Sacklzement!. Katharina Lukas

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Sacklzement! - Katharina Lukas

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Gundi erschrickt ein bisschen über die Schärfe in ihrem Ton. Sie mag diesen kleinkarierten Heimatstolz an ihrer ehemaligen Schulfreundin überhaupt nicht.

      Tatsächlich guckt Liesi ein wenig beleidigt. »Es ist nicht mehr wie früher«, sagt sie.

      Verfluchte Scheiße, denkt Gundi, doch sie kann sich einfach nicht zusammenreißen. »Moderne Zeiten, Liesi!« Gundi stellt ihr leeres Proseccoglas ein wenig zu schwungvoll auf dem Wohnzimmertisch ab. »Heutzutage bestimmen nicht mehr die größten Bauern, sondern die reichsten Unternehmer. Das Prinzip bleibt dasselbe. Und wer ist der größte Unternehmer hier? Der Django, oder? Wieder ein Schickaneder!«

      So viel hat Gundi nach der Begegnung mit ihrem einstigen Schwarm schon erfahren. Django ist der größte Arbeitgeber im Ort und Auftragnehmer von allen Gemeinden der Gegend. Um seine Baufirma herum haben sich andere kleinere Betriebe gebildet. Jeder auf irgendeine Art Zulieferer oder abhängig von den Aufträgen von »Schickaneder Bau«. Nichts, was der nicht gebaut hat hier, sagen die Leute. Und außerdem: Dem gehört das ganze Dorf.

      »Der Bernleitner Girgl, unser heutiger Bürgermeister, ist anders«, verteidigt Liesi weiter ihr Dorf. »Der war sogar insolvent, bevor er Bürgermeister geworden ist!«

      Als ob der Pleitegeier eine Qualifikation für politische Integrität wäre, denkt Gundi, beschließt aber, es gut sein zu lassen. Eigentlich will sie ja etwas über den Tod ihres Vaters erfahren.

      »Warst du dabei, bei der Bürgerversammlung?«, fragt sie. »Hast du meinen Vater sterben sehen?«

      »Ja, hab ich«, antwortet Liesi. »Er hat sich zu Tode aufgeregt.«

      Sein Todestag begann für den alten Bäckermeister wie fast jeder Tag in den letzten 20 Jahren, seit er seine Backstube geschlossen und die Scheiben seines Ladens mit Zeitungspapier verhangen hatte. Das Aufstehen war in letzter Zeit schwieriger geworden. Inzwischen dauerte es über eine halbe Stunde, bis seine alten Knochen nach ihrer nächtlichen Totenstarre so beweglich waren, dass er seinen hinfälligen Körper in die Senkrechte bekam. Erst musste er eine Zeit lang am Bettrand sitzen, dann eine Weile stehen, mit dem Kopf an den Schrank gelehnt. Irgendwann kamen seine Beine in einen Bewegungsfluss, und er hangelte sich die Treppe hinunter in die Küche, wo er die abends befüllte Kaffeemaschine nur einzuschalten brauchte. Abgesehen von den morgendlichen Anlaufschwierigkeiten war der Bäckermeister dennoch recht agil für seine 90 Jahre. Er hatte einen festen Rhythmus. Jeden Wochentag holte er sich zur Mittagszeit ein warmes Essen beim Bräu. Meistens Würstel. Oft Leberkäse. Manchmal Dampfnudeln. Was er sonst brauchte, kaufte er auf dem Heimweg bei der Kramer Liesi, und was er dort nicht bekam, brachte ihm die Nandl mit, die Nachbarin, die ihm auch die Wäsche machte für fünf Euro. Am Nachmittag schlief er in letzter Zeit immer öfter vor dem Fernseher ein und dreimal die Woche ging er ins Wirtshaus zum Stammtisch. Was im Dorf los war, das interessierte ihn immer noch. Vor allen Dingen, wenn es um etwas ging, was er »spinnerte Neuerung« nannte, konnte er sich richtig aufregen: eine Straußenzucht beim Weber. Ein Ruhetag beim Bräu. Fettarme Milch. Ein schwarzer Pfarrer.

      Aber nicht nur deswegen war die heutige Bürgerversammlung ein Pflichttermin für ihn. Der alte Bäckermeister hatte nämlich beschlossen, sich zu wehren. Denn etwas Ungeheuerliches war geschehen. Man wollte ihn vernichten. Ihm alles nehmen. Weil er sein ganzes Leben lang geschwiegen hatte.

      Um 18 Uhr ging es los. Im großen Saal im Obergeschoss beim Bräu stellte Bürgermeister Bernleitner die Finanzlage von Hintersbrunn vor. Es wurde über einen neuen Straßenbelag abgestimmt, über den neuen Wertstoffhof debattiert und die Erweiterung des Friedhofs beschlossen. Die neue Laufbahn auf dem Sportplatz, die fast nichts kostete, weil der Fürbitten-Franz alles allein machte, wurde beklatscht. Neben dem Bürgermeister, den Gemeinderäten und dem Bauleiter all der ehrgeizigen Projekte, Joachim »Django« Schickaneder, waren fast alle männlichen Dorfbewohner da. Dazu ein paar engagierte Jugendliche und zwei Frauen. Eine davon die Kramer Liesi. Als der Bürgermeister mit seiner positiven Jahresbilanz fertig war, waren zwei Stunden vergangen, die meisten hatten drei oder vier Halbe intus, und dem alten Bäckermeister schlug das Herz bis zum Hals, weil er immer noch keine Gelegenheit gehabt hatte, das himmelschreiende Unrecht anzusprechen. Da ergriff Professor Sackbauer das Wort.

      »Wer genau ist denn dieser Professor Sackbauer?«, fragt Gundi.

      »Der hat den Kransederhof gekauft, vor jetzt …« Liesi muss ein paar Sekunden nachdenken. »Das muss jetzt 20 Jahre her sein. Weißt schon, der Kranseder, der mit seiner Frau da oben auf dem Hang zum Scheideggerholz ohne Strom und Wasser gehaust hat wie vor hundert Jahren. Vor dem wir Kinder uns so gefürchtet haben.«

      »Ja klar. Ich weiß schon noch. Wenn du bei dem am Haus vorbeigehen musstest, ist er dir mit der Mistgabel hinterhergerannt!«, erinnert sich Gundi.

      »Nicht wirklich«, verbessert Liesi sie und schüttelt milde lächelnd den Kopf. »Das haben uns die Erwachsenen und die großen Kinder nur eingeredet, damit wir Angst bekommen. Der war in Wirklichkeit ein ganz trauriger und verbitterter Mann. Eine alte Streitsache hat dem keine Ruhe gelassen. Meine Mutter hat erzählt, dass der Kranseder wahrscheinlich wegen nicht gewährter Rentenansprüche gemütskrank geworden ist und deswegen mit niemandem aus dem Dorf etwas zu tun haben wollte.«

      Liesi macht eine Pause und sammelt sich.

      »Auf alle Fälle hat der weltfremde Sonderling vor ungefähr 20 Jahren seine Frau umgebracht und sich ein paar Wochen später aufgehängt. Im Scheideggerholz.« Sie stutzt. »Da, wo der Franz gestern den Struppi gefunden hat.«

      »Und? Hat man jemals aufklären können, was den Kranseder zum erweiterten Selbstmord getrieben hat?« Gundi muss heimlich über sich selbst lachen. Die alte Neugier aus den ehrgeizigen ersten Berufsjahren ist immer noch da.

      »Nicht wirklich. Der Kranseder hat sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Sein Hof hat keinen Erben gehabt und ist an die Gemeinde gefallen. Einen handfesten Skandal hat’s damals gegeben, weil ausgerechnet Django, der Sohn vom Bürgermeister, das Grundstück haben wollte. Da sind die Leute auf die Barrikaden gegangen, von wegen Spezlwirtschaft und so.«

      »Also hat der Django den Hof nicht bekommen …«

      »Es hat sich ein Interessent von auswärts gefunden. Das war der recht bekannte Bildhauer Anselm Sackbauer. Von dem steht ein steinerner Reiter im Central Park in New York, in Salzburg soll er mal einen großen Brunnen entworfen haben, solche Sachen hat der gemacht.«

      Gundi zieht ein Bein unter ihren Hintern und schaut in ihr Proseccoglas.

      »Was will denn ein internationaler Künstler mit einem alten Bauernhof im Nirgendwo?«

      »Der hat den ganzen Hof – verfallen, wie er war – und den ganzen Grund dazu von der Gemeinde gekauft und eine Pferderanch daraus gemacht. Ein Gestüt. Seine Pferde gewinnen Rennen und mit seiner Zucht macht der ein Riesengeschäft, sagt man. Inzwischen ist er ein Kunstprofessor in München, lebt aber die meiste Zeit auf dem alten Kransederhof.«

      »Ich bin jetzt genau seit 20 Jahren wohlgelittener Bürger von Hintersbrunn und ich möchte etwas zurückgeben«, begann der Professor, nachdem er sich gegen Ende der Bürgerversammlung zu Wort gemeldet hatte. Etwas großspurig, wie es seine Art war, hatte er sich vor die Stuhlreihen der versammelten Dorfbewohner gestellt. Und wie immer hatte er seinen großen weißen Hund dabei, der ruhig und wachsam an seiner Seite saß und dem Professor eine herrschaftliche Aura verlieh.

      »Ich möchte Hintersbrunn Ehre erweisen. Hier leben einfache Menschen. Menschen, die sich nicht hervortun, sondern die klaglos ihrer Arbeit nachgehen und ihre Kinder großziehen. Keine Berühmtheiten, keine großen Entdecker, keine Geistesgrößen und keine Helden.«

      Die

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