Der Vorhang. Beatrix Langner

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Der Vorhang - Beatrix Langner

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      BEATRIX LANGNER

       DER VORHANG

       Eine (beinahe) wahre Geschichte

      Roman

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      Die Zeit ist, was ihr seid, und ihr seid, was die Zeit, nur dass ihr wen’ger noch, als was die Zeit ist, seid.

      Paul Fleming

      wol, der das vergessen doch sehen und klagen kan, unselig aber, die auch das vergessen noch dazu vergessen.

      Martin Luther

      Wenn das triste Rinnsal an den feindlich-grauen Abhängen bis unten hin geflossen ist, kommt es bei einem Sumpf an, der hat den traurigen Namen Styx.

      Dante, La Commedia

      Ohne eine Ewigkeit, ohne einen feinfühligen und geheimen Spiegel, der auffängt, was je durch die Seele ging, ist die Weltgeschichte verlorene Zeit und in ihr unsere persönliche Geschichte – wodurch wir auf unbehagliche Art zu Gespenstern werden.

      Jorge Luis Borges, Die Geschichte der Ewigkeit

       Inhalt

      Die Winterreise // Mutterkind Das Loch // Wabi-Sabi // Störungszone Familienalbum // Finis Germaniae Die Legende vom Nachkrieg // Der Vorhang Das geteilte Kind // Neue Leben Die unheilige Familie // Penelope 1957 Das Gedächtnis der Dinge // Gespenster Das Wäldchen // Das elfte Gebot Die Erinnerungen der Anderen // Das Gedächtnis der Bäume // Der Krieg um den Wald Schwarze Spiegel // Missglückte Heimat Das verschwundene Bergwerk

       Die Winterreise

      Unersättlich der Schlund, der an der Erde saugt; wie ein urzeitliches Insekt gräbt sich der Bagger in ihren Leib. Die Wunde. Das Loch. Es hat Dörfer verschluckt, jetzt frisst es sich an die Städte heran, auf Raupen bewegt es sich, es knabbert schabt scharrt, es schlägt seine Schaufelzähne knirschend durch Ton Schiefer Sand, seine Augen glühen weiß in der Dämmerung, träge wie ein Ozeanschiff in der Wüste bewegt es sich voran, Immerath schon verschwunden, Morschenich, Etzweiler, Kuckum, in Manheim schleicht eine magere Katze über den Schotter, Wind raschelt im Gesträuch, eingeschlagene Fenster, schiefe Türen, zerschlitzte Dachrinnen, Tapetenmuster und BRAVO-Poster halten noch die Wände der Häuser zusammen, in denen Menschen gewohnt haben, bevor eine Macht, unsichtbar wie Strahlung, sie aus ihren Dörfern vertrieben hat und aus ihren Häusern und Höfen und Gemüsegärten, Feuerwehrschuppen, Kirche, Friedhofskapelle, Schützenverein, alles weg, sogar die Toten mussten umziehn mitsamt ihrer Mitwohnerschaft aus fettem Gewürm, aber bevor die Dörfer sterben, verschwinden die Kinder von den Dorfstraßen, Schulen werden geschlossen, Buslinien eingestellt, dann kommen die Konzernvertreter mit ihren Aktentaschen, aus denen sie Kaufverträge ziehen, und erst Jahre danach erscheinen am Dorfrand die ersten Maschinen, größer als Ozeanschiffe und höher als der Immerather Dom, und der Wind ist dann schwer von Staub, der über die aufgelassenen Scheunen und Ställe und Äcker bläst und die dünne Lößschicht davonträgt, bis das Land nackt und leer unter der brennenden Sonne glüht, wo nichts lebt als streunende Katzen, die von barmherzigen Händen gefüttert werden. Das ist wie im Krieg, sagen die Bewohner der Bucht, das ist der Krieg der Industrien gegen die Stille in den Höfen.

      Weißt du noch, sage ich, das war in diesem heißen Sommer, du hattest das Sommerkleid mit den großen schwarzen Knöpfen an, schäumend schoss die Kall, oder war es die Rur, zwischen den dicht bewachsenen Ufern, das Wasser sprang über große Steine, immer schneller, immer lauter schwoll das Rauschen bis zu einem bedrohlichen Brüllen, du bist in deinen Badeanzug gestiegen, hast dir die Locken unter die Gummibadekappe gestrichen, die mit kleinen weißen Gummiröschen verziert war, und mit gestreckten Zehen den Ufergrund abgetastet, ich sehe dich vor mir, wie du einen Fuß vor den andern gesetzt und dabei so komisch mit den Armen gerudert hast, um nicht auf den glitschigen Steinen das Gleichgewicht zu verlieren, dann bist du in die Knie gegangen, hast die Arme mit zusammengelegten Handflächen nach vorn gestreckt und dich sacht in die reißende Strömung gelegt. Ich wandte mich ab und spielte mit dem Hund, wir wälzten uns im Gras, bis ich aus weiter Ferne undeutliche Rufe hörte. Die Strömung hatte dich schon weit weggerissen, ich rannte am Ufer entlang, deine Badekappe hüpfte auf und ab wie ein Ball in dem strudelnden Wasser, der Hund bellte aufgeregt, du warfst die Arme hoch, um dich dem eisernen Griff der Strömung zu entwinden, ich winkte und schrie gegen das Brüllen des Flusses an, Ufergesträuch zerkratzte mir die Arme, da erschien neben dir etwas Dunkles, die Schnauze steil aufgereckt, paddelte der Hund mit allen Kräften dem Ufer entgegen, du hast dich an seinem Halsband festgehalten und ziehen lassen, bis du wieder stehen konntest, und bist hustend und keuchend aus dem Wasser gestiegen, dein Haar klebte am Kopf, der Hund brach mit großen Sprüngen durch das hohe Gras, umkreiste uns bellend, schüttelte das Wasser aus dem Fell, setzte sich auf die Hinterbeine und sah uns aus bernsteinfarbenen Augen erwartungsvoll an.

      An diesem Tag lernte ich ein neues Wort. Lebensgefahr.

      Durch die Fenster flutet Nachmittagssonne, dein zimtfarbenes Haar schimmert im Gegenlicht, Schneelicht, Winterlicht. Im Radio summt leise klassische Musik, du sitzt im Sessel, den Kopf angelehnt, die Lider halb geschlossen, die weiße Stirn faltenlos, Porzellanhaut. Ein Schmetterling, eingepuppt in die Hülle einer Greisin, so sitzt du da, die kleinen Hände im Schoß gefaltet. Ich schalte das Radio aus und den Fernseher an. Hallo Deutschland, deine Lieblingssendung.

      Die Vergangenheit ist nicht tot. Sie lächelt mich an. Sie lockt mich, sie schneidet mir Grimassen, sie lallt und flüstert, erinnere dich, stammelt sie, damit du vergessen lernst. Sie gibt mir zu verstehen, dass ich meinen Erinnerungen nicht trauen darf. Es gibt eine Kunst des Vergessens, sagt sie, wie es eine Gedächtniskunst gibt. Du musst nur wollen, du musst dir mehr Mühe geben. Das Gedächtnis arbeitet wie ein Abraumbagger,

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