Sacklzement!. Katharina Lukas
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Hier, auf diesem Hof, ein wenig außerhalb von Hintersbrunn, ist Django aufgewachsen als Sohn des Landwirts und langjährigen Bürgermeisters Lorenz Schickaneder. Und als Enkel einer Legende. Djangos Großvater war der erste demokratisch gewählte Bürgermeister nach dem Krieg. Politisch unbelastet. Der hoch angesehene Ignaz Schickaneder war von 1946 bis zu seinem Tod 1977 mehr Volksheld denn Volksvertreter und ihm verdankt Hintersbrunn fast jede Art von Modernisierung. Nach seinem Tod war es keine Frage, dass ihm sein Jüngster, Djangos Vater, der einzig überlebende Sohn der Bauerndynastie, ins Amt nachfolgte. Es wurde gar kein anderer Kandidat aufgestellt damals, 1978. Für Django lief es nicht so glatt, das hat er früh erfahren müssen. Er war 11, als sein Vater ins Amt kam, zu saufen begann, nach und nach den Grund des Hofes verscherbelte und anfing, seinen Sohn regelmäßig zu verprügeln, während die kränkliche Mutter bis zu ihrem frühen Tod unbeirrt wegsah. Django wehrte sich auf seine Weise, so sieht er das heute, und seine Rebellion endete mit Trunkenheit am Steuer, Beleidigung und Körperverletzung. Weil er seine Strafe nicht bezahlen konnte und sein Vater ihn hängen ließ, landete er für ein paar Monate im Gefängnis. Ein kurzes Eheglück scheiterte, seine Ex verwehrte ihm den Kontakt zur Tochter und zog ans andere Ende der Republik. Als er wegen seines »Widerspruchsgeistes«, wie er heute sagt, seinen Arbeitsplatz als Maurergeselle verlor, hatte er eine Vision: Er wollte in die Fußstapfen seines Großvaters treten und aus dem dahinsiechenden Dorf, dem in den 1990er-Jahren die Einwohner davonliefen, ein attraktives Wohngebiet machen für all die vielen Menschen, die am neu gebauten Franz-Josef-Strauß-Flughafen arbeiten sollten. Mit ein paar ersparten Groschen gründete er seine eigene Baufirma. Es war ein steiniger Weg, geschenkt hat ihm keiner etwas, das sagt sich Django immer wieder, und an die Leiche im Keller dieser arbeitsamen Jahre denkt er fast gar nicht mehr. Zum Bürgermeister wurde Django zwar nicht gewählt, als sein Vater 2003 in Pension ging. Das war aber gar nicht nötig, er zog längst anderweitig die Fäden und hatte beste Beziehungen zur lokalen Politik. Die Bauvorhaben der Gemeinde und bald auch diejenigen der Nachbargemeinden gingen alle an ihn und so ist es bis heute.
Stolz blickt er auf seine Villa und überschlägt kurz, wie viele Baustellen im Landkreis er gerade managt. Über die ehemalige Stallschleuse links von der eigentlichen Eingangstür betritt Django das alte Bauernhaus, in dem sein 80-jähriger Vater allein in der Stube lebt. Wie jeden Abend sitzt der inzwischen geschrumpfte Greis im Schlafanzug am Küchentisch und brabbelt laut vor sich hin. Der abendliche Pfleger hat das Geschirr vom Abendessen in der Spüle stehen lassen und den alten Mann bettfertig gemacht, bevor er zum nächsten Patienten seiner Runde weitergefahren ist.
»Was machst du denn noch auf, du Blödhammel?«, fragt Django, doch der Vater hört ihn anscheinend nicht. Django ergreift eine Zeitung, die auf dem Bänkchen vor dem Kachelofen in der Ecke liegt, rollt sie zusammen und haut sie dem Alten über den Hinterkopf.
»Ahhh! Au!«, schreit der und zieht den Kopf ein, ohne sich nach dem Angreifer umzusehen.
»Weißt wieder nicht, was dir geschieht, hm?« Für einen kurzen Moment wird Django noch aggressiver. Am liebsten würde er dem unnützen Fresser ganz den Garaus machen. Dann aber wirft er die Zeitung auf den Tisch und dreht sich um. Als er die Stubentür abschließt, sieht er, wie der Alte neugierig danach greift.
»Vollkommen vertrottelt«, murmelt Django.
Erste Alzheimersymptome gab es früh, aber es hätte auch vom jahrelangen Alkoholmissbrauch kommen können, dass der alte Bürgermeister schon bald nach seiner Pensionierung Namen vergaß und im Wirtshaus nicht mehr wusste, was er gezecht hatte. Eines Morgens saß er mitten im Dorf auf dem Gehsteig, fand nicht mehr heim und wäre in der Nacht beinahe erfroren. Nie wird Django den vorwurfsvollen Blick der Kramer Res vergessen, dieser vertrockneten Moralamsel, die den Alten nach Hause brachte. Seitdem lässt Django seinen Vater nicht mehr raus. Seinen Aktionsradius hat er auf die Stube reduziert, wo neben Tisch und Bett der für seinen Vater unzugängliche Kachelofen den Raum dominiert. Die Wege dazwischen hat Django mit fixen Holzgeländern eingezäunt wie beim Check-in am Flughafen. Da marschiert der Alte den ganzen Tag seine Runden. Inzwischen ist der ehemalige Bürgermeister fortgeschritten dement, schreit manchmal den ganzen Tag unverständliches Zeug, flucht, will heim oder ins Rathaus, hat Körperhygiene vollkommen vergessen, kann nicht alleine essen und seine Ausscheidungen nicht mehr kontrollieren. Dreimal täglich kommen Mitarbeiter eines ambulanten Pflegedienstes, und im Dorf sagt Django: »Mein Vater bekommt alles, was er braucht.«
Am Tag nach der Beerdigung des alten Bäckermeisters ist der »Hundemord« das einzige Gesprächsthema in Hintersbrunn. Tatsache ist, dass der edle, große Hund des ortsansässigen Professors Sackbauer im Wald aufgeknüpft worden ist. Tatsache ist, dass es kein Unfall gewesen sein kann, sondern dass jemand den Hund am Hals hochgezogen hat und qualvoll verenden ließ. Tatsache ist, dass der Tod durch Erhängen eintrat und dass die gerufene Polizei eine Anzeige aufgenommen hat. Gegen unbekannt. Irgendwer erzählt, dass der Professor in einem Wutanfall gedroht hat, das ganze »Faschisten-Dorf« in Grund und Boden zu verklagen. Und Tatsache ist, dass sich die Täterschaft Djangos zwar im Dorf herumspricht, kein Wort davon aber zum Professor dringt.
3
»Liesi? Kennst du mich noch?« Gundi steht vor der Theke des kleinen Dorfladens, hinter der die schlanke Frau gerade einen Geschenkkorb mit bunten Bändern verziert. Gestern haben sie bei all dem Durcheinander auf der Beerdigung kein Wort miteinander gesprochen, und Gundi ist sich nicht sicher, ob Liesi sich an die gemeinsam verbrachte Kindheit erinnert. Jetzt braucht sie ein paar Lebensmittel und hofft, etwas Kalorienreduziertes zu finden. Vor allem aber will sie jemanden finden, der ihr das alte Elternhaus abkauft. Und weil ein Dorfladen Marktplatz für alles Mögliche ist, hält Gundi einen Zettel in der Hand, auf dem sie ihre Handynummer notiert hat, zusammen mit den Worten: »Bäckerhaus. Haus und Grund. Unrenoviert zu verkaufen. 80.000 Euro.«
Liesi schaut auf und sofort springt ein Lächeln auf ihr Gesicht, was sie noch verknitterter aussehen lässt. Es ist ein schönes Gesicht, bemerkt Gundi, gebräunt und voller Sommersprossen, und jede Einzelne ihrer zahlreichen Falten ist definitiv eine Lachfalte.
»Gundi? Mein Gott, ist das lang her!«, ruft die Angesprochene und beeilt sich, hinter der Ladentheke hervorzukommen. Gundi zuckt zurück in der Angst, Liesi könne ihr um den Hals fallen, aber Liesi packt sie nur an beiden Händen, lehnt sich nach hinten und begutachtet Gundi mit ihren wachen grauen Augen.
»Bist auch nicht jünger geworden«, sagt sie und lacht ein wenig verlegen. Gundi geht es nicht anders. Es ist ein halbes Leben her, seit sie sich zuletzt gesehen haben, und obwohl sie eine Zeit lang beste Freundinnen gewesen waren, ist ihr Kontakt nach Gundis Weggang abgebrochen. Hatte wohl damit zu tun, dass sie damals 18 waren und das Leben im Wochentakt so viel Zukunft brachte, dass man für die Vergangenheit keine Zeit hatte.
Im Grunde sind Gundi und Liesi als Kinder nur Weggefährten gewesen, denn ihre Eltern hatten jeweils ein Ladengeschäft an der Dorfstraße. Das zweistöckige, von Gundis Großvater erbaute und in den 1960er-Jahren vom Vater herrschaftlich ausgebaute Bäckerhaus thronte groß und mächtig auf der einen Seite, der Lebensmittelladen von Liesis Eltern, der ungefähr zur selben Zeit zweckbaulich an das alte Waldlerhaus angedockt worden war, stand dagegen eher mickrig auf der anderen. Heute sieht die Sache anders aus. Die Bäckerei hat Gundis Vater vor Jahren aufgegeben, als er, statt zu backen und zu schimpfen, lieber nur noch schimpfte. Er ließ das Haus mitsamt Backstube verfallen. Der ehemals schäbige Kramerladen gegenüber wirkt heute wie aus dem Touristenprospekt »Schönes Bayernland«. Er fügt sich mit rustikaler Kartoffel- und Gemüseauslage vorm Haus und einem Schaufenster mit geräucherten Schinken und Gläsern voller selbst gemachter Marmelade wunderschön ein in das renovierte Waldlerhaus mit seiner dunkelbraunen