Das Heideprinzeßchen. Eugenie Marlitt

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Das Heideprinzeßchen - Eugenie  Marlitt

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einem scharfen Strich unerbittlich Himmel und Heide; und im Osten, da, wo am Tage ein feiner, grüner Streifen verlockend leuchtete, ballten sich weißliche Dünste. Dort lag der Torfsumpf voll tiefer Wasserlachen und bestanden mit Binsen und sprödem Riedgras; die kleinen stehenden Gewässer tief drinnen aber umsäumte Schilf, und die weiße Seerose lag bleich auf dem dunklen Spiegel – ich meinte immer, das seien keine Blumen, sondern traurige Menschengesichter. Jetzt schwebten sie aufwärts, und die weißen Schleier und Gewänder quollen nach und blähten sich und flossen herein auf das trockene Heideland, über das einst, in uralten Zeiten, grüne, rauschende Meereswogen hingerollt waren, wie heute der gute, alte gelehrte Herr mit der Blechbüchse auf dem Rücken gesagt hatte. Vor den wehklagenden, in den Sumpf zurückgedrängten Wassergeistern fürchtete ich mich nicht – aber da unten zu meinen Füßen war heute Menschenasche verschüttet worden; frevelnde Hände hatten den Grabhügel aufgebrochen und die Ruhe der Toten gestört … An der anderen Seite, neben dem Föhrenstamm lag das Knöchelchen eingescharrt – wie, hob es sich nicht schon als Finger aus der Erde, wieder fest eingefügt in die weiße Hand? Wuchs es nicht immer höher, da dicht neben mir, bis er dastand, der Phönizier, finster und dräuend, mit der breiten, weißen Stirn Karls des Großen und der Goldkrone in dem zurückbäumenden kastanienfarbenen Haar? … Kalte Schauer überliefen mich, mit stockendem Atem stand ich starr und steif und sah nicht rechts, noch links; ich hatte nicht einmal den Mut, den Arm vom Föhrenstamm zu lösen, und doch erwartete ich jeden Augenblick mit leise gesträubtem Haar, den kalten Finger auf dem nackten, warmen Fleisch zu fühlen – und da legte sich plötzlich eine Hand schwer auf meine Schulter. Ich stieß einen gellenden Schrei aus.

      »Leonore, was machst du für Streiche!« schalt Ilse. Sie stand hinter mir und hielt mich mit festen Armen – ich glaube, ich wäre sonst wie leblos den Hügel hinabgerollt.

      »Ach Ilse, der Phönizier« – stammelte ich.

      »Was?« fragte sie gedehnt. Sie schob mich von sich und sah mir mißtrauisch besorgt in die Augen – sie hatte ja heute schon einmal gefragt, ob ich toll geworden sei. Ihr Gesichtsausdruck brachte mich sofort zu mir selbst – ich mußte laut auflachen und warf mich an ihre Brust; da war ich geborgen vor allen Gespenstern und auch vor dem fremden Gesicht, das, obschon längst in der Dämmerung verschwunden, sich doch sogar dem Geist des Phöniziers aufgedrängt hatte.

      »Hat’s wieder einmal gespukt?« fragte Ilse. »Und nun gar unter Gottes freiem Himmel! … Ja, du und Heinz, ihr seid mir ein Paar Helden!«

      Die gute Ilse – unter dem dunklen Dach des uralten Dierkhofes war auch sie nicht sicher vor allerlei unheimlichen Begegnungen, und wenn sie auch Mutig und beherzt auf alles losging, so wußte sie doch der haarsträubenden, verbrieften und womöglich amtlich bestätigten Dinge genug, vor denen der Verstand der Verständigen absolut still ein mußte.

      Sie nahm meine Rechte in ihre harte, kühle Hand und führte mich den Hügel hinab.

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich mit Ilse eintrat, brannte schon die Lampe auf dem Tische, sie verlor sich in dem weiten, dunkel angerauchten Raum wie ein kleiner Funken. Durch das offene Hausthor fiel noch das fahle Dämmerlicht von draußen auf die vorderen Viehstände; sie waren leer, auf dem Dierkhofe wurde nur so viel Oekonomie betrieben, als zu unserem eigenen Lebensbedarf nötig. Nahe dem Fleet aber, mit der Stirne nach der Tenne zu, lag Mieke wiederkäuend und hielt mir die Hörner hin – zur Nachttoilette schien ihr die baumelnde Guirlande doch nicht wünschenswert.

      Ilse warf einen Blick auf das »feierlich geputzte« Tier, dann wandte sie den Kopf weg und schlug mich leicht auf die Schulter – ich durfte ja beileibe nicht wissen, daß sie über meinen »ewigen Unsinn« gar auch noch lache.

      Man hatte bereits ohne mich Abendtafel gehalten. An einem mächtigen Berg von Kartoffelschalen sah ich, wo Heinz gehaust hatte. Ilse schob, diesmal ohne Strafpredigt, die kalt gewordenen Kartoffeln von meinem Teller und legte mir dafür ein Paar heiße, weichgekochte Eier hin. Draußen im Baumhof hörte ich Heinz hantieren, und Ilse lief auch emsig auf und ab; sie hatte noch »alle Hände voll zu thun«. Das war nun freilich nicht der günstigste Moment; trotz alledem fuhr mir die Frage heraus, die mir bisher auf den Lippen geschwebt hatte:

      »Ilse, wie heißt das Haus, wo mein Vater jetzt wohnt?«

      Sie wollte gerade an mir vorüber in den Baumhof gehen.

      »Willst du ihm schreiben?« fragte sie überrascht stehen bleibend.

      Ich lachte laut auf. »Ich? Einen Brief schreiben? Ach, Ilse, wie lächerlich das klingt! … Nein, nein, ich will nur wissen, wie die Leute heißen, bei denen mein Vater wohnt!«

      »Muß es auf der Stelle sein?«

      Ich wagte nicht »ja« zu sagen; aber vielleicht las Ilse die brennende Ungeduld auf meinem Gesicht. Sie ging schweigend in die Wohnstube und schob mir gleich darauf ein Kästchen hin.

      »Da, suche dir die Adresse selber – ich hab’ sie nicht im Kopfe. Aber verliere mir nichts und stöbere nicht zu viel herum!«

      Sie ging hinaus. Wie sauber und pünktlich geordnet lag die spärliche schriftliche Verbindung zwischen dem Dierkhof und der Außenwelt in dem kleinen Viereck! … Da war das dünne, verschwindend kleine Päckchen, das die Briefe meines Vaters umschloß; sie trugen samt und sonders Ilses Adresse, enthielten stets nur wenige höfliche Zeilen, einen Gruß an die Großmutter und an mich, und eine bestimmt verneinende Antwort auf Ilses hie und da wiederkehrende Bitten, mich, der Schule wegen, vom Dierkhof hinwegzunehmen. Was an Schriftstücken von draußen herkam, ging durch Ilses Hand und wurde von ihr unter Seufzen und großen Mühen mit steifen Schriftzügen und lakonischer Kürze erledigt. Ich kümmerte mich nie darum; denn so flink ich im Lesen war, und so heißhungrig ich immer wieder die mir von Fräulein Streit massenhaft hinterlassenen Kinderbücher auch jetzt noch verschlang, so blutsauer wurde mir das Schreiben, und so verhaßt war es mir.

      Unter dem Päckchen mit meines Vaters Briefen lag auch ein Schreiben, von welchem ich wußte, daß es ganz vor Kurzem eingelaufen war. »An Frau Rätin von Sassen. Hannover« stand in schlanker, graziöser Schrift auf dem Kouvert; eine andere plumpe Hand hatte den Namen des dem Dierkhof zunächst gelegenen Dorfes hinzugefügt. Der Brief war an meine Großmutter – der einzige, der, so lange ich denken konnte, unter dieser Adresse in unser Haus gekommen war. Als Heinz ihn vor einigen Wochen mitbrachte und Ilse übergab, da glitten meine Augen flüchtig über die Aufschrift, und ich ging gleichgültig hinweg, ohne den Inhalt wissen zu wollen: die Welt außerhalb der Heide und was von ihr herüberkam, hatte für mich nicht die geringste Anziehungskraft. Heute war das plötzlich anders; das aufgebrochene Siegel reizte mich, einen Blick auf das Blatt drinnen zu werfen; allein ich wagte es doch nicht ohne Ilses Erlaubnis und legte den Brief einstweilen auf die Tischecke.

      Die gewünschte Adresse meines Vaters war schnell gefunden. Als ich sein letztes Schreiben mit hastiger Hand auseinanderschlug, da stand dicht unter seinem Namen: »Firma Claudius Nr. 64 in K.« Ein jäher Stich durchfuhr mich, und ich fühlte, wie es mir flammendheiß über das Gesicht hinlief, als ich den Namen schwarz auf weiß vor mir sah, den der Professor heute wiederholt ausgesprochen hatte. Wie prächtig verstand ich auf einmal die flüchtigen, kraus durcheinander wimmelnden Schriftzüge meines Vaters zu lesen! Der Name sprang mir förmlich in die Augen … Ich kannte den Inhalt des Briefes, Ilse hatte ihn mir mitgeteilt; und doch fing ich jetzt an, die Zeilen noch einmal zu studieren. Ach, da war wieder einmal die ganze Oede und Trockenheit, welche die Briefe meines Vaters kennzeichnete! Er fragte nicht: was macht mein Kind? Ist es gesund und denkt es an mich? … In diesem Augenblick fühlte ich zum ersten Mal, wenn

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