Colombia Es Pasión!. Matt Rendell

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Colombia Es Pasión! - Matt  Rendell

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      Das Dorf legte zusammen, um seine angehenden Radsportler zu unterstützen. Héctor Garabito erzählte mir: »Wir alle spendeten kleine Summen. Alle Ladeninhaber und kleinen Geschäfte. Der lokale Radiosender, Radio Estéreo, richtete Rennen aus und sammelte Geld für Wettkampf-Spesen und Fahrradteile. Cayetano Sarmiento bestritt die Volta a Colombia der Junioren mit Radkomponenten, die Radio Estéreo gespendet hatte, und mit Laufrädern, die von [nationalen Rad-]Teams wie UNE und Colombia Es Pasión gestiftet wurden. Anschließend wurden die Teile an Nairo und Dayer weitergegeben.«

      Nairo begann, alle paar Wochen Dorfrennen zu bestreiten. Maribel Malagón kramte einen Plastik-Pokal hervor und stellte ihn in ihrem Laden auf den Tresen. Er ist beschriftet mit 1ra Copa Ciclo Mtañismo MONIQUIRÁ 2/05 – 06 (»1. Mountainbike-Cup MONIQUIRÁ 2. Mai 2006«).

      »Es war sein erster Sieg. Nairo schenkte ihn Raul als eine Art, um Danke zu sagen.«

      Der älteste Sohn in bäuerlichen Familien hatte wichtigere Dinge zu tun, als Fahrrad zu fahren. Am 24. November 2003 – ein Datum, das fest in sein Gedächtnis eingebrannt ist – folgte Alfredo Quintana auf den Spuren seines Großvaters und betrat den traditionellen Karrierepfad für die Söhne der Armen: Er rückte ein. Ein verheißungsvoller Moment für die kolumbianischen Streitkräfte.

      Mitte der 1990er Jahre waren 60 Prozent der kolumbianischen Armeeangehörigen zwangsverpflichtete Schulabgänger und die militärische Ausrüstung beschränkte sich auf das Nötigste. Truppen zu verstärken, die in isolierten Gebieten von der FARC angegriffen wurden, war so gut wie unmöglich. Die Armee verlangte Black-Hawk-Hubschrauber, aber unter dem in Ungnade gefallenen Präsidenten Samper blieb ihr der Zugriff auf US-Militärtechnik verwehrt. Als Ernesto Samper im Jahr 1998 vom Harvard-Absolventen Andrés Pastrana als Präsident des Landes abgelöst wurde, regte dieser eine ambitionierte, international finanzierte Initiative nach Vorbild des Marshallplans für Kolumbien an. Unter Präsident Clinton verdoppelten die USA ihre Hilfe auf 280 Millionen US-Dollar. Im August 1998, eine Woche nach Pastranas Amtsantritt, erwarb die kolumbianische Armee den ersten von 14 Black Hawks. Die Streitkräfte begannen, Wehrpflichtige durch Berufssoldaten zu ersetzen, ihre Geheimdienste zu verbessern und Offiziere mit Kontakten zu Paramilitärs aus ihren Reihen zu entfernen.

      Pastranas zwei Kernstrategien waren geteilte Verantwortung zwischen produzierenden und konsumierenden Ländern im Kampf gegen die Drogen und Friedensverhandlungen mit der FARC. Die FARC, deren Kassen aus Drogenerlösen reich gefüllt waren, hegte allerdings kein dringendes Bedürfnis nach Frieden und forderte als eine Vorbedingung für Gespräche einen sicheren Rückzugsort größer als die Schweiz. Erstaunlicherweise willigte Pastrana ein. Am 7. Januar 1999 aber, dem Tag, für den der Beginn der Gespräche vereinbart worden war, tauchte der altgediente FARC-Anführer Manuel Marulanda nicht auf, sodass Pastrana neben einem leeren Stuhl für die Fotografen posierte. Als die Verhandlungen schließlich aufgenommen wurden, machte die FARC weiter damit, zu entführen, zu morden, Landebahnen anzulegen und Koka anzubauen.

      Am 20. Februar 2002 zwangen Entführer aus Reihen der FARC einen Linienflug zur Landung in der Nähe der entmilitarisierten Zone und kidnappten einen der Passagiere, den Vorsitzenden der Friedenskommission des kolumbianischen Senats. Pastrana brach die Verhandlungen ab, entsandte 13.000 Soldaten, um die EMZ wiedereinzunehmen, und setzte einen geharnischten offenen Brief an Marulanda auf, der mit den Worten begann: »Ich gab Ihnen mein Wort und hielt es bis zum Schluss, aber Sie haben meine Gutwilligkeit und die aller Kolumbianer missbraucht…«

      Die FARC reagierte mit der Entführung der Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und deren Wahlkampfleiterin Clara Rojas. Sie bombardierten Ölpipelines, Strommasten und Wasseraufbereitungsanlagen, ermordeten den Erzbischof von Cali, entführten zwölf Abgeordnete der Provinz El Valle del Cauca und, am schlimmsten, feuerten während einer Schießerei in einem winzigen Dorf nahe der Pazifikküste namens Bojayá eine Gasflaschen-Bombe auf eine Kirche, die 117 Menschen, darunter 48 Kinder, in den Tod riss.

      Bis zu diesem Ausbruch der Gewalt wurden dem Hardliner Álvaro Uribe, dessen Vater von der FARC ermordet worden war, kaum Chancen eingeräumt, das zukünftige Staatsoberhaupt zu werden. Uribe, Oxford-Absolvent, früherer Bürgermeister der Stadt Medellín und Gouverneur der umliegenden Provinz Antioquia sowie im Verdacht stehend, gewissen paramilitärischen Gruppen und deren Anführern nahezustehen, hatte die Liberale Partei verlassen, um sich um die Präsidentschaft zu bewerben. Die beiden letzten namhaften Kandidaten, die das Gleiche getan hatten, Jorge Eliécer Gaitán in den 1940er Jahren und Luis Carlos Galán in den 1980er Jahren, waren beide ermordet worden.

      Doch bei den Wahlen im Mai 2002 wurde Uribe von einer Welle öffentlicher Empörung an die Macht gespült. Am Tag seiner Amtseinsetzung im August feuerte die FARC Mörsergranaten auf die Präsidentengarde und zündete in der Nähe des Präsidentenpalastes eine Bombe, die 17 Menschen tötete.

      Uribe machte sich daran, Streitkräfte und Polizei zu verstärken, die Paramilitärs aufzulösen und den Guerillas den Krieg zu erklären. Bald war Alfredo Quintana mit den Spezialeinheiten in die schlimmsten Kämpfe verwickelt. Durch das Geld, das er nach Hause schickte, leistete auch die Erhöhung des kolumbianischen Militärhaushalts einen kleinen Beitrag zu Nairos früher Radsportkarriere.

      Die vielen Beziehungen, die Nairo aufbaute, während er seinen Weg von lokalen Dorfrennen zu nationalen und internationalen Wettkämpfen machte, sind heute so stark wie eh und je.

      In einem unserer Interviews merkte ich an: »Nairo, du bist wie Amerika. Es gibt so viele Leute, die behaupten, dich entdeckt zu haben.«

      Er antwortete schlicht: »Es waren viele Menschen daran beteiligt.«

      Zum Beispiel Rusbel Achagua. Achagua ist ein weiterer Name mit indigenen Wurzeln: Kleine Achagua-Gemeinschaften überdauern bis heute in Reservaten in der Provinz Casanare. Aber Rusbel kam gebürtig aus Arcabuco und wurde, als Sportkoordinator unter Bürgermeister Silva, ein fester Bestandteil in Nairos unermüdlichem Programm aus Arbeit, Schule und Rennen.

      »Wir unterstützen ihn, wie wir nur konnten«, erzählte mir Rusbel. »Wir schickten ihn ins Schwimmbad und ins Fitnessstudio. An manchen Tagen, wenn er vom Einbruch der Dunkelheit überrascht wurde, übernachtete er bei uns in Arcabuco. Auf dem Rad war er sofort zu erkennen. Sein Oberkörper war absolut unbewegt und man konnte an seiner Miene nicht ablesen, ob es gut oder schlecht lief.«

      Nairo war für seine Schweigsamkeit bekannt, doch als er mit 15 anfing, Rennen zu bestreiten, hatte er einen Aufruf perfektioniert, mit dem er morgens vor den Wettkämpfen in Geschäften, Bäckereien und Cafés vor Ort um finanzielle Unterstützung warb.

      »Señores y señoras, buenos días. Wir sind wegen des Radrennens hier im Dorf. Wir haben gute Chancen zu gewinnen. Wir sind mit dem Bus aus Arcabuco gekommen, die Startgebühr beträgt 10.000 Pesos und wir müssen etwas essen, Sie können uns deshalb mit 20.000 Pesos sponsern und, falls wir gewinnen, werden wir Sie auf dem Podium im Interview fürs Radio erwähnen. Muchas gracias

      Die Antwort lautete entweder »Nein, danke« oder »Hier nimm, chinito« – ein Kosewort, das Kolumbianer im Gespräch mit Kindern verwenden (in etwa »mein kleiner Chinese«) – »jetzt geh und gewinne dein Rennen, hörst du?« Und beim Einschreiben hieß es dann: »Nairo Quintana, Bäckerei so-und-so.«

      Doch wie Nairo betont, hatte er selbst zu diesem Zeitpunkt in seinem Leben keine Ahnung, dass so etwas wie professioneller Radsport und die Tour de France überhaupt existierten. Seine Heimatprovinz Boyacá hatte Dutzende Radprofis hervorgebracht. Zwei von ihnen – Fabio Parra aus Sogamoso, 75 Kilometer entfernt von Nairos Zuhause

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