Coaching. Sonja Becker

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Digitalisierung ganzer Wirtschaftszweige wie Unkraut sprossen, erwiesen sich als Seiltanz, weil sie jeden unternehmerischen und verantwortungsvollen Denkens entbehrten – dazu war einfach schon zuviel Geld da. Der „Neue Markt“ ging sang- und klanglos unter.

      11. September: Schluss mit lustig

      11. SEPTEMBER: SCHLUSS MIT LUSTIG

      Der 11. September 2001 besiegelte in Deutschland das Ende dieser „Spaßgesellschaft“, der pseudo-ironischen Kultur der Neunziger Jahre, die sich selbst auf die Nerven ging. Die Lage der Nation wird ernst und ernster. Immer mehr Arbeitsplätze gehen verloren, wer sich auf der Straße wieder findet, fühlt sich meistens hilflos. War es in den Neunziger Jahren für viele sogar ein Spaß, mal arbeitslos zu sein, nichts zu tun und vom Staat Geld zu kassieren, wirft die Regierung viele jener aus ihrer „sozialen Hängematte“ mit Kürzungen und Auflagen hinaus. Wenn es einen neuen Wert gibt, dann ist es der Euro, der von vielen „Teuro“ genannt wird. Fast alle Anbieter nehmen den Abschied von der Wirtschaftswunder-D-Mark zum Anlass, die alte Währung mit der neuen gleichzusetzen. Die meisten Konsumprodukte werden in Deutschland bis doppelt so teuer, gleichzeitig haben die meisten Menschen weniger Geld. Billig erlebt einen Boom wie nie, „value for money“ ist das Gebot der Stunde, „Geiz ist geil“ der bekannteste Slogan, ganze Märkte erleben einen Einbruch, weil die Konsumenten entweder preiswerte Wege zur Ware finden oder sie gnadenlos herunterhandeln. Die Profiteure sind Konsumketten, die schon immer billigst anboten. Gehörte es in den Achtziger Jahren zum guten Ton des Konsums, nach dem Motto „was nichts kostet, das ist nichts“ zu shoppen, ist es nun ein Zeichen der Intelligenz, das jeweils günstigste Angebot zu recherchieren und dann vielleicht doch nichts zu nehmen. Die Situation nimmt dann absurde Züge an, wenn Politiker angesichts der wirtschaftlichen Talfahrt ihre Bürger zu „mehr Konsum“ auffordern. Diese haben entweder kein Geld – oder einfach Angst.

      Deutschland befindet sich in einem gewaltigen Umbruch: Man klammert sich verzweifelt an die alten Jobs, auch wenn sie immer redundanter werden. Bürokratische Institutionen und Gewerkschaften lähmen notwendige Prozesse und wissen, dass sie an alten Zöpfen hängen. Die bittere Pille der Reformen liegt zur Einnahme bereit, an ihr führt kein Weg mehr vorbei, und jeder weiß es. Aber wer es sich nach wie vor einfach machen will, schiebt weiter die Schuld auf die „Regierung“. Das Problem Deutschlands, wenig Eigenverantwortung zu entwickeln – im Gegensatz etwa zu den Vereinigten Staaten – liegt an der traditionellen Fixierung auf das System „Staat“ und seiner Elemente im deutschen Kulturkreis, innerhalb derer man sich selbst nicht als Agierenden, Verändernden in die Situation einbezieht, sondern lediglich auf das Agieren des Staates wartet. Diese dem „Vater Staat“ zugeschriebene Übermächtigkeit generiert das Gefühl der eigenen Ohnmächtigkeit.

      Das Gefühl, selbst nichts ändern zu brauchen, hat eine lange Tradition in der deutschen Mentalitätsgeschichte. Der Grundcharakter der Deutschen ist nach wie vor ihre weltberühmte und viel zitierte Melancholie: Wir sitzen da, geben die Schuld für alles Übel selten uns selbst und warten auf das nächste Wunder. Die Gründe für diese Befindlichkeit? Möglicherweise liegen sie tief in unserer Vergangenheit verankert. Viele Zitate aus unserer Kulturgeschichte sprechen dafür. Um dieses Phänomen zu verstehen, reicht ein Sprung in die deutsche Mentalitätsgeschichte seit Martin Luther.

      Die lange Karriere der deutschen Melancholie

      DIE LANGE KARRIERE DER DEUTSCHEN MELANCHOLIE

      Gehorsam ist bei ihnen nicht Knechtschaft, er ist Regelmäßigkeit, charakterisiert die französische Philosophin und Chronistin Madame de Staël die Deutschen in ihrer viel beachteten Analyse „Über Deutschland“ (37) zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Das ist ein schockierender Befund. Es handelt sich aber um eine Entwicklung, die man in Deutschland bereits seit dem Mittelalter nachvollziehen kann.

      Die kulturelle „Prägung“ Deutschlands ist sprichwörtlich zu nehmen. Als Johannes Gutenberg um 1400 in Mainz eine Weinpresse in eine Maschine umwandelt, mit der man jeden Buchstaben einzeln zu Wörtern und Sätzen zusammensetzen kann, erfindet er die beweglichen Lettern, mit denen man beliebige Texte mit schwarzer Flüssigkeit auf ein Stück Papier oder Pergament in beliebiger Anzahl „drucken“ kann. Mit der Einführung der beweglichen Lettern beginnt die Wirkungsgeschichte der Medien.

      In Deutschland wurde mit dem Buchdruck eine gigantische Medien- und Mentalitätsverschiebung in Gang gesetzt. Der durchschlagende Erfolg des Buchdrucks beruht weniger auf der Entwicklung von grafischen und textlichen Grundlagen, sondern ihrer Verbreitung. So vermutet man, dass die Kunde von der Entdeckung Amerikas am Ende des 15. Jahrhunderts und die Nennung ihrer Protagonisten kaum so schnelle Verbreitung und Nachahmung gefunden hätte, wenn nicht bald danach eine große Anzahl von Mitteilungsblättern, Text- und Kartenmaterial in Europa kursierten, die schnell in den Druckerpressen Spaniens, Italiens und Deutschlands angefertigt wurden.

      Buchdruck bedeutet Orientierung. Mit Johannes Gutenberg, dem „Mann des Jahrtausends“ (TIME Magazine 2000), kommt die „Macht der Ideen“ in die Welt. Das erste große Druckwerk Gutenbergs ist eine lateinische Bibel. Einer der ersten, der die Dimensionen dieser neuen Technik erkennt, ist der Reformator Martin Luther. Der Philosoph Johann Gottlob Fichte betrachtet Luthers Reformation in seinen „Reden an die deutsche Nation“ im Jahr 1806 als die „letzte große, und im gewissen Sinne, vollendete Welttat des deutschen Volkes“.

      Die neue Religion verändert das Gesicht Deutschlands mental und fundamental. Die katholische Kirche schlug die Brücke zwischen Gott und den Menschen, die protestantische Kirche hält sich nun aus allem heraus, um die Eigenständigkeit des Menschen als mündiges Wesen zu bestärken. Das hat seinen Preis: Keine Vertretung Gottes auf Erden, der irdische Bezug fällt weg, nichts steht zwischen Gott und Mensch. Nun liegt es an jedem einzelnen Individuum, wie er/sie die unmittelbare Beziehung zu Gott gestaltet. Die einzige Instanz ist das Gewissen, und es ist meistens ein schlechtes Gewissen, das die protestantischen Menschen verfolgt. Aber im Dialog zu Gott – etwa durch das Gebet oder die Andacht – entsteht ein Moment, das eine neue Realität hervorbringt: die „Innerlichkeit“. Auf sich selbst geworfen zu sein und allein mit dem Gewissen vor Gott sind Freiheit und Fluch der Protestanten. Luthers populärste Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) geht von Paulus‘ Paradox aus: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan“.

      Zwischen Gewissen und Gott, Innerlichkeit und Wirklichkeit, Freiheit und Untertänigkeit entsteht das neuzeitliche Deutschland protestantischer Prägung. Luthers „Welttat“ hat also einen tragischen Kern. Ohne den wirklichen Rückhalt der Kirche ist man mit seinem Gewissen auf sich gestellt. Der innerliche Bezug zu Gott wird dabei wirklicher als der Bezug zur Wirklichkeit. Gott allein ist ihr metaphysischer Mittelpunkt. Jetzt tut es dringend Not, die Bewegung vom Epizentrum Wittenberg auf Deutschland auszudehnen. Dies geschieht durch die Verbreitung der Lehre Luthers mit Bibel und Bildung. An den Universitäten entwickelt sich ein weltliches Pendant zur göttlichen Ordnung: Ein abstrakter, unpersönlicher Herrschaftsapparat: der “Staat“.

      Luther bringt mit den Mitteln der Zeit „den Ernst in die Welt“, wie der Soziologe Helmut Plessner im 20. Jahrhundert beschreibt. Publikumswirksam schlägt Martin Luther seine Thesen gegen den Ablass an eine Tür. Dann nutzt er die frische, wenn auch noch unausgegorene Technik des Buchdrucks, sein Wort Gottes zu übersetzen und zu verbreiten.

      Und damit es dabei auch auf Dauer nicht bleibt, unternimmt er mit Hilfe von Philip Melanchthon das Großprojekt „Verbreitung der Reformation“. Ort des Geschehens: Die Universität Wittenberg, die kurz vorher erst das Gründungsprivileg erhielt. Wittenberg wird zum Epizentrum des deutschen neuzeitlichen Denkens, dessen gepflegte Innerlichkeit von hier aus Schule und Staat macht. 1508 kommt Martin Luther auf Ersuchen des Generalvikars Johann von Staupitz als studierender Mönch

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