Das Heideprinzeßchen. Eugenie Marlitt

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Das Heideprinzeßchen - Eugenie  Marlitt

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einen Moment die Lider und sah sie verständnisvoll an. Ilse schob ihr Kissen und Polster unter den Rücken und gab ihr eine sitzende Stellung im Bett; das that ihr sichtlich gut, das leise unheimliche Geräusch, das ihre Atemzüge begleitete, minderte sich.

      Während dem hatte Heinz bereits den Dierkhof verlassen, um einen Arzt zu holen. Er mußte in das nächste Dorf laufen, und von da nach dem eine Stunde Wegs entfernten größeren Orte einen Wagen schicken, der den Doktor nach dem Dierkhof brachte; so konnten drei bis vier Stunden vergehen, ehe ärztlicher Beistand kam.

      Mein Versuch, Ilse behilflich zu sein, wurde zurückgewiesen. Sie schob schweigend, mit einem besorglichen Blick auf die Kranke, meine Hände weg, gestattete mir aber, dazubleiben.

      Ich kauerte mich, halbverdeckt durch den Vorhang, zu Füßen des Bettes auf eine kleine gepolsterte Bank nieder und sah beklommen in das fremdartige Zimmer hinein. Es war das größte im Hause und von einer saalartigen Weite; vielleicht hatte meine Großmutter eine Wand durchschlagen lassen, um den befremdend großen Raum zu gewinnen. An den Wänden hingen mit eingewobenen Gestalten bedeckte wollene Tapeten. Mein Blick kehrte immer wieder zurück auf einen lebensgroßen Kinderkörper mit einem schönen Gesicht voll Trauer und sanftmütiger Duldung – es war der junge, auf einem Holzstoß festgebundene Isaak. Die Tapeten waren uralt und von den Motten zerfressen, so daß der nervigen Gestalt Abrahams ein Auge und die hochgehobene, opferbereite Hand fehlten … Wie eine Versammlung mürrisch schweigender Greise, in steifer Ordnung, reihten sich Stühle mit himmelhohen Lehnen und großblumigen, samtenen Polsterbezügen an den Wänden hin. Ich habe erst späterhin diese aus den kostbarsten Hölzern geschnitzten, schwarzbraunen Säulenlehnen zu würdigen gelernt; bei ihrem ersten Erblicken jedoch stierten mich die aus Band-und Laubgewinden hervorlauschenden Tierköpfe und fabelhaften Gebilde, die auch an all den umherstehenden Spinden und Schreinen wiederkehrten, dräuend und sinnverwirrend an.

      Die dunklen Farben und die tiefen Ecken allüberall sogen das Licht der zwei Lampen, die hell auf den Tischen brannten, gierig ein. Dunkel war der Teppich, auf dem meine Füße ruhten und der sich über den ganzen Boden hinbreitete, und fast schwarz der erdrückend niedrige Holzplafond. Nur das nackte Fleisch der Tapetenbilder, im Lauf der Zeit bis ins Leichenhafte erblichen, leuchtete da und dort wie ein aufgesetzter Lichtpunkt, und ein einziger heller Gegenstand von mildem Glanze schwebte wie die versöhnende weiße Taube in das Düster herein – es war ein vielarmiger, mit weißen Wachskerzen besteckter Silberleuchter, der am Deckenbalken hing.

      Es schien im Verlauf der bangen Stunde, die ich bereits am Bette verharrte, besser mit der Kranken zu werden. Sie sah sich mit weitoffenen Augen um, trank etwas frisches Wasser, und plötzlich kehrte ihr auch die Sprache zurück.

      »Was ist mit mir?« fragte sie langsam in gebrochenen, ganz veränderten Tönen.

      Ilse bog sich, ohne zu antworten, über sie – ich glaube, der Jammer nahm ihr die Stimme – und strich ihr lind und liebkosend die Haare aus der Stirne.

      »Meine alte Ilse!« murmelte die Kranke. Sie machte eine Anstrengung, sich zu erheben, es ging nicht – mit einem sonderbar starren, forschenden Blick streiften ihre Augen langsam an dem linken Arm nieder.

      »Tot!« seufzte sie und ließ den Kopf in das Kissen zurücksinken.

      Der Ausruf flößte mir kaltes Entsetzen ein. Ich machte eine unwillkürliche Bewegung, das Polsterbänkchen rückte weiter und die Vorhänge rauschten.

      »Wer ist noch im Zimmer?« fragte meine Großmutter aufhorchend.

      »Das Kind, gnädige Frau – Leonore,« antwortete Ilse zögernd.

      »Dem Wilibald sein Kind – ja wohl, ich kenne es – es springt mit den kleinen nackten Füßen durch die Heide und singt drüben am Hügel – ich kann das Singen nicht hören, Ilse!«

      Das wußte ich wohl; nie hatte auf dem Dierkhofe ein singender Laut über meine Lippen kommen dürfen – ach, und ich sang so gern! Mir war, als fliege meine Seele auf den Tönen, die mir die Brust weiteten, in die Ferne hinaus. Da sang ich denn in Heinzens Lehmhütte, daß die flaschengrünen Fensterlein zitterten, oder drüben auf dem Hügel; aber ich hatte nie gemeint, daß das die Großmutter auf dem Dierkhof hören könne.

      Ich war aufgestanden und trat ihr zitternd einen Schritt näher.

      »Klein wie ihre Mutter,« murmelte sie vor sich hin, »und hat die großen Augen und ein kaltes, enges Herz – ihr ist ja auch das Wasser über der Stirne ausgegossen worden.«

      »Nein, Großmutter,« sagte ich ruhig, »ich habe kein kaltes Herz!«

      Sie sah mich so erstaunt an, als habe sie bis dahin gemeint, das kleine Wesen könne nur singen und nicht sprechen, am allerwenigsten aber sie selbst anreden. Ilse zog sich hinter den Vorhang zurück und winkte mir angstvoll, zu schweigen; sie mochte durch mein unerwartetes Hervortreten einen Anlaß zu neuer Geistesstörung bei der Kranken befürchten. Aber meine Großmutter blieb vollkommen ruhig: ihre Augen hafteten unverwandt auf meinem Gesicht. Diese Augen, vor denen ich mich immer so entsetzlich gefürchtet, wenn sie im Vorüberlaufen unstät und irr über mich hinflackerten, waren sehr schön; über ihren dunklen Glanz breitete sich freilich ein unheimlicher Schleier, aber es lag Seele darin, bewußtes Denken.

      »Komm einmal her zu mir!« unterbrach sie das minutenlange Schweigen.

      Ich trat dicht an das Bett.

      »Weißt du, was es heißt, jemand lieb haben?« fragte sie, und ihre gebrochene, tonlose Stimme nahm einen innigen Klang an.

      »Ja, Großmutter, das weiß ich! Ich habe Ilse so lieb, so lieb, daß ich’s nicht sagen kann – und Heinz auch.«

      Um ihre Lippen zuckte ein leises Beben, und sie schob unter unsäglicher Mühe ihre auf der Decke liegende Rechte nach mir hin.

      »Fürchtest du dich vor mir?« fragte sie.

      »Nein – nicht mehr!« wollte ich hinzusetzen, aber ich verschluckte die zwei letzten Worte und bog mich zu ihr hin.

      »Nun, so gib mir deine Hand und küsse mich auf die Stirn!«

      Ich that, wie sie geheißen, und seltsam, in dem Augenblick, wo meine Lippen das gefürchtete Gesicht berührten, und meine Hand von den großen, kalten Fingern umschlossen und sanft gedrückt wurde, zog ein neues, süßseliges Gefühl in meine Brust ein. Ich wußte auf einmal, daß ich an diesen Platz gehörte, ich fühlte das geheimnisvolle Band des Blutes zwischen Großmutter und Enkelin, und hingerissen durch dieses plötzliche Erkennen setzte ich mich auf den Bettrand und schob sanft meinen Arm unter ihren Kopf.

      Ein beglücktes Lächeln glitt durch die großen, starken Züge; sie legte sich in meinem Arm zurecht wie ein müdes Kind, das einschlafen will.

      »Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut – ach!« flüsterte sie und schloß die Augen.

      Ilse aber stand hinter dem Vorhang des Bettes; sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich.

      Es trat wieder Totenstille in. Sie wurde nur unterbrochen durch das leise Aufstöhnen der Kranken und ihre schweren, unregelmäßigen Atemzüge, und durch das unausgesetzte leise Schnurren in dem hohen, hölzernen Standgehäuse der alten Uhr, deren großes blinkendes Zifferblatt gespenstisch herüberstarrte, und die zu jeder Pendelschwingung weit und langsam aushob wie eine kranke Brust zum Atemholen.

      So war abermals eine lange, bange Zeit verstrichen; es

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