Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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nichts Verdächtiges zeigte sich. Mary Tracy blieb auf Wache, die beiden Alexander begaben sich hinein, krochen zur Treppe, ein Lichtschimmer von oben erleichterte den Weg, und sie fanden eine offenstehende Stubentüre. Mary Tracy, die in der Dunkelheit dabeigestanden, als der Schotte aus dem Wagen gestiegen, hatte ihnen seine Erscheinung beschrieben, und als sie den Schlafenden gewahrten, zweifelten sie nicht, daß sie ihr Opfer erreicht hatten. Sie waren kundige Köpfe und geschickte Arbeiter; sie wußten, wo Schätze verborgen sein konnten, der Zweck verlangte eine grauenvolle Tat von ihnen; und so geschah es, wie es geschehen mußte, weil es von Anfang an durch den Lauf der Dinge besiegelt war.

      Als Sara zurückkam und im Finstern vor dem Duncombschen Hause eine Gestalt sah, erschrak sie, denn jetzt wurde ihr bewußt, wie sträflich sie gehandelt, daß sie das schlafende Haus unverwahrt gelassen. Sie kam näher, und Mary Tracy, forschend wer es sei, trat ihr entgegen. Da erkannten sich die beiden. »Du bist’s, Sara«, sagte Mary vertraulich und legte den Arm um die Schulter des Mädchens. Saras Herz füllte sich mit düsteren Ahnungen. Sie war so bestürzt, daß sie außerstande war, sich auf den Beinen zu halten und sich auf die Steintreppe niederließ. Mary Tracy fragte mit verstellter Zärtlichkeit, wie es ihr gegangen sei, wo sie jetzt in tiefster Nacht herkomme und ob sie nicht wieder mit hinauskommen wolle in das freie Leben. Sara horchte geistesabwesend in die Luft hinein, sie spürte, daß im Haus etwas Böses vorging, dann schlug sie die Hände vors Gesicht und fing bitterlich an zu weinen. »Hör doch auf«, gebot Mary Tracy, schaute ängstlich straßauf straßab und zu den Fenstern. »Hör doch auf, wir geben dir Geld.« »Nun war ich bis unter dem Schwibbogen bei Fig-tree-Court«, wehklagte Sara in ihr Weinen hinein. »Ich wollte zu einer Kirche und wollte beten, und als ich eine fand, war alles verschlossen. Warum ist Gott in seinem eigenen Haus eingesperrt?« Noch fester hielt sie die Hände ans Gesicht gepreßt, noch stürmischer wurde ihr Weinen. Aus dem Tore huschten hastig die beiden Alexander; nacktfüßig huschten sie, horchten vorwärts, horchten verstört zurück, lauschten in die Straße hinein und rannten, die Hände zum Mund emporgehoben: »Fort! fort! fort!« Darauf sprangen sie davon, ohne Sara nur gesehen zu haben. Mary Tracy folgte ihnen mit einem Wutschrei; sie fürchtete um die Beute betrogen zu werden.

      Das Frührot dämmerte. Sara ging ins Haus und sperrte den Riegel ab. Innen war alles still wie zuvor. Sie wankte in ihre Kammer und fiel aufs Stroh. Schlafen konnte sie nicht. Die Glieder ruhten, aber Augen und Brust brannten. Ich bin ein verloren Weib, dachte sie. Es wurde heller. Da gewahrte sie oben an der Decke einen roten Fleck. Gerade über dem Raum, wo Sara lag, war Francis Rhymers Zimmer. Was für ein Flecken mag das sein? fuhr es ihr durch den Kopf, und siehe, es tropfte etwas herab, und nach einem Weilchen wieder, es tropfte auf ihr Hemd. Bei dem klarer werdenden Licht erkannte sie, daß es Blut sein mußte. Nun wurde ihr Inneres so starr, als ob der Tod hineingegriffen hätte. Ich bin ein verloren Weib, wiederholte sie, als sie aufstand. Der Bäcker klopfte schon ans Haus. Eine halbe Stunde später wurde das Laufmädchen wach und sah das Blut und lief entsetzt auf die Diele. Sara war um die Milch für den Molkensekt gegangen; als sie wiederkam, stand eine Menge Volks vor dem Hause. »Einer ist umgebracht worden«, erzählten sie einander. Master Knight, der ebenfalls zu den Bewohnern des Logierhauses gehörte, schaute vom zweiten Stock im Nachthemd herab und schrie. Sara drängte sich schweigend durch die Leute und gelangte ins Tor. Eben wurde Mistreß Duncomb ohnmächtig von Anne Love und Miß Oliphant die Stiege herabgetragen; ihre Jungfer Elisabeth Harrison, ein kränkliches Geschöpf, hatte wie leblos den Pfosten umklammert. Darauf kam Master Kerrel die Stiege herab; er war schneeweiß im Gesicht, man sah es ihm an, daß er etwas sagen wollte und nicht konnte, vor Entsetzen blieb ihm die Sprache aus. Er war erst um fünf Uhr morgens nach Hause gekommen, so lange hatte er sich in den Kaffeehäusern von Coventgarden umgetrieben. Er hatte nichts Verdächtiges bemerkt, Francis Rhymers Zimmer war geschlossen gewesen. Oben hörte man John Gehagan brüllen vor Schmerz, denn er beklagte in dem Ermordeten den teuersten Freund. Der Pöbel drängte ins Haus. John Kerrel und der Stallbursche hatten Mühe, die Leute zu verhindern, daß sie die Stiege stürmten. Sara schaute eine Weile regungslos dem allen zu, plötzlich zuckte sie konvulsivisch zusammen und fuhr mit beiden Händen an die Schläfen. Sie sprang die Treppe empor, stürzte in das Zimmer des unglücklichen Jünglings und warf sich vor das Bett hin, ohne daß ein Laut von ihren Lippen kam. »Du Höllenhure, scher’ dich fort« schrie John Gehagan, packte sie bei den Haaren und wollte sie vom Bett wegzerren, auf dem der bleiche Mensch mit durchschnittenem Hals lag. Da sah ihn Sara mit Augen an, vor denen er erstarrte. Jetzt erinnerte er sich an ihr blutbedecktes Gesicht von gestern, und ihm wurde unheimlich zumute. Einige Mädchen standen an der Schwelle und beobachteten, was vorging, unter ihnen die Köchin, und auch sie erinnerte sich, wie Sara am Abend im roten Wein gewatet wie in Blut. Der Konstabler erschien. Die Volksmenge draußen hatte sich vermehrt, doch es war gelungen, das Tor abzuriegeln. Wie vom Fieber getrieben, ging Sara aus dem Zimmer, taumelte hinunter, machte sich in der Küche zu schaffen, stellte sich mit gerunzelter Stirne zum Feuer und wärmte die Hände. Bald kam die eine bald die andere von den Mädchen. Sie flüsterten und tuschelten; Stunden mochten verflossen sein, da hieß es: »Sara, du sollst hinaus zu Master Gehagan.« Sara ging hinaus, floh an John Gehagan und John Kerrel, die beide im Flur warteten, mit gesenktem Haupt vorbei in ihre Kammer. Dort stand sie zitternd, horchend, schnell atmend, bis die Männer nachfolgten. »Hast du die Nacht über geschlafen?« fragte der mildere Master Kerrel. Keine Antwort. »Warum ist dein Rock vor den Knieen blutig?« fragte John Gehagan. »Ich habe oben gekniet, das wißt Ihr doch«, erwiderte sie mit kaum vernehmbarer Stimme. »Dein Benehmen ist sonderbar. Hast du Geld am Leibe versteckt, Mädchen?« forschte John Gehagan weiter. Zugleich trat er auf sie zu, steckte die Hand in ihr Busentuch, suchte die Brüste hinunter, und wie er ihr unter den Arm fühlte, erschrak sie und ihr Kopf flog zurück. Da wurde ein Stück Hemd mit dem Blutfleck sichtbar. »Und woher ist dies Blut?« fragte Master Gehagan rauh. Sara deutete in die Höhe; »dort ist es her«, entgegnete sie, ohne des Doppelsinns inne zu werden. Mittlerweile hatte sich John Kerrel an das Durchsuchen des Strohlagers gemacht, und auf einmal zog er mit einem heiseren Schrei den Pokal hervor. Das Gefäß schwankte in seiner Faust, John Gehagan drückte fassungslos die Hände gegen das Herz.

      »Ich weiß, ich bin ein verloren Weib!« schrie Sara. »Ich will ja gern den Tod erleiden.« Sie fiel nieder und umklammerte die Beine John Gehagans so fest, daß er sich kaum losmachen konnte. Ihre Augen rollten und vergingen fast, und ein furchtbares Seufzen drang aus der Tiefe ihres bedrängten Innern. John Kerrel eilte hinauf, bald kamen zwei Konstabler und führten Sara ins Gefängnis nach Newgate, wie sie war, mit ihrem Arbeitsrock und der blauen Kappe.

      Vor den Richter, Sir Roger Brocas gebracht, konnte sie nicht sprechen. Es war ein Jammer, sie anzusehen. Sir Roger fühlte Erbarmen, verschonte sie für diesen Tag und ließ sie in die Zelle zurückbringen. Sie legte sich nicht hin, sie ging nicht umher, sie stand regungslos am vergitterten Fenster und blickte hinaus auf den finstern Hof und sah zu, wie es zu regnen anfing und wie es Nacht wurde, und hörte den Wind heulen. Und als es nun so einsam und dunkel um sie geworden war, da spürte sie plötzlich ein wundersames Pochen in ihrem Leibe. Zuerst achtete sie kaum darauf, es schwieg auch eine Zeitlang, dann wiederholte es sich stärker. Verwundert dachte sie nach, was das Pochen zu bedeuten habe, und als es zum dritten Mal wiederkehrte, da verklärte dasselbe himmlisch selige Lächeln ihre Züge, wie damals im Traum bei Mistreß Duncomb. Sie hatte ein Kind im Schoß. Im Traum hatte sich der Geliebte ihr vermählt, im Traum war er gekommen, im Traum hatte er sie beglückt. Sie kroch in einer Ecke des kalten finstern Raums in sich zusammen, denn so eng ihn vorher ihre Bangigkeit und Trauer gefunden hatte, so weit wurde er jetzt ihrer Verzückung. Sie lauschte in das Innere ihres Leibes hinein, und abermals regte es sich, sie glaubte es zu spüren, glaubte jedes der kleinen Gliederchen zu fühlen, und nun war sie Gott dankbar für die auferlegte Prüfung und freute sich darauf zu sterben, das Geheimnis unter dem Herzen. Gewiß war es derselbe lustgekrönte Engel, der sie mit dem Geliebten zusammengeführt und der sie den Todesweg hinaufgeleiten würde bis an das Tor des Paradieses. »Armes kleines Wesen«, so redete sie lächelnd vor sich nieder und in ihren Schoß hinein, »bist jetzt noch in der Finsternis, bald aber wirst du flügge sein, mein Vögelchen, und wirst Flügel haben und wirst dich im Lichte baden«. So schlief sie allmählich ein. Kein leisester Zweifel regte sich gegen das Wunder, das sich an ihr ereignet.

      Wie

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