Fass mich nicht an!. Reinhold Ruthe

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Fass mich nicht an! - Reinhold Ruthe

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Diskussionen darüber, was sexueller Missbrauch genau ist und wie man ihn definiert, führen Experten bis heute. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Zum Beispiel ist sexueller Missbrauch unter Gleichaltrigen vorstellbar, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich weit die geistige und körperliche Entwicklung von zwei Fünfzehnjährigen sein kann.1

      Das heißt:

      

ein Kind kann nicht überschauen, worum es dem Erwachsenen geht;

      

ein Kind weiß nicht, was Erwachsene unter Sexualität verstehen;

      

ein Kind vertraut dem Erwachsenen, weil es nicht weiß, was er will.

      Sexueller Missbrauch vom Vater an der eigenen Tochter Ein Beratungsbeispiel. Eine Zwanzigjährige erscheint in der Beratung. Ich nenne sie Manuela.

      Bevor sie zu sprechen anfängt, rollen die Tränen. Sie ist hin und her gerissen.

      „Ich stecke in einer schrecklichen Zwickmühle. Ich bin jahrelang von meinem Vater geliebt, nein, missbraucht worden. (Die junge Frau schüttelt den Kopf und ist selbst über den ungewollten Versprecher entsetzt.) Mit 17 oder 18 habe ich mich bekehrt und wurde Mitglied in einer Gemeinde. Von einigen Gemeindeältesten, auch zwei Frauen waren darunter, wurde ich gründlich befragt. Und ich habe denen ehrlich gestanden, dass mein Vater mich bis zum Alter von 16 laufend missbraucht hat.“

      Sie verdeckt ihr Gesicht. Die Beichte ist ihr höchst peinlich. Danach hätte sie einen eigenen Freund kennengelernt, und die sexuellen Beziehungen zum Vater waren beendet worden.

      „Aber“, sie rafft sich wieder auf, „die verantwortlichen Leute in der Gemeinde haben mich aufgefordert, meinen eigenen Vater anzuzeigen. Ich wollte nicht, aber sie gaben keine Ruhe. Solche Verbrechen dürften nicht verschwiegen werden.“ Der ganze Körper der jungen Frau ist in Aufruhr.

      „Schweren Herzens habe ich das getan. Aber seitdem ist mein innerer Friede verschwunden. Meinen Vater habe ich geliebt, und er hat mich geliebt. Seine Ehe war kaputt. Mutter war unausstehlich.“

      Wieder wird sie von Weinkrämpfen geschüttelt.

      „Und jetzt muss ich damit rechnen, dass er jahrelang ins Gefängnis kommt. Er muss alles ausbaden, und ich bin frei. Mir haben die Gemeindeleute im Namen Jesu Vergebung zugesprochen. Natürlich habe ich die Sünde bereut, und mein Vater?“

      Sie schüttelt ungläubig den Kopf.

      „Der Vater sei allein schuldig, haben sie auch auf dem Gericht gesagt, ich trüge nicht ansatzweise eine Mitschuld. Ich sei verführt worden, und gegen seine Überlegenheit hätte ich mich nicht wehren können. Aber ich weiß doch, was ich gefühlt habe!“

      „Was wollen Sie damit sagen?“, frage ich.

      „Ja, zu Anfang habe ich mitgespielt, ohne schöne Gefühle gehabt zu haben, aber später war es doch auch erregend für mich! Jetzt soll er allein alles ausbaden?“

      Ohne auf Beratung, Seelsorge und Therapie im Einzelnen einzugehen, was macht diese Beratung deutlich?

      

Da über alle Facetten von sexuellen Gefühlen, Liebe, Gewohnheiten und Verantwortung der Erzieher gegenüber Kindern nicht gesprochen wird, können Kinder und angehende Jugendliche besonders von eigenen Eltern, Geschwistern und Verwandten sexuell missbraucht werden. Sie wissen nicht, was erlaubt und nicht erlaubt ist.

      

Bei Manuela untersuchte sie der Vater nach Zecken im Geschlechtsbereich. Das war der Anfang.

      

Die Liebesbezeugungen des Vaters waren bei ihr schon als Kind mit Berührungen am ganzen Körper verbunden. Beide streichelten sich oft mehr als eine Viertelstunde, ohne die Geschlechtsorgane zu berühren.

      

Erst etwa ab dem zehnten Lebensjahr konzentrierte der Vater sich stärker auf die Schamlippen und den Kitzler. Der Vater zu Manuela: „Jeder Mensch hat Stellen am Körper, die sich besonders kitzeln lassen. Bei dir ist es der Kitzler, der heißt auch noch so, bei mir ist es die Eichel am Glied.“

      

Da niemals äußerliche Gewalt im Spiel war, empfand Manuela alles als liebevolle Zuwendung des Vaters. Sie war sein „geliebtes Kind“.

      

Als Manuela in der Schule mit 15 – 16 Jahren einen Schüler kennen- und lieben lernte, kamen ihr die ersten Zweifel. Was ist Liebe, was ist sexuelles Begehren? Kann man das überhaupt trennen? Hat mich der Vater nur sexuell begehrt? War nicht auch Liebe damit verbunden? Kann man zwei Menschen gleichzeitig lieben und begehren? Mit ihrem Freund führt sie viele Gespräche, um herauszufinden, was Liebe, sexuelle Gefühle und Lust trennt und verbindet.

      

Fazit: In vielen Gesprächen versuchten wir, Licht ins Dunkel der Gefühle und der Beziehungen zum Vater zu bringen. Manuela war vom Missbrauch und gleichzeitig von echten Liebesgefühlen des Vaters zu ihr überzeugt. Sie liebt ihren Vater immer noch. Beide schreiben sich „innige Briefe“, wie mir die Tochter offenbarte. Ihre sexuellen Sehnsüchte und Gefühle werden allein vom Freund gestillt. Nach seinem Studium wollen sich beide verloben. Sie weiß, dass der sexuelle Missbrauch des Vaters ein Verbrechen ist, gleichzeitig entwickelt sie starke Mitleidsgefühle. Sie fragt sich, wieweit Mitleid mit dem Vater im Spiel ist, den sie schließlich angezeigt und ins Gefängnis gebracht hat. Geistlich ist sie von der Richtigkeit überzeugt, menschlich hat sie Zweifel.

      

Dieses Beratungsbeispiel hat mir gezeigt, wie vielschichtig, wie vernetzt, wie abhängig und kaum eindeutig zu differenzieren alle Gefühle und Praktiken sind. Theoretisch sind alle Verhaltens- und Einstellungsmuster von Täter und Opfer klar zu analysieren. Aber die Hintergründe, die Motive, die Begleitumstände und die Verflochtenheit mit anderen Aspekten sind groß. Zum Beispiel: Von ihrer Mutter erfuhr sie keine Liebe und Zuwendung. Schon als kleines Kind bekam sie von der Mutter wenig Berührungen und Zärtlichkeiten. Der Vater nutzte diese Lücke, auch die Tochter. Und der Vater kompensierte mangelnde Berührungen mit seiner Frau, indem er sie bei der Tochter suchte.

       Machtmissbrauch

      Einsichtig wurde, dass es Missbrauch ohne Gewalt gibt. Sehr oft spielt aber Gewalt beim Missbrauch eine Rolle. Immer handelt es sich bei den verschiedenen Formen des sexuellen Missbrauchs um Respektlosigkeit dem Mitmenschen gegenüber. Immer wieder spielt auch Machtmissbrauch eine Rolle. Sexuelle Gewalt beginnt da, wo jemand einen Menschen benutzt, um sich sexuell zu erregen. Besonders auch da, wo es sich um ein Machtgefälle handelt:

      

zwischen einem Erwachsenen und einem Kind,

      

zwischen

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