Coaching. Sonja Becker

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Sex. Chapeau. Durch Reproduktion konnten sich Generationen um Generationen mit der Frage beschäftigen, warum sie auf dieser Erde wandeln und handeln, und wie das Ganze zusammenhängt. Anfangs hatten sie noch ein bisschen Angst, zum Beispiel vor höherer Gewalt. Aber dafür gab es rasch Götter und Mythen, denen Opfer dargebracht wurden, damit sich Gewitter, Sonnenfinsternisse und Lava schnell wieder verziehen. Inzwischen hat man diese Dinge relativ gut im Griff.

      Dass die Natur, oder sagen wir die ganze Welt ein selbstorganisierendes System von selbst organisierenden Systemen darstellt, darauf kam man lange nicht, weil die Institutionen für solche Mythen, wie die Kirche, entschieden etwas gegen solche Vermutungen gehabt hätte. Mein Gott, kann man da nur sagen, der Allmächtige ist doch durchaus ein Mann, mit dem man reden kann. Aber die Kirche hatte mehr Interesse daran, dass die Menschlein Angst hatten – damit konnte man seine Macht behalten und durch Ablass und Absolution verdammt viel Geld verdienen. Durch Denker wie Descartes (Slogan: „Ich denke, also bin ich!“), aber auch Wissenschaftler wie Kepler, Galileo, Newton und andere kluge Köpfe kamen allerdings ganze Weltbilder ins Schwanken. Ab 1600 etwa drehte sich zum Beispiel nicht mehr die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne. Als die Wissenschaften wie Astrologie und Mechanik sich immer häufiger mit ihren neuen Weltbildern aufdrängten, oder sich jemand wie Martin Luther mit seinen Thesen den Einzelmenschen in den Vordergrund rückte, wurden sie schnell Märtyrer oder Popstars, und der Klerus musste eine Bastion nach der anderen hergeben. Die Wahrheit setzt sich eben immer durch.

      Zugegeben, es hat die Menschheit ein paar Jahre gekostet, bis man auf die wesentlichen Dinge gekommen ist, die zu ihrem Verständnis der Welt beitragen. Und sie ist noch lange nicht am Ziel. Aber Gott ist zuversichtlich, dass jeder Vertreter dieser Spezies es bis nach ganz oben schaffen kann. Um 1500 gab er dem Renaissance-Philosophen Giovanni Pico della Mirandola ein Interview, in dem er die Stellung des Menschen im Kosmos zurechtrückte, nachdem dies in der Bibel offenbar nicht klar herüberkam. Was Gott als Coach besonders auszeichnet – und ihn so sympathisch macht – ist die Tatsache, dass er sein Ziel als erreicht betrachtet, wenn er sich selbst überflüssig gemacht hat: „Du sollst Dich ohne jede Einschränkung und Enge, nach Deinem Ermessen, dem ich Dich anvertraut habe, selber bestimmen. Ich habe Dich in die Mitte der Welt gestellt, damit Du Dich von dort aus bequemer umsehen kannst, was es auf der Welt gibt. Weder haben wir Dich himmlisch noch irdisch geschaffen, damit Du wie Dein eigener, schöpferischer Bildhauer Dich selbst zur Gestalt ausformst, die Du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigen, zum Tierischen entarten; Du kannst aber auch zu Höherem, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn Deine Seele es beschließt.“

      Nichts Schlimmeres konnte den Mächtigen aus Rom passieren, als dass die Menschen sich ihrer selbst bewusst werden – oder sogar selbst Karriere bis hin zur Gottwerdung machen können. Aber der Lauf der Geschichte war nicht mehr aufzuhalten – obwohl erst die Aufklärer Englands und Deutschlands den Fundus der Renaissance wieder entdeckten. Ihre stärkste Waffe: Die Freiheit. „Der Mensch wird frei geboren, aber überall liegt er in Ketten“, stellte Jean-Jacques Rousseau fest. Das fand Immanuel Kant in Königsberg so gut, dass er als einzige Dekoration in seinem bescheiden eingerichteten Haus ein Poster von dem französischen Philosophen aufhing. Der andere Coach von Kant war der schottische Denker David Hume. Er war der Meinung, dass man die Moral der Kirche gar nicht braucht, weil sie sich durch die öffentliche Meinung sowieso selbst organisiert: Alles, was ich tue, wird von meinen Mitmenschen gegengecheckt und eventuell korrigiert. Er begründete die deskriptive, die beschreibende Ethik, im Gegensatz zur präskriptiven wie jener der Kirche, die vorschrieb, was zu tun und was zu lassen ist.

      Hume war wirklich ein sympathischer Mensch. Kein Wunder: Er hat die Sympathie erfunden. Es ist bei ihm die Fähigkeit, sich selbst an die Stelle anderer zu versetzen. Eine Grundvoraussetzung für Coaching. Durch diese und andere Ideen Humes wurden Kant und seine Neugier wach. Er gab zu, dass Hume ihn „aus meinem dogmatischen Schlummer weckte“. Kants Wake-Up-Call hatte sehr produktive Folgen. Er ging das Projekt Freiheit an. Aufklärung ist in seinen Augen „der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“. Das klappt. Man muss sich nur trauen. Schon ist man frei, selbst zu denken, statt ein unmündiges, also abhängiges Naturwesen zu sein. Der Rest regelt sich von selbst. Die Aufklärer hatten übrigens keine Probleme, solche Entdeckungen auch auf andere Dinge zu übertragen. Hume nannte diesen Vorgang „experimentell“, die Übertragung einer wissenschaftlichen Situation in einen anderen Bereich (er selbst schaute sich das von Isaac Newton ab). In der sich gleichzeitig entfaltenden freien Wirtschaft überträgt der Moralphilosoph Adam Smith, Kollege und Freund Humes, den Gedanken der Selbstorganisation auf die Wirtschaft: Je freier die Wesen handeln, um so größer der Output.

      Smiths berühmte „unsichtbare Hand“, führt seitdem zusehends zu allgemeinem Wohlstand und Autonomie jedes Einzelnen. Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei Kant, der übrigens keine Ökonomie schrieb, wie es sich damals für einen Philosophen gehörte. Stattdessen schrieb er sehr komplizierte Traktate namens „Kritiken“. Ziemlich am Ende seines Schaffens schrieb er ein Buch, das nur ein Mann schreiben kann, von dem die Zwänge seiner Karriere abfallen: Das vielleicht schönste, wenn auch nicht gerade einfachste Non-Fiction-Werk der Welt: Die „Kritik der Urteilskraft“. Es beginnt mit den Worten: „Man hat, nach transzendentalen Prinzipien, guten Grund, eine subjektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihren besonderen Gesetzen, zu der Fasslichkeit für die menschliche Urteilskraft, und der Möglichkeit der Verknüpfung der besonderen Erfahrungen in ein System derselben, anzunehmen.“ (KU 305)

      Das klingt etwas verschroben, aber es geht Kant um die Idee, dass die ganze Natur ein geschlossenes System bildet, und dass der Mensch in der Lage ist, dieses System zu knacken. Und nicht nur das: Sobald etwas für ihn oder sie stimmig, organisch, harmonisch wirkt, es schön zu finden. Um es mit den Worten von Samuel Fleischacker zu sagen: „Wahrheit ist Schönheit, und Schönheit Wahrheit. Wenn ich Schönheit in etwas entdecke, dann weiß ich, dass ich einen Platz in dieser Welt habe“. Diese Erscheinungen, „denen man daher den Namen schöner Formen beilegt“ (Kant), kann man überall antreffen, sei es im Hochgebirge, in einem Bild oder in Gestalt einer nackten Frau. Sie machen das Leben neugierig.

      Natürlich war Kant vor allem dieser Natur, also Gottes Werk auf der Spur und versuchte nun, mittels der Urteilskraft, also des Selberdenkens statt Erfahrungssammlungen, hinter die „Zweckmäßigkeit“ der Welt zu kommen. Sein Kollege, heimlicher Bewunderer, aber selbst erklärter Kritiker und Nachfolger Hegel fand darin Widersprüche – und diese Widersprüche machte er sich zum Hobby, indem er alles behauptete, negierte, und dann wieder zusammensetzte. Das Hobby hieß „Dialektik“ und kam in seiner „Phänomenologie des Geistes“ dann doch zu der Schlussfolgerung: „Das Wahre ist das Ganze“. Wenn auch nur etwas komplizierter als bei Kant. Aber irgendwie musste man ihn ja toppen. Hegel spielte sich dann auch ganz schön als Coach auf, aber dazu kommen wir später. Kants „neue Kausalität“ (KU 307) und die Rede vom „Ganzen“ wurde im 20. Jahrhundert gerne aufgenommen, als Kybernetiker und Esoteriker sich anschickten, ein neues Weltbild zu kreieren, in dem quasi alles sorgfältig aufeinander abgestimmt ist. Bei den Esoterikern wurde Mutter Erde in der so genannten „Gaia-Hypothese“ geehrt, die das Gedankengut von den ganz frühen Griechen zurückkam, die die Erde selbst als ihre Mutter betrachteten. Daraus folgte nicht lange darauf der Holismus, der nicht ganz so hohl ist, wie er inzwischen mit dem Wort „ganzheitlich“ etikettiert ist. Dann trafen sich nach dem Zweiten Weltkrieg einige sehr schlaue Leute in New York – was als die „Macy-Konferenzen“ in die Wissenschaftsgeschichte einging. Vor allem Norbert Wiener beeindruckte seine Zuhörer mit seiner Wortschöpfung „Kybernetik“, die er vom griechischen Wort für „Steuermann“ entlehnte, seiner Definition als „Regelung und Kommunikation im Lebewesen und in der Maschine“ und mit anderen Worten der Idee, dass der Begriff der „wechselseitigen Kausalität“ – der auch bei Kant stehen könnte, der hier eben in der Kybernetik steht – durchaus in den Gesellschaftswissenschaften anwendbar ist. Dies war der Auftakt des „systemischen Denkens“, das der experimentellen Methode von David Hume nicht unähnlich ist. Aus diesem Ansatz, den Fundus von Systemen aus den verschiedensten Wissenschaften in andere Bereiche zu übertragen, entstanden viele andere grenzüberschreitende Wissenschaften, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts

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