Zukunftsbildung. Dietmar Hansch

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Zukunftsbildung - Dietmar Hansch

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Leben ist Ordnung aus dem Chaos, Wachstum ist Ordnungsbildung, Lernen ist Ordnungsbildung. Sinn ist die Schließung einer Ordnung zur guten Gestalt.

      Wir sind zum Kampf um gute Ordnung und Sinn bestimmt – oder sollten wir sagen verurteilt, verdammt? Vielleicht ist Sisyphos das treffendste Bild, das je für das Menschenlos gefunden wurde. Wir spüren, dass der Stein auf den Berg gehört, und ihn im Tal liegen zu sehen, wird uns immer ein blutiger Dorn im Fleische sein. Für viele Menschen wird sich letztendlich dieser Dorn als schmerzlicher erweisen als die Anstrengung, den Stein wieder und wieder hinaufzurollen.

      Und gibt es denn gar keine Chance, dass der Stein einmal oben bleibt? Nun, denkbar wäre das schon. Gray selbst deutet die Voraussetzungen dafür an: „Ein grünes Higtech-Utopia, in dem wenige Menschen im Gleichgewicht mit den anderen Kreaturen des Planeten ein angenehmes Leben führen, ist wissenschaftlich gesehen machbar, vom Wesen des Menschen her gesehen aber unvorstellbar. Falls etwas in dieser Art zustande kommen sollte, dann nicht durch willentliches Handeln des Homo rapiens“ (Gray 2010, S. 196).

      Das „Wesen des Menschen“, seine Gier-Natur ist also der springende Punkt: der Mensch ist kein Homo sapiens, kein vernunftdominierter Mensch, vielmehr ist er im Kern ein Homo rapiens, ein „raffender Primat“.

      Doch kann man an diesem Wesen des Menschen irgendetwas ändern? Geht das nicht gefährlich in die Nähe jener Visionen vom Neuen Menschen, die heute als grauenvoll gescheitert und auf ewig historisch desavouiert gelten? So ist es nicht gemeint. Frühere Revolutionierungsversuche des menschlichen Wesenskerns waren zumeist sehr radikal. Sie gründeten nicht ausreichend in psychologischem und neurowissenschaftlichem Wissen und waren weit davon entfernt, über eine annähernd angemessene und wirksame Methodik zu verfügen. Sie arbeiteten überwiegend mit Druck, Zwang und Strafe, was nur immer stärkeren Gegendruck weckte und schon deshalb scheitern musste.

      Radikale Veränderungen des Menschen sind nicht möglich und nicht notwendig. Kleine äußere Veränderungsanregungen an der richtigen Stelle können eine sich selbst verstärkende Eigendynamik im Inneren auslösen, die am Ende zu einer recht deutlichen Selbstveränderung führt. Mäßige Veränderungen bei einer überkritischen Zahl von Menschen vermögen auf der gesellschaftlichen Ebene selbstverstärkende Eigendynamiken auszulösen, die zu einem qualitativen Sprung führen.

      Grundsätzlich verfügen wir heute über ein adäquateres Wissen in Sachen Bildung und Erziehung als noch vor 50 oder 100 Jahren. Und was vielleicht noch wichtiger ist: wir verfügen heute über einen reichen Erfahrungsschatz der uns hilft, das Gute und Richtige unter den Halden des Unsinns hervorzuwühlen, den die menschliche Geschichte leider auch aufgehäuft hat.

      Dies eröffnet aus meiner Sicht eine kleine, realistische Resthoffnung, dass wir selbst aus eigener bewusster Anstrengung heraus zur Schaffung eines „grünen Utopia“ fähig sind.

      Aber bevor wir näher schauen, wie das vielleicht gelingen könnte, sei Ihnen noch einmal die Lektüre von Grays Buch empfohlen: Schauen Sie hinein in den Schwarzen Spiegel, den John Gray uns entgegen hält. Vielleicht brauchen wir dieses existenzielle Erschrecken, um die Kräfte zu mobilisieren, die es Homo rapiens am Ende doch noch ermöglichen, einen Homo sapiens aus sich zu machen. Im Sinne von Camus ist es uns aufgegeben, uns immer wieder gegen das Absurde aufzubäumen zu einer letzten aberwitzigen Anstrengung, aus dem Eisblock des Seins doch noch einige Blutstropfen Sinn herauszupressen.

      1 Die Quellen des Übels und ihre zerstörerischen Wirkungen

      Leben ist Expansion. Die expansivsten Formen des Lebens haben schon bald die Biosphäre dominiert. Das liegt im seelenlosen Mechanismus der Evolution begründet: Gene, die ein expansives Verhalten begünstigen, verbreiten sich stärker als alle anderen Gene. So musste das in die Welt kommen, dessen Entsprechung wir auf der psychischen Ebene „Gier“ nennen.

      Diejenigen unserer Vorfahren, die eine Neigung hatten, Nahrung und andere Ressourcen an sich zu reißen und zu bevorraten, hatten größere Chancen, ihre Nachkommen durchzubringen – folglich verbreiteten sich die Gene, die diese Neigung erzeugen. Das gleiche gilt für die Neigung, in der Gruppe einen möglichst hohen sozialen Status und damit Macht zu erringen – das erleichtert den Zugriff auf Ressourcen und auf attraktive, genetisch fitte Sexualpartner, was im Sinne einer Selbstverstärkung wieder zu Statuserhöhung beiträgt (Luxusgegenstände und attraktive Partner als Statussymbole). Im Gehirn führte dies zu Bildung von alsbald weitervererbten Antriebssystemen („Erbantriebe“), die in der Psyche die Gier nach Luxus, Status und Macht wecken und wach halten. Eine vierte Form der Gier ist die Gier nach neuen Reizen und Erlebnissen, die Neugier. Bei Jungtieren und bei Kindern ist sie ein förderlicher Antrieb, die Umwelt zu erkunden und Neues über sie zu lernen. Während diese positive, kindlichspielerische Neugier mit dem Älterwerden abklingt, führt das Phänomen der Gewöhnung oft zu einer süchtig-verkrampften Neugier des Erwachsenen.

      Gewöhnung ist ein biologisches Elementarphänomen, das uns auf vielen Ebenen begegnet. Schon bei einfachsten Lebewesen unterbleiben Schutzreflexe, wenn ein harmloser Störreiz häufig genug wiederholt wird. Wenn man eine Brille verordnet bekommt, drückt sie eine Zeitlang auf der Nase, um bald nicht mehr wahrgenommen zu werden. Allerdings gilt das auch für das positive Erleben: Wenn Sie Ihr Lieblingsgericht zu häufig essen, wird es fad. Konsumgüter wie Uhren, Schuhe oder Autos vermitteln eine Zeitlang ein gutes Gefühl, doch bald gewöhnt man sich an sie und giert nach Neuem: nach der noch teureren Uhr, nach den noch schickeren Schuhen oder dem noch schnelleren Auto. Vor allem durch die neuen Medien gewöhnen sich immer mehr Menschen, insbesondere immer mehr junge Menschen an immer höhere und intensivere Reizlevel. Dies ist dann Neugier im schlechtesten Sinne: permanentes Mailen, Simsen, Twittern, Chatten, immer brutalere Videos, ständiges Musikgedröhn in den Ohren, Internet-Abhängigkeit, Sensation-Seeking. Viele Jugendliche werden zu flackerblickigen Reiz-Reaktions-Automaten abgerichtet. Der Reizterror fixiert sie von Kindesbeinen an auf Lustgewinn durch Außenreize und lässt ihnen keine Chance zur Akkumulation kulturellen Reichtums, zum Aufbau innerer Quellen von Lebenszufriedenheit. Dieser verhängnisvolle Prozess ist von dem Philosophen Christoph Türcke in seinem Buch über die Kritik an der „Aufmerksamkeits-Defizit-Kultur“ treffend beschrieben worden (Türcke 2012).

      Die wichtigste Kulturtechnik für die Aneignung kulturellen Reichtums, das Lesen anspruchsvoller Texte, wird immer weniger eingeübt. Auch wenn sich die Inhalte dieser Reizgier zunehmend dematerialisieren, wachsen infolge immer kürzerer Geräte-Lebensdauer die Berge des Elektronik-Schrottes.

      Früher galt Gier als eine der sieben Todsünden. Heute ist sie „geil“. Früher wurde Gier gezähmt, heute wird sie durch den konsumfixierten Zeitgeist regelrecht herangezüchtet.

      Auf allen Ebenen richten die vier Köpfe des Gierdrachens schweren Schaden an. Bevor wir uns dies mehr im Einzelnen betrachten, sei noch auf einen die Entwicklung verstärkenden Effekt hingewiesen. Wir nennen ihn die metakognitive Inkompetenz und verstehen darunter die Unfähigkeit unreflektierter Menschen, bewusst und angemessen mit den eigenen Erkenntnisinstrumenten umzugehen. Erst die begriffliche Erkenntnis macht es beim Menschen möglich, Sachverhalte in der Vorstellung auszuweiten, aufzusteigern, ins Reine und Ideale zuzuspitzen. Denken wir an Vorstellungen wie „der reichste Mann der Welt“ oder „der mächtigste Mann der Welt“ oder „die schönste Frau der Welt“, „das prächtigste Haus der Welt“ oder „der berühmteste Gelehrte des vom Licht erreichbaren Universums“ – Vorstellungen dieser Art können alle anderen Tiere nicht entwickeln, sie sind nur dem Homo rapiens möglich. Hinzu kommt die teufelskreisartige, wechselseitige Verstärkung von Gedanken und Gefühlen: Der Anblick eigenen Besitzes erzeugt Gedanken an und Vorstellungen von noch viel mehr Besitz, was Gefühle der Gier weckt, die dann ihrerseits Denken und Vorstellen noch weiter anstachelt usw. Und schließlich werden gedankliche Konstrukte verabsolutiert und zu Dogmen, zu absoluten Wahrheiten erklärt: Ich muss unbedingt – koste es, was es wolle! – dieses oder jenes haben oder erreichen, damit ich ein glücklicher

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