Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

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Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell

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war eine seiner seltenen Annäherungen an die etablierten Teams und Strukturen, zu denen Nairo im Allgemeinen gern eine gewisse Distanz wahrte. Nur widerwillig war er der Radsportschule von Tunja beigetreten, die von einer örtlichen Druckerei namens Ediciones Mar gesponsert wurde, um seine Rennlizenz zu erhalten. Im Grunde hielt er das ganze Lizenzierungssystem für Nepp.

      »Um vom Verband eine Lizenz zu bekommen, muss man der Liga angehören, und um der Liga anzugehören, braucht man einen Club, daher erhoben die Clubs hohe Mitgliedsbeiträge und man bekam dafür nichts außer ein Renn-Outfit, das mit dem Namen des Sponsors übersät war. Sofern man nicht einen gewissen ökonomischen Stand hatte« – sprich, es sich leisten konnte, jemanden zu schmieren – »war es schwer, irgendwo unterzukommen, wenn man keiner der großen Namen war. Auf mich traf weder das eine noch das andere zu, daher zog ich es vor, mich herauszuhalten.«

      Stattdessen fuhr er einfach für den Meistbietenden. Infolgedessen gibt es von ihm Fotos in den Trikots vieler verschiedener Mannschaften. Nairos Unwille, sich anzupassen, ließ bereits etwas von dem erwachsenen Mann erahnen, der sich aktiv für die Belange der Landbevölkerung einsetzte und es sogar mit dem Radsportverband selbst aufnahm.

      Insbesondere schloss er sich nicht dem größten Rennstall in Tunja an, dem Team Chocolate Sol, für das Maurico Soler, der bei der Tour de France 2007 eine Etappe und die Bergwertung gewann, 2001 bei der Vuelta del Porvenir triumphiert hatte.

      »Chocolate Sol holte Fahrer aus ganz Boyacá und führte wahre Kriege in den Rennen«, erinnert sich Dayer Quintana. »Nairo war oft auf sich allein gestellt und setzte sich gegen eine ganze Chocolate-Sol-Mannschaft aus acht oder neun Fahrern durch, darunter Talente wie Michael Rodríguez, Edward Beltrán und Darwin Pantoja.«

      Nairo verstand sich jedoch nicht mit dem Manager des Teams, Serafín Bernal. »Ich mochte seinen Charakter nicht oder die Art, wie er andere Menschen behandelte, deswegen wollte ich nicht für seine Mannschaft fahren. Und er mochte mich auch nicht.«

      Seine erste Reise ins Ausland trat Nairo dennoch im Dienste von Chocolate Sol an. Im Juni 2008, mit 18, machte er sich mit seinem getreuen, schweren Rad auf dem Rücken von zu Hause auf und nahm den Bus nach Cúcuta an der Grenze, um sich mit einem Teamwagen zu treffen, der auf dem Weg in die nahe gelegene venezolanische Stadt San Cristóbal war, und die Volta à Venezuela der Junioren zu bestreiten.

      Für dieses eine Rennen hatte Serafín Bernal einen zusätzlichen Sponsor aufgetan, ein Sportartikelgeschäft aus Cúcuta namens Zapatillas Ulloa. Nairos Onkel José, der Bruder seines Vaters, Busfahrer in Cúcuta, hatte dafür gesorgt, dass Nairo Teil des Deals war. Es war eine seltsame Vereinbarung und sie stand sinnbildlich für Nairos Unabhängigkeitssinn: In der Renndokumentation werden seine Teamkollegen als Fahrer von Zapatillas Ulloa – Chocolate Sol ausgewiesen. Neben Nairos Name hingegen steht Ulloa Deportes.

      Man gab ihm für das Rennen ein moderneres, leichteres Rad. Es brach ihm das Herz, auf seine eigene Maschine zu verzichten. Dennoch verhalf er seinem Kapitän Heiner Parra zum Gesamtsieg, während er selbst locker in die Top Ten fuhr und Zweiter im Zeitfahren wurde.

      Allerdings hatte er nicht die Erlaubnis seiner Schule eingeholt, zu dem Rennen fahren zu dürfen. Sein Sozialkundelehrer Leonardo Cárdenas zeigte mir das Klassenzimmer, in dem Nairo, ganz hinten an der Wand, in zweiter oder dritter Reihe, sein Pult hatte.

      »Don Luís kam, um mit dem Schulleiter zu sprechen, aber der antwortete, er könne die Reise nicht genehmigen. Luís sagte zu ihm: ›Zu spät, er ist schon fort.‹«

      Hinterher ließ ihn sein Sportlehrer in der Prüfung durchfallen und der Rektor forderte ihn auf, in einer öffentlichen Ansprache um die Vergebung seiner Klassenkameraden zu bitten. Stattdessen zog Nairo sie mit Erzählungen von seinem Abenteuer in den Bann, unter anderem wie er den Kampf gegen eine Gruppe venezolanischer Fahrer gewann, die ihn während des Rennens attackierten.

      »Er war kein Dummkopf«, sagt sein alter Lehrer Leonardo Cárdenas. »Er ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Er wurde nie drangsaliert. Er war wohlerzogen, aber er war kein Feigling. Und er war edelmütig.«

      Ungeachtet dieser Unstimmigkeiten schätzte Nairo seine alte Schule sehr und besucht sie noch heute regelmäßig, um sich mit den Kindern zu unterhalten. Die Prüfung in Sport bestand er allerdings nie.

      Etwa zu der Zeit hörte Nairo auf, freitags und sonntags auf den Markt in Tuta und Tunja zu fahren, und fing etwas Neues an: »Wir bauten daheim im Laden Öfen ein und ich begann, Brot zu backen, wenn ich von der Schule heimkam. Ich bediente bis abends um zehn oder elf Uhr an der Theke, dann ging ich wieder an die Öfen und buk für den nächsten Tag.«

      Seinen Schlafgewohnheiten war das nicht eben förderlich. »Als ich mit dem Radsport anfing, stand ich oft bis vier Uhr morgens in der Backstube und um sechs machten wir uns auf den Weg zum Ort, wo ich Rennen fuhr.«

      Hernán Casas erzählte mir: »Mein Vater war Bäcker, also fragte Nairo ihn, wie man das machte, und mein Vater zeigte es ihm.«

      Seit jener Zeit ist Nairo ein begeisterter und versierter Koch in der heimischen Küche.

      Einen Monat nach seiner Reise nach Venezuela, am 20. Juli 2008, machte Nairo sich auf den Weg in die Stadt Sogamoso, 70 Kilometer nordöstlich von Tunja gelegen, um das alljährliche Rennen am Unabhängigkeitstag zu bestreiten. Dort sprach er Jenaro Leguízamo an. Gebürtig aus Sogamoso, war Jenaro bis 1991 als Domestik für Café de Colombia gefahren, bevor das Sponsoring eingestellt wurde und der kolumbianische Radsport eine zehn Jahre währende Talfahrt erlebte. Er war ins Trainergeschäft eingestiegen, bevor er einen Abschluss als Sportlehrer machte und in Boyacá Pionierarbeit in Sachen Sportwissenschaft leistete. 2008 hatte Leguízamo bei Colombia Es Pasión als Teamtrainer angeheuert.

      Zehn Jahre später, in seinem Arbeitszimmer in dem Haus, in dem er aufgewachsen war, erinnerte sich Jenaro an den Moment, als der schüchterne, entschlossene Bauernjunge an ihn herantrat.

      »Professor Jenaro, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Ich bestreite heute ein Rennen und in zwei Wochen wieder. Ich möchte, dass Sie mir zusehen und mir sagen, ob sie meinen, dass ich etwas tauge.«

      Jenaro wurde neugierig. »Bei anderen Fahrern hieß es: ›Trainer, ich brauche einen Vertrag.‹ Bei Nairo hieß es: ›Sagen Sie mir, ob ich etwas tauge.‹ Er war schon immer etwas anders.«

      Nairos Resultat im Rennen am 20. Juli ist in Vergessenheit geraten, aber nicht seine Leistung eine Woche später im Clásico Club Deportivo Boyacá, einem dreitägigen Rennen bestehend aus einem Zeitfahren und zwei Bergetappen. Es war das Heimrennen von Chocolate Sol, und Nairo bekam es mit deren Kapitän Darwin Ferney Pantoja zu tun, sieben Monate jünger als er, aber bereits Gewinner der Vuelta del Futuro 2007, einem nationalen Etappenrennen für 15- und 16-Jährige.

      Im windigen Eröffnungszeitfahren wurde Nairo nur Sechster. Auf der zweiten Etappe belegte er Platz zwei hinter Pantoja, der mit 37 Sekunden Vorsprung das Trikot des Gesamtführenden übernahm. Die letzte Etappe, von Moniquirá nach Tunja, umfasste den Anstieg, den Nairo jeden Tag nach der Schule bewältigte. Er attackierte gleich zu Beginn der Steigung und hängte Pantoja ab. In Vereda La Concepción warf seine Mutter Eloísa Rosenblätter vor ihm auf die Straße, als er vorbeifuhr. Rusbel Achagua hielt das Geschehen vom Fahrersitz eines roten Chevrolet Jimny aus, der dem Büro des Bürgermeisters gehörte, per Videokamera für die Nachwelt fest, während der ergriffene Don Luís tränenüberströmt aus dem offenen Fenster lehnte und seinen Sohn mit »Auf geht’s, mi chinito. Gut so, mi negrito« anfeuerte. Nairo gewann die Etappe mit fast zwei Minuten Vorsprung.

      Als

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