Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

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Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell

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y allá abajo en aquel otro,

       se ríen la gallinas de ver

       el gallo en peloto.

      (Auf diesem Gipfel da oben

      und auf dem anderen da unten

      lachen sich die Hennen eins,

      den Hahn splitternackt zu sehen.)

      »Die anderen Kinder lachten. Dann ging eine weitere Hand hoch und noch eine. Bald hatten alle die Hände gehoben.«

      Ihren Enthusiasmus entfacht, prahlten sie: »Mein Vater kennt tausend coplas«, »Meine Mutter kennt zweitausend«, und das Eis war gebrochen.

      Als Format für bisweilen derben Humor dienen coplas außerdem als eine Art Bibliothek des Bauerntums in Boyacá. Traditionelle Formen des Wissens wie beispielsweise die Verwendung von Heilpflanzen werden nicht in Büchern bewahrt, sondern in coplas. Sie bildeten einen Teil von Nairos Erziehung und verschaffen uns eine gewisse Vorstellung von seinem Innenleben.

      »Ich mochte Gedichte und coplas, seit ich sehr klein war. Ich dachte mir kleine gereimte Sprüche aus. Manchmal mache ich das heute noch«, erzählte er mir.

      Doch als ich ihn und seinen Bruder Alfredo bat, einige für mich vorzutragen, lehnten sie ab. Erst später wurde mir klar, dass ich sie gebeten hatte, die Welt ihrer Kindheit, die ihnen ihre Identitäten vermittelt hatte, als eine Art Performance aufzuführen.

      Aus den gesammelten medizinischen coplas ihrer Schüler erfuhr Elba Rosa Camargo, dass ein großer Teil der Vegetation rund um Sote Panelas für traditionelle Behandlungen genutzt wird. »Den Arzt suchen sie nur auf, wenn es nicht gelungen ist, die Krankheit mit ihrer eigenen Medizin zu heilen.«

      Aber Luís Quintana, Nairos Vater, litt seit seiner Kindheit unter eingeschränkter Mobilität und war deshalb gezwungen, regelmäßig das Krankenhaus aufzusuchen.

      Nairo erklärte: »Als er sieben war, wurde mein Vater von einem Auto angefahren und brach sich die Beine und die Hüfte. Sein Vater war bei der Armee, also brachte man ihn in ein Militär-Krankenhaus. Die Operation verlief nicht gut und er trug zu lange einen Gips. Da er noch im Wachstum war, verkümmerte ein Fuß. Dann hatte er beim Spielen in der Schule einen weiteren Unfall und trug erneut Brüche davon. Seitdem geht er auf Krücken und lebt mit Schmerzen.«

      »Sie wollten sein schlimmes Bein amputieren«, erinnerte sich Nairos Bruder Alfredo. »Meine Mutter und mein Onkel begleiteten ihn ins Krankenhaus und der Arzt erläuterte seine Beweggründe, aber die Familie wollte es nicht zulassen.«

      Nach der Grundschule in Vereda San Rafael gingen Alfredo und Esperanza auf das Colegio Normal in Tunja. Als aber Leidy als drittes der Geschwister so weit war, versetzt zu werden, fehlte es an einer einfachen Möglichkeit, zur Schule in Tunja zu gelangen. Stattdessen gab es eine direkte Busverbindung zur Institución Educativa Técnica Alejandro de Humboldt im Dorf Arcabuco, 16,5 Kilometer bergab von Vereda La Concepción, also ging Leidy dorthin und ihre jüngeren Brüder folgten.

      Die Finanzen der Familie schwankten je nach Lage der ländlichen Wirtschaft und aus dem Kredit, den sie ihren Kunden in guten Jahren einräumten, wurden Schulden, wenn die Zeiten schlechter wurden. Eine dieser Krisen stellte sich ein, kurz nachdem Nairo zur Oberschule gewechselt war.

      »Wir waren Kleinerzeuger, aber die ländliche Wirtschaft steckte in der Krise«, erzählte er mir. »Diverse Schädlinge hatten sich breitgemacht und das Land, das wir landwirtschaftlich nutzbar gemacht hatten, wurde enteignet. Wir gaben die Landwirtschaft auf und von da an bauten wir Lebensmittel nur noch für uns selbst an.«

      Die Kindergärtnerin Isabel Monroy erinnert sich, wie Nairos Mutter eines Morgens am Tag eines Schulausflugs an die Tür klopfte: »Sie sagte: ›Señora Chavita, sie haben nicht zufällig die Schuhe von einem unserer Jungs da? Sie holen Nairo ab und ich habe keine Schuhe für ihn.‹«

      Die Quintanas reagierten auf die ländliche Krise, indem sie unermüdlich ihre Runden über die umliegenden Märkte machten. Nairos Wochenprogramm in seinen ersten beiden Jahren an der Humboldt-Schule in Arcabuco, als er 12 und 13 war, macht einen schon fertig, wenn man nur darüber nachdenkt:

      Am späten Montagabend fingen wir an, den Laster zu beladen. Um drei Uhr morgens mussten wir am Großmarkt in Tunja sein, um Obst und Gemüse zu kaufen. Ich kam heim vom Einladen und hatte eine Stunde Zeit, mich zu waschen und fertig zu machen, bevor ich mich auf den Weg zur Schule machte. Gegen Mittag war ich mit dem Unterricht fertig, traf mich mit meinem Vater auf dem Markt und aß am Stand. Bis 22 Uhr mussten wir abgebaut haben und aufbrechen, denn es gab einen anderen Markt in Moniquirá, was bedeutete, wieder um drei Uhr aufzubrechen, um Nachschub zu holen.

      Ich nahm den Bus nach Arcabuco, ging zur Schule, nahm den Bus zurück und arbeitete bis elf Uhr abends, wobei es auch vorkam, dass wir nicht vor vier Uhr morgens wieder daheim waren. Um sechs musste ich bereit sein für die Schule. Donnerstags arbeiteten wir nicht, aber wir standen freitags früh auf und fuhren zum Markt in Tunja, danach ging es zur Schule, mittags zurück, anschließend hart arbeiten bis acht oder neun und nach Hause um zehn. Wenn in Barbosa kein Markt war, hatten wir samstags frei, aber am Sonntag standen wir wieder auf dem Markt in Tunja.

      Nairo arrangierte sorgfältig das Obst und Gemüse, um den Stand so einladend wie möglich zu gestalten, dann machte er sich auf und lieferte Bestellungen aus. Wenn der Markt schloss, zog er mit den unverkauften Waren durch die Gassen und verkaufte sie zum günstigen Preis.

      Die Welt ruraler Stille, von der Elba Rosa Camargo gesprochen hatte, war eine, der die Quintanas sowohl angehörten als auch eben nicht angehörten. Sie lebten in einer Gemeinschaft, in der alte Sitten wie die Verwendung von Heilpflanzen und kulturgebundene Syndrome wie die Erklärung für Nairos Kindheitsleiden noch relativ intakt waren, gleichzeitig aber lebten sie an der Hauptstraße, trieben Handel mit durchreisenden Autofahrern und fuhren zu Märkten in umliegenden Städten und Dörfern, denen sie Lebensmittel, Salz, Zucker, Neuigkeiten und Gesprächsstoff brachten. Das verschaffte ihnen einen gewissen Status. Zwar war es weiterhin schwierig, dem jungen Nairo ein Wort zu entlocken, aber die besondere Position seiner Familie als Mittler verschaffte ihm möglicherweise die Überzeugung, die nötig war, um das Lebensprojekt seiner Wahl zu verfolgen.

      Unterdessen brachte Alfredo sich selbst das Autofahren bei und trug zur Familienkasse bei, indem er nach Anbruch der Dunkelheit Taxi fuhr, wenn die Polizei nicht sehen konnte, dass er noch minderjährig war. Nairo, kaum älter als zehn, aber aufgeweckt und pfiffig, leistete ihm Gesellschaft und beriet ihn in der Frage, wen er befördern sollte und wen besser nicht. Dann begann Nairo, sich selbst Arbeit zu suchen: Einmal arbeitete er mit Dayer an einer Tankstelle. Ein anderes Mal sammelten die beiden Altmetall. Und sie fanden andere Wege zu sparen: Zu Weihnachten stellten sie Geschenke her, indem sie Plastikabfälle einschmolzen und in Formen gossen.

      Rückblickend erkennt Nairo, dass es keine einfache Kindheit war. »Dayer und ich hatten das Glück, eine gute Schule zu besuchen und unseren Abschluss zu machen. Viele Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen und von klein auf hart arbeiten müssen, fangen an zu trinken oder stürzen auf andere Weise ab.«

      Aber irgendwie brachten die Quintana-Kinder die mentalen Ressourcen auf, ihre Lage zu meistern. Insbesondere Nairo besaß eine Art Genie: ein strukturiertes Innenleben, das es ihm, kaum auf der Oberschule, gestattete, in seiner Familie beinahe das Kommando zu übernehmen und seinen inneren Antrieb und seine Zielstrebigkeit auf sie zu

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