Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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stieg, erhob er ein Geschrei und fühlte sich unter dem himmlischen Spezialschutz nicht mehr behaglich. In den Labyrinthen seiner Seele hat alles Gut und Böse Platz, alles Nein und Ja, alles Fromme und Verruchte, aber zur Vollendung gedeiht nichts.

      Die Insel Española, später San Domingo genannt, spielte im letzten Jahrfünft des fünfzehnten Jahrhunderts ungefähr dieselbe Rolle wie Kalifornien in der Mitte des neunzehnten und Alaska am Anfang des zwanzigsten. Europa schüttete seinen Menschenabschaum über das unglückliche Land, Tausende von Gescheiterten, Geächteten und um des Goldes willen zu jeder Schandtat Entschlossenen. Die Propaganda des Admirals hatte ausreichende Wirkung getan. Der Umstand, daß er bei der dritten Reise keine geschulte Bemannung hatte finden können, darf nicht glauben lassen, die Gold-und Glücksjäger seien abgeschreckt gewesen durch ihre enttäuschten Vorgänger. Der Grund war einfach der, daß diese Leute auf eigene Faust handeln und sich nicht der Disziplin auf einer königlichen Flotte unterwerfen wollten. Da aber in dieser Hinsicht ein strenges Verbot ergangen war, mit Verboten war man in Spanien ebenso verschwenderisch wie im wilhelminischen Deutschland, liefen zahllose Schiffe heimlich aus den heimatlichen Häfen und setzten ihre Passagiere heimlich an der unbewohnten Küste von Española ab. Diese obdach-und mittellosen Auswanderer durchzogen einzeln und in Scharen die Insel, sie verbreiteten Schrecken, wo sie sich blicken ließen, Mord, Raub und Brandschatzung waren an der Tagesordnung. Manche hatten nichts auf die Reise mitgenommen als einen Lederbeutel mit Reis und Mehl, einen Spaten und eine Schaufel. Sie dachten, wenn sie ein wenig in der Erde gruben, müßten sie gleich auf blankes Gold stoßen, und wenn sich ihre Erwartung nicht erfüllte und sie in die ärgste Drangsal gerieten, rächten sie sich dafür an den Indios, überfielen deren Dörfer, machten alles nieder, was ihnen unters Schwert kam, und an den Gefangenen verübten sie, ganz nach dem Beispiel der regulären Soldateska, jede Art von Erpressung. Bald wurden ihre Reihen durch zahllose Überläufer aus dieser sogenannten regulären Truppe vermehrt, denn die Unzufriedenheit mit der Regierung der Brüder Colón war beständig im Wachsen. Der gewalttätige und grausame Bartolomé, dem während der zweieinhalbjährigen Abwesenheit des Admirals die Statthalterschaft übertragen war, hatte ununterbrochen gegen die tückischen Verschwörungen zu kämpfen, die gelegentlich, wenn es sich um den Besitz der Goldfelder handelte, in blutige Schlachten ausarteten.

      Bartolomé Colón, kurz der Adelantado geheißen, war in keiner beneidenswerten Lage. Nicht bloß mußte er gegen die aufständischen Spanier Krieg führen, sondern auch die im Glauben an die Himmelssöhne völlig erschütterten, in ihrer Existenz bedrohten und langsam zu gefährlichem Widerstand rüstenden Indios zur Botmäßigkeit zwingen. Er hatte kein Geld und sollte Beamtenlöhne, Söldnerlöhne, Arbeitslöhne auszahlen und die in heillose Unordnung geratene Verwaltung regeln. Das spanische Schatzamt verweigerte ihm jede Unterstützung, es forderte mit Recht, daß die Kolonie sich selbst erhalte. Um dies nur einigermaßen zu ermöglichen, mußten die eingeborenen Stämme in Tribut gesetzt werden, was zu täglichen Zwangsmaßnahmen und damit zu den schlimmsten Ausschreitungen führte, zuerst gegen den Kaziken Guarionex in der Vega real, dann gegen den Häuptling Behechio und seine schöne Schwester Anacaona, die Witwe des in Sklaverei verschleppten Caonabo, die eine Frau von Format gewesen zu sein scheint, stolz, wild und klug, und unter den Spaniern eine sagenhafte Berühmtheit genoß.

      Bartolomés Heer, wenn man eine zuchtlose Ansammlung von Strauchrittern als Heer bezeichnen will, ließ es an kriegerischem Aufzug mit wiehernden Pferden, bellenden Meuten, fliegenden Fahnen und schmetternden Trompeten nicht fehlen, es hatte übrigens den Vorteil, daß es im Rücken durch fünf oder sechs befestigte Forts gedeckt war, die der Adelantado nach und nach hatte erbauen lassen, um die Stämme in Furcht zu halten. In Ansehung des beabsichtigten Zwecks war die pomphafte Entfaltung umsonst: Gold war nicht vorhanden. Man mußte froh sein, daß der Tribut in Form von Mais, Baumwolle und Kassavebrot entrichtet wurde. Die Soldaten und Matrosen wollten sich aber keineswegs damit begnügen, sie argwöhnten, die Indios hätten das Gold beiseitegeschafft und bedrängten den Adelantado mit so wütendem Ungestüm, daß er sich nicht anders helfen konnte, als indem er ihnen erlaubte, eine Treibjagd auf die Indios zu veranstalten: feste Einrichtung bereits, beliebtes Volksspiel, Erinnerung an die heimische Corrida und das tausendstimmige Geheul: Mata le! mata le! bevor der Stier niederbricht und verendet.

      Das ist nur ein beispielhafter Ablauf unter unzähligen gleichen. Hinzu kamen die frommen Kreuzzüge der Mönche, unter denen sich der Eremit Roman Pane und der Franziskaner Juan Borgognon durch ihre Bekehrungswut besonders hervortaten. Im allgemeinen waren sie, der Zeitersparnis halber, auf Massenproduktion bedacht. Sie sangen den erstaunten Indios lateinische Litaneien und Messen vor, und wenn einer das viele Male gehörte Paternoster und Ave Maria papageienhaft nachplapperte, wurde ihm schnell eine Kanne Wasser über den Kopf gegossen, und die Taufe des neuen Christen war vollzogen. In ähnlicher Weise hatte Roman Pane einen geachteten Indio der Königsebene, in dessen Haus er sich einquartiert hatte, mit seinen Frauen, Kindern, Brüdern und Schwestern, insgesamt sechzehn Seelen, der heiligen Kirche zugeführt, und durch ihn an Guarionex empfohlen, schien er mit dessen Bekehrung anfänglich Erfolg zu haben; der Kazik war ihm sogar beim Bau einer Kapelle behilflich. Als aber Guarionex von der Willkür und Ungebühr vernahm, die sich die Patres zuschulden kommen ließen, verbot er ihnen ihre weitere Tätigkeit und jagte sie aus seinem Gebiet. Kaum hatten sie sich entfernt, so drangen die Dorfbewohner in die Kapelle, zerschlugen den Altar, zerstörten die Bilder und Reliquien und vernichteten jede Spur des kleinen Gotteshauses. Als die Mönche davon Nachricht erhielten, klagten sie die Indios jenes Stammes des Kirchenraubes, der Heiligenschändung und der Gotteslästerung an. Der Adelantado, aus Furcht, von den fanatischen Priestern, wenn er ihnen nicht willfahrte, bei der Inquisition denunziert zu werden, genehmigte die Einsetzung eines Ketzergerichtes, anders läßt sich seine Zustimmung nicht erklären, denn er mußte ja sehen, daß er die Indios durch solche blutrünstige Akte geradewegs in die Verzweiflung trieb. Es zeigte sich eben, daß bei dem ganzen Vorgang von Vernichtung und Despotie auch die starken Charaktere wie Marionetten funktionierten. Etwas Infernalisches war in ihnen und würgte ab, was sie noch an Anstand, Besonnenheit und Menschlichkeit besaßen. Die angeklagten Indios wurden nach streng vorgeschriebener Form rechtens vor das Gericht gestellt, ohne Dolmetscher in spanischer Sprache befragt, die sie nicht verstanden, über Dinge verhört, die ihnen unerklärlich waren, und um sie zu einem Geständnis zu bringen, das ebenfalls unverstanden bleiben mußte, wurde eine Tortur angewendet, die mit neuen, in Espanola selbst von etlichen werktätigen Katholiken erfundenen Instrumenten arbeitete. Dann wurden sie zum Feuertod verurteilt und auf offenem Platz verbrannt, das erste Autodafé in der neuentdeckten Welt. Kurz darauf begab sich ein Mirakel. Man fand die von den Indios geraubten Reliquien dadurch wieder, daß man aus einem dem Ort der Untat nahgelegenen Feld Rüben aus der Erde zog, aber diese Erdfrüchte hatten nicht die gewöhnliche Gestalt von Rüben, sondern waren in Kreuzesform gewachsen.

      Das war alles nur düsteres Vorspiel.

      Um jene Indios, die die gesetzlich bestimmte Abgabe an Gold, oder in goldlosen Distrikten an Baumwolle (vierteljährlich eine Arroba, etwa 24 Pfund), entrichtet hatten, vor unbilligen Mehrforderungen zu schützen, hatte der Admiral vor seiner Abreise angeordnet, daß sie als Quittung eine Messingplakette am Hals tragen sollten, so wie bei uns die Hunde mit Steuermarken herumlaufen. Das hielt jedoch die Bedrücker nicht ab, den Tribut nach eigenem Ermessen hinaufzuschrauben, und wenn er nicht voll bezahlt werden konnte, hatten sie Ermächtigung, eine entsprechende Leistung an Feldarbeit zu verlangen, was nichts anderes hieß als Sklaverei. Zu diesem Zweck hatte sich Columbus, um es mit keiner Partei zu verderben, beraten von den Nutznießern, von der Königin Freibriefe zur Landverteilung geben lassen. Diese sogenannten Repartimientos waren nicht nur die Veranlassung zu erbitterten Kämpfen und langwierigen Prozessen unter den Kolonisten, sondern sie ließen auch den Indios keinen andern Ausweg als den Krieg bis aufs Messer, da ihnen durch einen bloßen Federstrich ihr Ackerland, ihre Weiden, ihre Gärten einfach weggenommen wurden, so daß der gestern noch Wohlhabende heute als Bettler Haus und Hof verlassen mußte. Der Haß gegen die Fronherren und die Sehnsucht nach Befreiung von dem unerträglichen Joch vereinigte selbst jene Stämme, die seit Jahrhunderten in Fehde lebten. Als der Adelantado einen Indio, den er als Dolmetscher und Wegweiser benutzte, an den Kaziken Mayobane abschickte mit der Aufforderung, er solle ihm, da er doch stets ein

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