunstigen Stube einen Lehrkursus der höheren Gesangskunst durchgemacht haben, ihre künstlerischen Weisen. Und die drüben im Walddickicht jubeln ungeschult, aber unendlich süßer und herzergreifender – sie baden ja die kleine Sängerbrust im goldenen Strome der Freiheit.

      Wo noch vor wenig Wochen die gewaltigen Schneewasser im selbstgeschaffenen Bette herabschäumten, da weben jetzt die Moose ungestört ihren buntgefleckten Teppich und legen ihn weich und schonend um die narbenvolle Brust des Berges, und hier und da von dem feinen, silbernen Geäder durchbrochen, das eine hervorsprudelnde Quelle hinabschickt.

      Auf der Chaussee, die durch einen reizenden Thalgrund des Thüringer Waldes führt, rollte in einer bepackten Postchaise die Familie Ferber ihrer neuen Heimat zu. Es war früh am Morgen, eben verkündete das dünne, scharfe Stimmchen einer kleinen Turmglocke in der Nähe die dritte Stunde. Deshalb hatten auch nur der alte verdrießliche Wegweiser an der Chaussee und ein Rudel stattlicher Hirsche, das am Saume des Waldes erschien, den köstlichen Anblick eines jungen, glücklich lächelnden Menschenangesichts.

      Elisabeth hatte sich weit aus dem dumpfen Wagen gebogen und sog mit tiefen Atemzügen die kräftige Waldluft ein, die, wie sie behauptete, auf der Stelle Lungen und Augen von dem Staube der verlassenen Hauptstadt reingewaschen habe. Ferber saß ihr sinnend gegenüber. Auch er erquickte sich an der Lieblichkeit und Anmut der Gegend; noch mehr aber bewegten ihn die leuchtenden Augen seines Kindes, das den Zauber einer schönen Natur so tief empfand, und das so unaussprechlich dankbar war für die neue Gestaltung der Verhältnisse … Wie hatte sie fleißig die kleinen Hände geführt, als endlich das heißersehnte Ernennungsdekret des Fürsten von L. erschienen war! Da gab es tüchtig zu schaffen. Alle Umzugssorgen der Eltern hatte sie treulich mit auf ihre Schultern genommen. Der Fürst hatte zwar dem neuen Diener ein anständiges Reisegeld bewilligt, und auch vom Försteronkel war eine Geldbeisteuer eingelaufen, allein das wollte trotz der ängstlichen Berechnung bei weitem nicht reichen, und deshalb beutete Elisabeth auch noch die wenigen Tagesstunden, die für ihre Erholung bestimmt waren, insofern aus, als sie Arbeiten für ein Weißwarengeschäft übernahm; ja manche Nacht, während die Eltern arglos schon daneben im Alkoven schliefen, durchwachte sie bei der Nadel.

      In all dies rege Streben und Schaffen war nur ein

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