Coaching. Sonja Becker

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– im Gegensatz zu „den Menschen“. Friedrich Schillers Konzeption von einem „ästhetischen Staat“, das Hegel früher für ein „Meisterstück“ hielt, findet er jetzt „nicht tragisch, sondern entsetzlich“. Durch die Ironie dieses Schicksals wird der gleiche Mann, der früher den Staat abschaffen wollte, später offiziell Preußens erster Staatsphilosoph und interpretiert den Staat als „Verwirklichung göttlicher Ideen". Der einstige Schiller- und Napoleon-Fan Hegel konvertiert zum Ideologen, der seiner eigenen Erfindung, der Dialektik, erliegt. Wie es sich für den genialen Dialektiker gehört, verwandelt er seinen „Staat“ in die bereits verwirklichte Form jener Ideen, die ihm früher mal vorschwebten. Vielleicht ist dies die fatalste Entwicklung der deutschen Kultur: die Tatsache, dass der deutsche „Rechtsstaat“ heutiger Prägung wiederum von einem Idealisten begründet wird.

      Eines muss man Hegel lassen: Er sieht in der Schlacht von Jena, die er 1806 selbst erlebt hatte, das Ende der Weltgeschichte, weil hier die Werte der französischen Revolution – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – den nationalstaatlichen Armen Napoleons entrissen wurden. Denn nun ist es seiner Meinung nach nur noch eine Frage der Zeit, wann Vernunft und Freiheit in einem Staat zusammenkommen.

      Sein „Rechtsstaat“ beansprucht, „die Allgemeinheit der Rechtsqualität aller zu sein“ – ohne die Mitglieder der Nation konkret zu fragen. So sind in der deutschen Kultur auch nach der Blüte von Aufklärung, Idealismus und Romantik die alleinig bestimmenden Instanzen: Herrschaft und Bürokratie. Hier ist er wieder, nach den glorreichen Ideen von Freiheit und der Entdeckung des Menschen wie Phoenix aus der Asche: der alles dominierende deutsche Staat.

      Hegel bezeichnete seinen Staat als „Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (Grundlinien §257). „Die Rechtsphilosophie – darin liegt das Geheimnis ihrer gedanklichen Provokationen und ein Schlüssel zu ihrer wechselvollen Wirkungsgeschichte – ist philosophisches Lehrbuch und politische Publizistik, gelehrter Traktat und aktuelle Kampfschrift in einem.“ (Riedel 1975:11f.) „Trotz aller Polemik gegen den Fichteschen Polizeistaat, in welchem „Alles nach der Schnur geht“, ist der Hegelsche Freiheitsstaat viel schlimmer als jener – eine rechtfertigende Konstruktion der faktisch in Preußen waltenden Polizeigelüste.“ (Haym in Riedel 1975:389) Es tritt also das Gegenteil von dem ein, was in der revolutionären Freiheitsschrift des Systemprogramms – vom gleichen Autor, Hegel! – die Rede war: Eine Welt für die Menschen zu schaffen. Anders gesprochen: Für das Politische, also die Entfaltung der Freiheit in Gemeinschaft, bleibt keine eigene Authentizität außer der Absorption durch den Staat als Rechtsordnungssubjekt übrig. Damit ist der Typus des politischen Denkens in diesem Kulturkreis (Deutschland) entwickelt. In Hegels Rechtsphilosophie sammeln sich die Ströme, die das deutsche politische Denken der Neuzeit geprägt haben: Die „Politica“ – Staatswissenschaft, das Naturrecht, die Polizeiwissenschaft, der „Transzendentalismus“ (Ernst Vollrath 1987:122). Aber was die deutsche Mentalität angeht, ist der Deutsche Idealismus und daraus resultierende, verklärende Romantizismus um 1800 bis heute „the real German Weltanschauung“ (Friedrich Hertz) geblieben. Und es ist schon erstaunlich, dass Peter F. Drucker noch 1985 betonen muss: „Alle haben erkannt, dass Staatspolitik und Staatsbehörden nicht göttlichen, sondern menschlichen Ursprungs sind. (...) Dennoch geht die Politik immer noch von der Jahrtausende alten Prämisse aus, was auch immer der Staat tue, sei in der Natur der menschlichen Gesellschaft verwurzelt und sei daher „für ewig“. Die Folge ist, dass es bis heute keinen Mechanismus gibt, mit dessen Hilfe ein Staatswesen Altes, Ausgedientes und nicht mehr Produktives abstreifen kann.“ (Drucker 1985:364) Das trifft in bedeutender Weise auf Deutschland zu. Das Problem: Die Vereinigung aller guten Ideen der Aufklärung und des deutschen Idealismus führt in Deutschland nicht zu einer Umkehrung der Verhältnisse zwischen Staat, Gesellschaft und Mensch, sondern offenbar zwangsweise zu einer Neu-Verfassung des Staatsgebildes. Etwas anderes als „der Staat“ scheint gar nicht denkbar. Die Realität Deutschlands ist bis heute der „Staat“ in der Vorprägung Hegels.

      Nur, wo „Staat“ ist, ist Macht – auch nach der deutschen Revolution und der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche 1848. „Die Bahn der Macht ist die einzige, die den gärenden Freiheitstrieb befriedigen und sättigen wird, der sich bisher selbst nicht erkannt hat. Denn es ist nicht bloß die Freiheit, die der Deutsche meint, es ist zur größeren Hälfte die Macht, die ihm bisher versagte, nach der es ihm gelüstet“, sagt allen Ernstes der Verfassungs-Entwickler Friedrich Christoph Dahlmann in seiner Rede in der Nationalversammlung am 22. Januar 1849 (in Bleek 2001:149). „Die Macht ist das Prinzip des Staates“, sagt Treitschke in „Bundesstaat und Einheitsstaat“ (1864, zitiert in Bleek 2001:153), und zwar, „dass das Wesen des Staates zum Ersten Macht, zum Zweiten Macht und zum Dritten Macht ist“. Für den Historiker Friedrich Meinecke ist dies der klassische Beleg für die Wende von der Priorität des Freiheitsideals zum Vorrang des Machtgedankens (vgl. Bleek 2001:149).

      A melancholic state of mind

      A MELANCHOLIC STATE OF MIND

      Es ist wohl ein einzigartiges Vorkommnis in der Weltgeschichte, dass Philosophen und Verfassungsrechtler dem „Staat“ traditionell so viel Autorität zukommen lassen wie in Deutschland. So viel Macht in der Hand des Staates, das kann nicht gut gehen. Auf Macht folgt Ohnmacht. In der Abenddämmerung des deutschen Idealismus und der Romantik beginnt der Aufstieg der typisch deutschen Melancholie. Sie wird in einer Gesellschaft besonders da auffällig und präsent, wo ein Volk oder eine Volksgruppe wieder und wieder scheitern, ihre Interessen durchzusetzen, wo sie sich als Untertanen einer Obrigkeit ausgesetzt fühlen, wo sie ihre Utopie verlieren. Das führt zu einem verminderten Bewusstsein der Eigenständigkeit, zu Minderwertigkeitskomplexen und Resignation. Bei einer übermächtigen Hand des Staates wie in Deutschland entsteht die Gefahr der Schicksalsergebenheit. Der wachsende Einfluss der Niedergeschlagenheit in Deutschland wird besonders bei Arthur Schopenhauer deutlich. In gewisser Weise ist der Hegel-Hasser Schopenhauer Nachfolger der idealistischen Schule, aber vor allem der Auslöser einer Bewegung unter Philosophen, die mit dem Scheitern von 1848 einhergeht und versucht, sich aus der Verstrickung dieser Übermacht durch das eigene Denken, die Persönlichkeit und das Leben zu befreien: Die Romantiker.

      Wenn man jemanden benennen will, der die für uns vollkommen geläufige andauernde Kritik am Staat – und das ist der Staat Hegels – erfunden hat, dann ist das Arthur Schopenhauer. Weil man sich in Deutschland mit dem Staat identifizieren muss, wenn man sich mit seiner nationalen Kultur identifizieren will, hasst Schopenhauer konsequent jede Form von Nationalstolz: „Der Intelligente erkennt immer die Mängel seiner Nation. Der Dumme ist einfach nur stolz darauf“. Er fasste den klugen Entschluss, sich nicht an der herrschenden Staatskonzeption abzuarbeiten, sondern zu zeigen, worauf es im Leben ankommt. Seine prominentesten Schüler waren Richard Wagner und Friedrich Nietzsche. Nietzsche hat diesen melancholischen Rückzug klar formuliert: „(...) indem man zum Natürlichen zurückzufliehen glaubte, erwählte man nur das Sichgehenlassen, die Bequemlichkeit und das möglichst kleine Maß von Selbstüberwindung. (...) Sind sie (die Deutschen, d.A.) doch das berühmte Volk der Innerlichkeit“ (Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen (275)). Diese „Innerlichkeit“, die wir schon bei Luther finden, ist ein Zeichen der Resignation und der Kompensation der Erfolglosigkeit, die man mit dem berühmten deutschen Wort „Gemütlichkeit“ kenntlich machen kann.

      Melancholie speziell deutschen Zuschnitts – Verzweiflung an der Obrigkeit – hat Tradition. Zahlreiche literarischen Schriften sind Zeugen dieser Grundstimmung: Allen voran Johann Wolfgang von Goethes „Werther“, der eine Selbstmordwelle auslöste. Oder Karl Philipp Moritz’ „Anton Reiser“, der ihr in Gestalt der „Mönchskrankheit“ begegnet, jene Lethargie, die „seine Kraft gegen sich selbst kehrt, weil sie nicht nach außen wirken kann, und den Wankenden und Unentschlossenen in jedem Moment seines Lebens mit sich selbst unzufrieden macht.“ (Moritz 1971:21) Der Universalgelehrte Wilhelm von Humboldt analysiert diese Zeit der „Werther“-Krankheit als eine Zeit, „wo man häufiger als sonst Passivität und Schlaffheit mit Bildung und Geistesfähigkeit vereint antrifft. (...) Dies ist eine kränkelnde Gemütsstimmung, die auch unserem Zeitalter,

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