Finnische Träume - Teil 1 | Roman. Joona Lund

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Finnische Träume - Teil 1 | Roman - Joona Lund Finnische Träume Romanteile

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      Finnische Träume - Teil 1 | Roman

      von Joona Lund

      Joona Lund ist eine finnische Journalistin, die vor allem über gesellschaftliche Probleme recherchiert und schreibt.2008 las Joona von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, welches das Inzesttabu weiterhin als strafrechtlich relevant bestätigt und eine junge Familie damit ins Unglück gestürzt hat. Sie erinnerte sich an ein Interview, das sie vor Jahren in Lappland auf einem abgeschiedenen Bauernhof geführt hatte: Damals war ihr das Verhalten des jungen Mannes und seiner jüngeren Schwester aufgefallen, das sich von dem ihrer Mitschüler gravierend unterschied. Sie recherchierte und stieß auf eine Geschwisterliebe, die beinahe tragisch ausgegangen wäre. Mit ihrem Roman „Finnische Träume“ veröffentlichte Joona die Geschichte einer innigen Liebe, die sich trotz aller Schwierigkeiten und Hindernisse zunehmend verdichtet. Sie wollte aufzeigen, dass das Urteil des Gerichts auf wackeligen Beinen stand und verschiedene zivilisierte Länder das anders bewerten.

      Lektorat: Nicola Heubach

      Originalausgabe

      © 2014 by blue panther books, Hamburg

      All rights reserved

      Cover: © mammuth @ istock.com

      Umschlaggestaltung: www.heubach-media.de

      ISBN 9783862774388

      www.blue-panther-books.de

       1. Die Reportage von Joona Lund

      Hätte Lia geahnt, auf was sie sich da einließ, hätte sie sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, den Auftrag zu übernehmen. Bereits beim ersten Zusammentreffen war der Journalistin der intensive Blickkontakt der Geschwister aufgefallen, ihre schicksalhafte Verbindung hatte sie aber erst begriffen, als es für eine Umkehr zu spät gewesen war.

      Es war Lias Idee gewesen, einen Bericht über Schüler zu bringen, die im Preisausschreiben über politische oder wirtschaftliche Themen in Schülerzeitungen gesiegt hatten, und mit Reportagen über ihre Herstellung zu ergänzen. Lia hatte nicht damit gerechnet, dass der Chefredakteur ausgerechnet ihr die Realisierung aufs Auge drücken würde, da er doch wusste, dass sie Schulen nicht ausstehen konnte. Sie gestand sich ein, am Auftrag nicht ganz unschuldig gewesen zu sein: Dem Chef war ihr Ausspruch auf einer Betriebsfeier hinterbracht worden, ihr seien Schulen stets ein Gräuel gewesen, schon als Kind sei ihr vom Schulmief schlecht geworden und der Widerwille habe sich im Laufe der Jahre eher verstärkt. Lias Vorschlag, die Berichte über die Schülerzeitungen dem Benjamin in der Redaktion zu übertragen, schmetterte der Chefredakteur ab und begründete das mit der abstrusen These, es wäre nicht wichtig, ob jemand ein Thema liebe oder hasse, sondern ob er sich damit auseinandergesetzt hätte und das träfe nun mal auf sie zu.

      »Du machst die Story, Lia, und damit Punktum! Und wenn du schon mal dort bist, kannst du gleich auch eine Reportage für den Hörfunk machen. Lass einfach das Aufnahmegerät mitlaufen!«

      Sie schnitt eine Grimasse. Der Alte wusste, wie viel Arbeit im Tonschnitt steckte und welche Mühe es bereitete, Jugendliche dazu zu bringen, vernünftige Sätze ins Mikrofon zu sprechen.

      »Du kannst mit Jugendlichen umgehen und du weißt, dass wir sparen müssen. Die Werbeeinnahmen sind eingebrochen, wir müssen fürs Radio produzieren.« Allen Einwänden zuvorkommend setzte er hinzu: »Du wirst schon was Brauchbares bringen, ich spüre es im Urin.«

      Wieder einer seiner abgedroschenen Sprüche, die sie nicht ausstehen konnte. In letzter Zeit war es zum Normalfall geworden, Redakteure auch für den zum Unternehmen gehörenden Hörfunk einzuspannen. Lustlos trat sie die Reise in den Norden an, überzeugt, eine Geschichte abzunudeln, die maximal Schüler, Eltern und Lehrer interessierte.

      Was den Hörfunk betraf, fand sie nach den ersten zwei Schulen ihre Befürchtung bestätigt: Der Chef hatte ihr eine langweilige Reportage aufs Auge gedrückt, denn die Jungredakteure, wie sie sich stolz nannten, hatten zwar gut beobachtet, auch alles leidlich zu Papier gebracht, aber vor dem Mikro war ihnen nichts Konkretes zu entlocken – ihre Antworten kamen, als fragte ein Lehrer ihr spärliches Wissen ab. Die Interviewten waren nicht in der Lage gewesen, Funktion und Wesen einer Schülerzeitung in wenigen Sätzen zu charakterisieren, es war ein Herumstottern. Selbst provozierende Fragen hatten sie nicht aus der Reserve gelockt, eher noch verklemmter und verstockter gemacht. Lia stand praktisch mit leeren Händen da.

      Den letzten Preisträger – nach einem Blick auf die Karte schien er am Ende der Welt zu leben, nämlich am östlichen Rand Lapplands, nicht weit von der russischen Grenze entfernt – hatte sie sich bis zum Schluss aufgehoben. In der Gegend war sie noch nie gewesen. Sie fuhr die halbe Nacht mit dem Zug, übernachtete in einem drittklassigen Hotel, nahm ein viertklassiges Frühstück zu sich – was ihre Stimmung nicht gerade hob – fuhr Stunden mit dem Bus, bis sie endlich die Gemeinde erreichte, in der die Schule des zweiten Siegers lag.

      Lia war angemeldet und hoffte, man ließ ihr wie in den anderen Schulen freie Hand, denn sie wollte die Sache möglichst rasch hinter sich bringen. Noch hatte sie keine Zeit gefunden, den Aufsatz von Jan, so hieß der Schüler, zu lesen. Im Bus stellte sie überrascht fest, dass er eine Menge Informationen verarbeitet hatte, die weit über den Lehrstoff der Schule hinaus­gingen. Sie war von der einfühlsamen Ausdrucksweise, mit der er die Landflucht beschrieb, beeindruckt: Sie sah die Bauern, die in der Küche zum x-ten Mal diskutierten, ob sie ihren Hof aufgeben oder ausharren sollten, direkt vor sich. Lia war neugierig geworden, schraubte ihre Erwartungen aber wieder herab, zu oft war sie enttäuscht worden.

      Die Straße folgte dem längsten Fluss Lapplands, oder war es der längste Finnlands? Zu Hause wollte sie nachschauen, machte sich eine Notiz. In den Dörfern mit verstreut liegenden Häusern stiegen selten Passagiere aus oder zu, Touristen verirrten sich in dieser Jahreszeit kaum hierher.

      Der Ort am Fluss wirkte wie ausgestorben. In den drei Geschäften hielten sich mehr Verkäuferinnen als Kunden auf. Im Zentrum, wenn man es so nennen konnte, trennten Gärten, in denen Schnittlauch, Petersilie und mickrige Johannisbeersträucher wuchsen, die Häuser voneinander. Dichte Naturzäune zwischen den Gebäuden betonten die Distanz zum Nachbarn. Es war kein richtiges Dorf, mehr eine lockere Ansammlung verstreuter Häuser und Höfe wie in jenem Märchen, in dem das Kind eines Riesen mit Menschenhäusern spielt und die Häuser willkürlich abstellt. Aus den Trampelpfaden waren irgendwann Straßen entstanden. Natürlich war Lia geläufig, dass die Besiedlung im Norden dünn war, aber es war eben ein Unterschied, wenn man mit eigenen Augen sah, wie wenig Leute hier lebten. Sie hatte sich nicht vorgestellt, dass die Höfe so abgeschieden zwischen den sanft ansteigenden fast baumlosen Anhöhen lagen.

      Viele Kinder, erklärte die Direktorin, fuhren eine Stunde oder länger mit dem Schulbus. Der Hof von Jans Eltern wäre der letzte im Tal. Morgens sammelte der Bus die Schüler ein und brachte sie am Nachmittag wieder nach Hause. »Wollen Eltern einige Bekannte oder Jugendliche ihre Freunde treffen, bedeutet das weite Wege, denn manche wohnen im anderen Tal.«

      Wie bei den anderen Preisträgern wollte Lia Jan in der Schule erleben, seine Freunde befragen und die Atmosphäre einfangen. Sie rechnete damit, den letzten Bus zu erreichen. Die Lehrerin berichtete, Jan hätte schon als Kind gern geschrieben, später wären Aufsätze von ihm vorgelesen worden; er hätte an Wettbewerben teilgenommen und zweimal Preise gewonnen. Die Schülerzeitung ging auf seine Initiative zurück und würde, wenn er abschloss, über kurz oder lang eingehen. Er wäre der Motor, ohne den nichts funktionierte; es steckte viel mehr Arbeit dahinter als ein Außenstehender meinte. Wegen der Entfernungen müssten sie alles hier in der Schule besprechen und fertigstellen. Die Lehrerin führte die Journalistin

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