Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

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Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell

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selbst je etwas gehört. Er lebte noch immer in der kleinen, eng verwobenen Welt seiner Kindheit. Eine gewaltige kulturelle Kluft trennte ihn von der Welt, in der er eines Tages sein Glück machen würde.

      »Wir waren nie Sportfans«, sagt Nairo nur. »Wir hatten keine Zeit. Der Gedanke, Radprofi zu werden, kam mir nie in den Sinn. Erst später erfuhr ich, dass Leute ihren Lebensunterhalt mit dem verdienten, was wir taten.«

      Dies alles sollte sich bald ändern.

      2005 setzte sich Bürgermeister Silva für die Schaffung eines stadteigenen Radsportteams ein, Alcaldía de Arcabuco (»Bürgermeisteramt von Arcabuco«). Nairo etablierte sich bald als dessen Star. Im Oktober des Jahres investierte Nairos Vater Don Luís die erhebliche Summe von 360.000 Pesos (etwa 102 Euro nach heutiger Rechnung) in ein hellblaues Rennrad, das trotz des Giant-Aufklebers auf dem Stahlrahmen eindeutig keinerlei Bezug hatte zu der renommierten Marke.

      Rusbel Achagua erzählt mir: »Es war dermaßen schwer, die Leute waren baff, dass er darauf gewinnen konnte.«

      Bald darauf, bei einem Bier in Agua Varuna mit einem Zimmermann aus Arcabuco namens Belarmino Rojas, kam Don Luís mit dem Vater eines anderen angehenden Radsportlers ins Gespräch. Juan Guzmán hegte die schönsten Hoffnungen für seinen Sohn Jhon, auch bekannt als Pistolas. Jhon war ebenfalls hin und wieder für Alcaldía de Arcabuco an den Start gegangen, war aber kein reguläres Mitglied der Mannschaft, geschweige denn deren Kapitän. Dennoch schlug Guzmán nun Luís eine Wette vor: 200.000 Pesos, dass Jhon in einem Rennen von Arcabuco zum Alto del Sote, zurück nach Arcabuco und dann hinauf nach Agua Varuna gegen Nairo gewinnen würde. Nachdem er erst vor kurzem Nairos Rad gekauft hatte, war Don Luís knapp bei Kasse, aber Belarmino Rojas streckte ihm das Geld vor und damit war das Rennen beschlossene Sache.

      Rusbal saß mit Luís und Juan Guzmán im Wagen hinter den Fahrern. »Sie beide waren stolze Väter. Pistolas hatte ein besseres Rad und vernünftige Ausrüstung, aber Nairo hängte ihn vom Start weg ab.«

      Danach traf sich Luís mit Belarmino Rojas, um das Darlehen zurückzuzahlen. Belarmino wies ihn an, Nairo das Geld zu geben.

      »Der Junge hat es sich verdient.«

      Die legendäre Wette gilt in der lokalen Folklore als Nairos erste große Bewährungsprobe, Nairo selbst aber spielt die Sache herunter. »Es war nur eine Wette zwischen zwei 15-Jährigen oder vielmehr deren Vätern. Und ich gewann.«

      »Und so«, erzählte mir Rusbel Achagua, »fuhren wir nicht mehr nur zu Dorfrennen, sondern zu Wettkämpfen in der ganzen Provinz Boyacá, und Nairo begann, sich einen Namen zu machen.«

      Nairos Vater fuhr zu so vielen Rennen mit, wie er konnte. Ein anderer Vater, Rodrigo Anacona, dessen Sohn Winner anderthalb Jahre älter war als Nairo, erinnert sich: »Die Rennen fanden meist auf Rundkursen statt, wir sahen sie also an uns vorbeikommen, dann liefen wir zwei oder drei Blocks weiter, wo wir sie wieder vorbeikommen sahen und anfeuerten. Trotz seiner Krücken lief Don Luís mit uns mit. Ich weiß noch, wie gerührt er war, wenn Nairo gewann. Ich fand ihn bewundernswert.«

      Nairo gewann bald Rennen gegen Fahrer aus höheren Kategorien. »Sie zahlten mehr als in meiner Altersklasse. Ich wurde Dritter in einem Bergzeitfahren für Elitefahrer in Cómbita, an das sich ein Rundstreckenrennen anschloss. Einer der sportlichen Leiter beschwerte sich, weil ich erst 17 war, und sie warfen mich raus.«

      Seine Preisgelder teilte er durch drei: ein Teil für seine Familie, ein Teil für Radausrüstung und ein Teil für sich selbst. Zweifellos war es in diesen Dorfrennen, gegen junge Fahrer, die vom Traum beseelt waren, den Giro, die Tour oder die Vuelta zu gewinnen, dass sich die Horizonte in Nairos Leben schwindelerregend zu erweitern begannen.

      Im November 2007 wurde Nairo die Zerbrechlichkeit des Lebens vor Augen geführt, als sein Mentor Raúl Malagón auf der Straße zwischen Arcabuco und seinen Bienenstöcken in La Palma tot aufgefunden wurde. Malagón benutzte ein schweres Bäckerrad, das mit kleinen Gängen, Schutzblechen und einer Gepäckträgerkonstruktion zum Transport von Honigtöpfen ausgestattet war. Niemand fand je genau heraus, was passiert war, denkbar ist aber, dass eines der Schutzbleche das Vorderrad blockierte und ihn mit dem Kopf voraus auf die Straße warf.

      Pedro Camargo erinnert sich: »Jeder im Dorf sagte: ›Diese armen Quintana-Jungs, was werden sie jetzt tun?‹«

      Raúl war der erste Mensch, den Nairo in seinem jungen Leben verloren hatte. »Es traf uns hart«, erinnerte er sich, nach Worten ringend. »Wir waren Freunde. Uns verband … eine Zuneigung. Er kümmerte sich um uns und brachte uns Dinge bei, an die wir uns den Rest unserer Karriere als Sportler erinnerten.«

      In ihrem Laden in Arcabuco erzählte mir Raúls Schwester Maribel: »Als Nairo nach seinem Sieg bei der Tour de l’Avenir [2010] nach Arcabuco zurückkam, sagte er in seiner Rede: ›Ich verdanke diesen Sieg jemandem, der nicht mehr hier ist.‹ Ich fing an zu weinen und schaute mich um und sah, dass alle mit mir weinten. Jeder wusste, über wen er sprach.«

      Raúl Malagón hat seine Spuren nicht nur in Nairos überragender Karriere, sondern auch in der Aussprache seines Namens hinterlassen. In Arcabuco wird er ausnahmslos »Nairon« genannt. Jeder, mit dem ich mich unterhalten habe, hat ihn so ausgesprochen. Tatsächlich ergibt einer der Spitznamen, die ihm hin und wieder verpasst werden, »Nairoman«, eigentlich nur in der Diktion des Dorfes Sinn, denn das »n« sorgt für den Reim mit der spanischen Aussprache von »Ironman«. Niemand schien eine Erklärung für diese Anomalie zu haben. Ich gelangte zu der Vermutung, dass sie auf Raúl zurückging, dessen Neffe, der Sohn seiner Schwester Maribel, Byron hieß. Vielleicht fügte er unabsichtlich das abschließende »n« hinzu, wenn er im Dorf angeregt von seinem erstaunlichen Schützling erzählte – Nairo quasi als Variation von Byron – und, mitgerissen von seiner Emotionalität, tat es ihm das ganze Dorf gleich.

      Hernán Darío Casas war Assistenztrainer der Bahnrad-Mannschaft von Boyacá, als er Nairo zum ersten Mal begegnete:

      Es war an einem windigen Tag Anfang 2008. Ich kam auf meinem Motorrad aus Duitama und da war er. Ich sagte: »Hey, mijo [eine vertrauliche Anrede, wörtlich ›mein Sohn‹]. Geh raus aus dem Wind und ich begleite dich nach Tunja.« Ich fuhr ein recht flottes Tempo, aber er hatte kein Problem, mir zu folgen. Er teilte mir mit, woher er kam, und ich lud ihn auf die Bahn in Duitama ein.

      Als ich nach Hause kam, sagte ich zu meinem Vater: »Papa, ich bin einem Jungen begegnet, negrito, negrito, negrito [soll heißen ›klein und sehr dunkelhäutig‹], und der wird es zu was bringen.« Er war ernst, selbstsicher, stand seinen eigenen Mann. Man sah den Ehrgeiz.

      Angeleitet von Hernán, begann Nairo, auf der Bahn zu trainieren und Rennen zu bestreiten. Beim kolumbianischen Bahnpokal in Duitama im März 2008 nahm er am Punktefahren teil.

      »Nairo hatte einen Rennanzug und ein Scheibenrad«, erzählte mir Hernán Casas, »und er war mit beidem vollauf zufrieden. Aber als ich an seinem Rad eine Übersetzung von 51x14 montierte, protestierte er. ›Nein, Profe [die Standardanrede jedes kolumbianischen Sportlers für seinen Trainer, abgeleitet von Profesor], geben Sie mir ein 52er, ich komme schon zurecht.‹

      ›Nein, mijo, auf der Bahn kommt es auf Kadenz und Agilität an. Keine Sorge.‹«

      Bei den ersten Sprints fuhr Nairo nur hinterher. Dann, mittels Handzeichen und Pfiffen, wies Hernán Casas ihn an, zu attackieren, hielt ihn aber davon ab, einen Rundengewinn herauszufahren. Sprint um Sprint holte

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