Zukunftsbildung. Dietmar Hansch

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Zukunftsbildung - Dietmar Hansch

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deutlich über dem liegt, was heutige Supermärkte für moderate Preise im Angebot haben. Der Komfort und die Funktionalität moderner Kleidungsstücke, Wohnungen oder Automobile lassen keine wirklich relevanten Wünsche mehr offen (außer natürlich der noch nicht voll eingepreisten ökologischen Verträglichkeit). In immer mehr Bereichen beginnen sich die Märkte zu sättigen, das Wachstum verlangsamt sich und der Grenznutzen sinkt: immer mehr Aufwand bringt – ab einem bestimmten Punkt – immer weniger Ertrag. Gier und Angst als Antreiber der Marktwirtschaft mögen viel Leid unter die Menschen gebracht und der Umwelt schwerste Schäden zugefügt haben – man kann aber nicht leugnen, dass sie auf der anderen Seite den wissenschaftlich-technischen Fortschritt vorangetrieben haben. Das Ergebnis bilden etliche wertvolle Technologien und Produkte, die ein hohes Potenzial in sich tragen, auch einem ökologischen, sozialen und geistig-moralischen Fortschritt dienlich sein zu können (insbesondere Informations- und Umwelttechnologien).

      In weiten Bereichen beginnt sich allerdings auch diese positive Seite der Gier in ihr Gegenteil zu verkehren. Die zunehmende Sättigung aller Märkte führt zu einer kontraproduktiven Überdifferenzierung – immer mehr Produktvarianten entstehen in immer unsinnigeren Ausformungen: um eine Chance zu haben, auch noch die 101. Sorte Zahncreme verkaufen zu können, muss man rot auf die Tube drucken: „Neu – mit Vitamin C!“ Um auf einem Buchmarkt mit einigen Zehntausend Neuerscheinungen jährlich überhaupt noch wahrgenommen zu werden, muss man in immer „feuchtere Gebiete“ hinabsteigen. Bei der Auswahl von Handytarifen gibt es inzwischen nichts mehr, was hilft. All das überfordert die Menschen und trägt zu Unübersichtlichkeit und Zersplitterung unserer Welt bei.

      Diese Entwicklung betrifft nicht nur die Sphäre materieller Produkte, sondern auch den administrativen und geistig-kulturellen Bereich. Von allem gibt es immer mehr: Sachgebiete, Referate und Unterabteilungen, Wissenschaftsteildisziplinen, Kunstrichtungen und Musikstile, kulturelle Subgruppen und Internet-Communities. Um als Wissenschaftler wahrgenommen zu werden, muss ich immer schneller – und damit weniger gründlich und fundiert – mit immer spektakuläreren Neuigkeiten in immer mehr Publikationen auftreten. Um als Wissenschaftler an Drittmittel zu kommen, muss ich meine Forschungsrichtung mit großem Getöse in den Medien verkünden und dabei ständig unseriöse, unhaltbare Erfolgsversprechen in die Medien herausposaunen.

      Zwei damit verbundene, besonders wichtige Konsequenzen seien kurz erläutert.

      Erstens bewirkt die Überschwemmung der Märkte bis hin zu ihrer völligen Unüberschaubarkeit, dass der Kampf um mehr Qualität des Produktes sich immer stärker zu einem Kampf um die Aufmerksamkeit des Konsumenten wandelt. Wenn das zu lancierende Produkt nicht mehr deutlich besser ist als die anderen oder diese Tatsache aufgrund von allgemeiner Übersättigung niemanden mehr interessiert, bleibt nur eines: Auf irgendeine sachfremde und möglichst schrille Weise Aufmerksamkeit erregen: durch eine skandalöse Werbeidee, einen besonders prominenten Werbeträger u.a. Es gibt inzwischen Produktbereiche, in denen die Marketingkosten über den Herstellungskosten liegen – welch eine „postabsurde“ Konstellation! Auch hier sind die „normalen“ Möglichkeiten zunehmend ausgereizt und der unaufhörlich wachsende Konkurrenzdruck zwingt zu einer Primitivierung der Reize: Das Bemühen um das knappe Gut Aufmerksamkeit wird immer emotionaler, schriller, absurder, sexueller und gewalttätiger. Auf allen Ebenen erliegen Gesellschaft und Kultur einer Emotionalisierung, Personalisierung und Skandalisierung. Dies setzt zunehmend die gesunden Regulierungsfunktionen von Markt, Demokratie und kulturellen Werten außer Kraft, es fördert Verdummung, Verrohung, Demokratieverdrossenheit und einen gefährlichen Populismus.

      Zweitens kommt es zu einer Konsequenz, die Sie von Ihrem Computer kennen: Um Daten mit anderen Computern austauschen zu können, müssen diese mit den gleichen Betriebssystemen bzw. Programmen ausgestattet sein. Computer verstehen sich nur, wenn sie funktionsgleich sind. Und mit den Menschen ist das nicht anders. Je ähnlicher wir einander in Alter, Geschlecht, Kulturhintergrund, Beruf, Weltbild oder Religion, geteilten Schlüssel-Erfahrungen usw. sind, desto besser können wir einander verstehen. Die oben skizzierte Zersplitterung unserer Lebens-, Kultur- und Geisteswelten untergräbt genau diese gemeinsame Basis. Je größer die Vielfalt geistiger Inhalte wird, desto seltener kann es geschehen, dass zwei Menschen, die sich zufällig im Zug begegnen, am Vortag die gleiche Fernsehsendung gesehen haben oder just eben das gleiche Buch lesen (und wenn doch, handelt es sich meist um sehr populäre und damit eher anspruchslose Werke!). Je größer die Vielfalt geistiger Inhalte wird, desto unterschiedlicher auch der „Seelengehalt“ der Menschen. Je unterschiedlicher die Menschen werden, desto schwerer wird es, sich zu verstehen und für die Lösung komplexer Probleme einen Konsens zu finden. Und je schwerer es wird, Konsens zu finden, desto schwerer wird es auf allen Ebenen, mit Erfolg zusammen zu arbeiten.

      Parallel zu diesem giergetriebenen Prozess der Überdifferenzierung und Zersplitterung mit seinen genannten beiden Hauptfolgen vollzieht sich auch noch ein Prozess der Konzentration der wichtigsten universellen Wirkfaktoren: Reichtum, Macht und Popularität. Je besser man mit diesen Wirkfaktoren ausgestattet ist, desto größer sind die Möglichkeiten, sich giergetrieben diese Faktoren in noch größerem Maß anzueignen. Es handelt sich hier offenkundig um einen Prozess der Selbstverstärkung (forward feed back), der von einem bestimmten Punkt kaum noch etwas oder gar nichts mehr mit der persönlichen Leistung zu tun hat – zugleich schafft er extreme Unterschiede. Immer weniger Reiche werden immer reicher, immer mehr Arme immer ärmer. Immer weniger Mächtige gewinnen immer mehr an Macht, und alle anderen werden immer ohnmächtiger. Immer weniger Prominente werden immer bekannter und immer mehr Vergessene immer vergessener. All das ist in höchstem Maße ungerecht und häuft sozialen Sprengstoff an.

      Gier und metakognitive Inkompetenz sind also jene Faktoren, die uns aufs Ganze gesehen in das folgende soziale Dilemma führen:

      1. Die Konsens- und Kooperationsunfähigkeit wächst;

      2. Die innergesellschaftlichen Spannungen infolge zunehmender Ungleichverteilung und Ungerechtigkeit wachsen ebenfalls;

      3. Der äußere Druck (globalisierungsbedingte Konkurrenz, Ressourcenverknappung, Klimakatastrophe etc.) nimmt zu.

      Dass dieser katastrophische Dreiklang einen üppigen Nährboden für eine Vielzahl potenzieller Konflikte bietet, liegt so klar auf der Hand, dass wir uns weitere Beispiele sparen wollen (es finden sich genügend z. B. bei Bastian 2011). In Zeiten wachsender innerer und äußerer Bedrohungen nimmt also zugleich die Konsensbildungs- und Kooperationsfähigkeit und damit die Problemlösekompetenz der Gesellschaft ab. Ungünstiger könnte die Konstellation innerer und äußerer Gefahrenpotenziale kaum sein.

      Als ein wichtiges Resultat der genannten Entwicklungen ergibt sich, dass die psychischen Störungen in Form von Depressionen, Burnout-Erkrankungen und Angststörungen in den westlichen Wohlstandsgesellschaften erheblich zunehmen und immer jüngere Menschen betreffen. Arbeit, Wissenschaft und Technik sind einst entstanden, um das Leben zu erleichtern und zu verschönern – im Endeffekt aber haben sie zum Entstehen einer sozioökonomischen Megamaschine geführt, die eine Vielzahl von Menschen versklavt und unglücklich macht.

      Weltgemeinschaft:

      Auch in der Geschichte der Weltgemeinschaft haben menschliche Gier und metakognitive Inkompetenz verheerende Schäden angerichtet. Ungezählte Raub- und Glaubenskriege gehen auf ihr Konto. Dabei nahmen und nehmen sich Gier und intolerante Ideologien wechselseitig in Dienst: ideologische Eiferer spannen den Gierteufel vor ihren Streitwagen, um ausreichend große Massen für den Kampf zu mobilisieren, der oft genug unter dem Wahlspruch „koste es, was es wolle!“ geführt wird. Und umgekehrt wurden und werden Eroberungsgelüste immer wieder mit weltanschaulich-religiösen Maskeraden verhüllt.

      Zum Glück für die Menschheit sind in den letzten Jahrzehnten Großkriege seltener geworden, auch deshalb, weil sich internationale Großorganisationen wie UNO, OECD, EU, WTO, IWF oder IPCC (Weltklimarat) gebildet haben, die viele Konflikte leidlich regulieren. Freilich: nationale Egoismen führen auch hier in immer noch viel zu hohem Maße zu Fehlentwicklungen

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