Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen. Nele Kreyßig

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Warum es Bullshit ist, andere ändern zu wollen - Nele Kreyßig Dein Leben

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      Die Hoffnung stirbt zuletzt: Silvestervorsätze.

      Dabei ist es eigentlich erstaunlich, dass wir uns immer wieder wünschen, unser Partner oder Nachbar, die Chefin oder der Kollege würden sich ändern. Wieso sind wir da eigentlich so optimistisch, obwohl wir selbst oft genug an unseren eigenen Änderungsvorsätzen scheitern? Schließlich sind spätestens im Februar jedes Jahres Millionen von Silvestervorsätzen Geschichte, meistens auch unsere eigenen. Und das, obwohl es oft »nur« darum geht, ein paar Kilo abzunehmen, öfter Sport zu treiben oder etwas weniger Alkohol zu trinken. Wenn wir es selbst nicht schaffen, unser Verhalten in derart überschaubaren Grenzen zu ändern, wieso erwarten wir dann, andere würden es tun – und das auch noch uns zuliebe? Der Verdacht liegt nahe, dass wir zufriedener wären, wenn wir uns von dieser Illusion verabschieden.

       »Du bist ja total Neunziger!«

       Warum wir ständig werten und woher unsere Urteile stammen

      Vereinfacht gesagt, beruhen unsere Änderungsansprüche auf der Vorstellung, dass wir selbst zu wissen glauben, wie es »richtig« ist. Wir bewerten die Welt um uns herum, stellen fest, dass etwas (oder jemand) nicht so ist, wie wir das erwarten, und ziehen daraus den Schluss, der andere solle sich ändern. Es ist schließlich nur zu seinem Besten! Ironisch überspitzt schildern das die Ärzte in ihrem Song »Junge«, der so beginnt:

       »Junge, warum hast du nichts gelernt?

      Guck dir den Dieter an, der hat sogar ein Auto.

       Warum gehst du nicht zu Onkel Werner in die Werkstatt?

      Der gibt dir ’ne Festanstellung, wenn du ihn darum bittest.

       (Refrain) Junge – und wie du wieder aussiehst!

      Löcher in der Hose und ständig dieser Lärm.

       Was sollen die Nachbarn sagen?

      Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte.

       Musst du die denn färben?

       Was sollen die Nachbarn sagen?

       Nie kommst du nach Hause, wir wissen nicht mehr weiter.«

      Das klingt, als ob die Mitglieder der Punk-Band zu Hause einiges zu hören bekommen haben. Aber auch umgekehrt, von Jung zu Alt (oder zumindest Älter), funktioniert die Bewertungskeule. »Das ist ja total Neunziger«, sagte meine damals sechzehnjährige Schwester zu mir, weil ich lieber einmal telefonieren wollte, als WhatsApp-Pingpong zu spielen und Dutzende Nachrichten auszutauschen, um einen simplen Sachverhalt zu klären. Als ich sie nach dem Warum fragte, meinte sie: »Wenn wir schreiben, können wir beide doch erst mal in Ruhe nachdenken, bevor wir antworten.« Kein schlechtes Argument, oder? (Was auch schon wieder eine Wertung ist …) Ob wir wollen oder nicht, wir alle bewerten im Alltag ständig. Wie oft etwa ertappen Sie sich bei Sätzen oder auch Gedanken wie den folgenden:

      •»So ein Idiot (Dummkopf, Blödmann, karrieregeiler Mistkerl, Biest, Miststück …)!«

      •»Wie kann man nur?!«

      •»Also, ich an deiner Stelle würde …«

      •»Du solltest besser … «

      •»Warum machst du nicht einfach …?!«

      •»Du warst ja schon immer … (zögerlich, unvorsichtig, viel zu emotional, viel zu kopfgesteuert usw.)!«

      •»Der oder die sollte sich mal ein Beispiel an … nehmen!«

      •»Das gehört sich nicht!« (»Das macht man nicht!«)

      •»Das ist wieder mal typisch!« oder »… typisch Frau / Mann (Einzelkind / Lehrer / Beamter / Handwerker / Politiker usw.)!«

      •»Alle anderen haben aber …«

      •»Frau Müller meint auch, dass …« »Die Leute reden schon …« (Das ist die beliebte Variante für Konfliktscheue: sich verstecken hinter anderen.)

      •»Du wirst schon sehen, was du davon hast!« »Das wirst du später bereuen.« (= Droh-Variante)

      •»Ich hätte nie gedacht, dass du mir / dir das antust!« (= Variante moralische Erpressung)

      Beim Bewerten sind wir Opfer und Täter zugleich.

      Beim Thema Bewertungen fühlen wir uns meistens als Opfer. Vielleicht leiden Sie noch heute darunter, dass Ihre Eltern meinen, Sie hätten lieber das Jurastudium machen oder einen anderen Mann heiraten sollen, und das bei jedem Familien-Kaffeetrinken spätestens nach 15 Minuten hervorkramen. Oder Sie sind genervt von einer ernährungsbewussten Freundin, die jedes Grillfest mit Vorträgen über Massentierhaltung bereichert, bevor sie ihre Maiskolben auspackt. Dass wir selbst häufig ebenfalls vorschnell werten – sozusagen »Täter« sind –, übersehen wir. Als ich vor einiger Zeit heimlich geheiratet habe, hatte so gut wie jede und jeder in meinem Umfeld eine Meinung dazu. Es gehöre sich nicht, das mache man so nicht und wie ich meinen Freunden / meiner Familie das antun könne. Nur sehr wenige haben mich gefragt, was uns zu dieser Entscheidung bewogen hat, oder uns einfach nur »Alles Gute für die Ehe!« gewünscht. Ich selbst habe mich allerdings wenig später bei ebenso bewertenden Gedanken ertappt, als eine Bekannte ganz traditionell, mit einem Riesenfest, Junggesellinnenabschied, Kutschfahrt und Hochzeitsfotografen geheiratet hat. Das wiederum ist nämlich so gar nicht mein Ding. Wieso fällt es uns so schwer, hinzunehmen, dass andere mitunter anders ticken als wir selbst, und uns mit Urteilen zurückzuhalten? Dass das so ist, zeigt auch das folgende Beispiel aus dem Berufsleben:

      Der nette Herr am Empfang des Unternehmens, in dem ich heute als Beraterin engagiert bin, begrüßt mich höflich, wie gewohnt. Mein Gesprächspartner würde sich allerdings 20 Minuten verspäten. Aber so ist der, das wisse ja jeder hier. Der könne sich nicht organisieren. Oder Prioritäten setzen. »Aber dafür sind Sie ja sicher hier, oder?«, fragt er. Zwinkert mir zu und begrüßt den nächsten Besucher. Mal wieder fällt mir auf, wie leicht es Menschen fällt, über andere zu urteilen und vermeintliche Gründe zu kennen. Mein Gesprächspartner holt mich 27 Minuten nach unserem Termin am Empfang ab, entschuldigt sich und erklärt, seine Frau sei schwanger und er habe sie heute Morgen wegen Schmerzen in die Klinik gebracht. Der Herr am Empfang schaut nun verschämt zu Boden.

      Manchmal liegen wir mit unseren Urteilen ganz schön daneben, weil wir nur einen Ausschnitt kennen, nur Teilinfos haben, aber trotzdem munter draufloswerten. Oder weil wir unsere eigenen Vorstellungen verabsolutieren, die der Betreffende aber nicht teilt (etwa wenn Eltern das Jurastudium zum Nonplusultra erklären oder erwachsene Kinder die Augen rollen, wenn die Eltern zum x-ten Mal in dasselbe »schöne Hotel« auf der Ferieninsel fahren). Das offenbar schwer abstellbare Wertungsbedürfnis, das wir alle mit uns herumtragen, wenn auch in unterschiedlichen Ausprägungen, hat vor allem eine Ursache: Wir blicken durch unsere eigene Brille auf die Welt. Diese Brille wird bestimmt durch unsere Erfahrungen, unsere Erziehung, unsere Vorbilder und unsere genetische Grundausstattung. Wer mit hohem Aktivitätslevel geboren und zu Fleiß und Anstrengung erzogen wurde, hat oft wenig Verständnis für Menschen, die es langsamer angehen

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