Im Hause des Kommerzienrates. Eugenie Marlitt

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Im Hause des Kommerzienrates - Eugenie  Marlitt

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und doch ästhetisch anregend für ihren braven Mann und mich alten Kindskopf und die wenigen auserwählten Freunde des Hauses zu erhalten versteht.«

      In diesem Augenblicke flog ein ganzer Regen von frischen Veilchen gegen die Brust des jungen Mädchens und rieselte auf den Fußboden nieder.

      »Bravo, Käthe!« rief Henriette. Sie stand im Wintergarten, dicht am Gitter, und preßte die bleichen Hände auf ihre heftig atmende Brust. »Ich möchte dir gleich um den Hals fliegen, aber — sieh mich doch an! — müßte das nicht zum Totlachen sein? Du, so kerngesund an Leib und Seele, und ich —« Ihre Stimme versagte.

      Käthe warf das Barett, das sie noch in der Linken hielt, von sich und flog zu ihr. Sie umschlang zärtlich die schwache Gestalt, aber die Thränen des Erbarmens und die Betroffenheit darüber, daß das Gesicht der Schwester »so entsetzlich abgemagert«, wurden weislich unterdrückt.

      Flora biß sich auf die Lippen. »Das Jüngste« war nicht nur imposant an Leibesgestalt geworden, es hatte auch in den hellen Augen und auf den Lippen den seltenen Freimut innerer Unabhängigkeit, der manchmal so unbequem werden kann. Ihr kam plötzlich die kleine Ahnung, als trete mit dem kraftvollen Mädchen dort eine schattenwerfende Gestalt in ihr Leben ... Sie nahm hastig den Hut ab und fuhr mit beiden Händen auflockernd durch die zerdrückten Scheitellöckchen. »Hast du das poetische Reisebündelchen da wirklich von Dresden mitgebracht?« fragte sie trocken, mit einem blinzelnden Seitenblicke nach dem zusammengeknüpften weißen Tuche am Arme der Angekommenen.

      Das junge Mädchen löste die verschlungenen Enden und reichte Henriette die Taube hin. »Ein kleiner Patient, der dir gehört,« sagte sie. »Das arme Ding ist flügellahm geschossen. Es fiel im Schloßmühlenhof auf das Pflaster.«

      Da war bereits die Einkehr in der Mühle verraten, allein die Präsidentin schien die letzten Worte ganz zu überhören; sie zeigte tief empört auf das verwundete Tierchen und sagte, nach dem Kommerzienrate zurückgewendet, mit strafendem Vorwurfe: »Das ist nun die vierte, Moritz.«

      »Und noch dazu mein Liebling, mein Silberköpfchen!« rief Henriette und wischte sich eine Thräne des Schmerzes und der Erbitterung von den Wimpern.

      Der Kommerzienrat war blaß vor Schreck und Aerger. »Liebe Großmama, ich bitte Sie dringend, machen Sie mir daraus keinen Vorwurf mehr!« rief er fast heftig. »Ich thue, was möglich ist, um diesen bodenlosen Nichtswürdigkeiten auf die Spur zu kommen und sie zu verhindern, aber der Thäter versteckt sich hinter der Phalanx von zweihundert erbitterten Menschen;« — er zuckte die Achseln — »da läßt sich gar nichts thun. Ich habe deshalb auch Henriette wiederholt gebeten, ihre Tauben einzuschließen, bis die Aufregung vorüber ist.«

      »Also wir werden in der That die Nachgebenden sein müssen? Es wird immer besser,« sagte die alte Dame sehr anzüglich; sie zog und rückte an der Schleierwolke, die ihr um Gesicht und Hals lag, als ob ihr die innere Aufregung unerträglich warm mache. »Sagst du dir nicht selbst, Moritz, daß eine solche Gleichgültigkeit die Verwegenheit geradezu herausfordert? Man wird das geduldete Taubenschießen nachgerade langweilig finden und sich edleres Wild aussuchen.«

      »Warum denn so zartverblümt, Großmama? Die Partei selbst nennt das Ding ziemlich unverfroren beim Namen,« warf Flora geflissentlich leicht und nachlässig hin. »Meine Jungfer hat heute morgen beim Oeffnen der Läden wieder einmal einen Drohbrief auf meinem Fenstersims gefunden; sie sah sich gezwungen, ihn mit der Feuerzange anzufassen und mir zur Einsicht hinzuhalten — so unappetitlich war der Wisch; er liegt in ihrer Stube, für den Fall, daß du ihn zu deinen Akten legen willst, Moritz. Neues enthält er selbstverständlich nicht — immer dieselben Phrasen! Wissen möchte ich aber doch, weshalb die Menschen gerade mich so ganz besonders mit ihrem Klassenhasse beehren.«

      Käthe konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß es sich hier wohl weniger um den Haß gegen die bevorzugte Klasse als gegen die Persönlichkeit selbst handle. Sie begriff, daß diese herrische Erscheinung in fürstlich reichen Gewändern, mit den verächtlichen Linien um den Mund und der männlich schroffen Redeweise von Fernstehenden leicht für alle vom Hause ausgehenden Maßregeln verantwortlich gemacht wurde.

      »Die gehässigen Angriffe sind doppelt lächerlich durch den Umstand, daß gerade ich mich für die soziale Frage lebhaft interessiere,« fuhr Flora unter kurzem Auflachen fort; »ich habe schon manchen zu gunsten der Arbeiterklasse wirkenden Artikel in die Welt hinausgeschickt.«

      »Mit dem Schreiben allein macht man das heute nicht mehr,« sagte Doktor Bruck vom Fenster herüber. »Die besten Federn haben sich stumpf daran geschrieben, und die Wogen der Bewegung gehen immer höher und schwemmen die Theorien vom Papier.«

      Aller Augen richteten sich auf ihn. »Ei, und was soll man thun?« fragte Flora spitz.

      »Sich die Leute und ihre Forderungen selbst ansehen. Was nützt es, wenn du aus dem Heer von Denkschriften und Broschüren über dieses Problem das ‚Für und Wider‘ an deinem Schreibtische mühsam zusammensuchst —«

      »O, bitte —« In ihren Augen entzündete sich plötzlich ein grelles Feuer.

      »Und Totes zu dem vielen Toten wirfst?« fuhr er unbeirrt fort. »Deine Artikel werden diesen Leuten schwerlich zu Gesicht kommen, und wenn auch — was helfen sie ihnen? Worte bauen ihnen keine Heimstätte. Gerade den Frauen in den Familien der Arbeitgeber fällt ein bedeutender Teil der Lösung zu, ihrem milden Einfluß auf das härtere Männergemüt, ihrer sanften hilfreichen Vermittelung, ihrer Klugheit. Aber die wenigsten geben sich die Mühe, darüber nachzudenken oder, was ich in erster Linie von ihnen verlange, ihr Herz zu befragen. Sie nehmen die Mittel zur Bestreitung ihrer heutzutage fast schrankenlosen Bedürfnisse aus den Händen der Männer, ohne zu erwägen, daß vor ihrer Thür alle Elemente zu einem furchtbaren Konflikt stetig emporwachsen.«

      Die Präsidentin strich mit ihren schlanken Händen langsam über die atlasspiegelnde Fläche ihres Ueberkleides, und ohne auf den letzten Ausspruch einzugehen, sagte sie gelassen: »Ich gebe sehr gern; nur bin ich nicht gewöhnt, meine Almosen direkt in die Hand der Heischenden zu legen, und so mag es kommen, daß man nicht weiß, wie viel und wie oft ich gebe. Dieses Mißkennen läßt mich übrigens sehr ruhig, selbst wenn es mich verantwortlich machen möchte für die Roheiten, denen wir augenblicklich ausgesetzt sind.«

      »Die Roheiten sind abscheulich. Niemand kann sie strenger verurteilen als ich,« versetzte Doktor Bruck ebenso kalt; »aber —«

      »Nun, ‚aber‘? Sie behaupten schließlich doch, wir Frauen im Hause des Arbeitgebers hätten sie provoziert?«

      »Ja, Frau Präsidentin, Sie haben den Arbeitgeber abgehalten, seinen Leuten helfend entgegenzukommen, die Forderung der Arbeiter aber war keine unbillige, keine jener häßlichen Ausschreitungen, welche gegenwärtig die an sich vollkommen gerechte Sache der Partei verdunkeln und anrüchig machen — sie wollten auch kein Almosen, sondern mit Hilfe des Fabrikherrn sich selbst emporarbeiten zu einer beglückteren Existenz.«

      Die alte Dame klopfte ihm leicht auf die Schulter und sagte freundlich, aber doch in jenem bestimmten, kurz abfallenden Tone, mit welchem sie das Gespräch abzubrechen wünschte: »Sie sind ein Idealist, Herr Doktor.«

       »Nur ein Menschenfreund,« versetzte er flüchtig lächelnd und griff nach seinem Hute.

      Seine Braut hatte ihm längst den Rücken gewendet und war in das andere Fenster getreten. Kein Frauengesicht war mehr geeignet, den Ausdruck der Feindseligkeit anzunehmen, als dieses Profil, das die Lippen so fest über den Zähnen zu schließen

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